overwhelmed

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Er hatte lange darüber nachgedacht. Die Entscheidung war ihm nicht leicht gefallen. Viel mehr noch, denn vielleicht war es der schlimmste Entschluss, den er in den vergangenen Monaten treffen musste, aber nach vielen schlaflosen Nächten, langen Gesprächen mit Will und dem einmaligen Angeboten, dass die Rückkehr unter speziellen Konditionen erfolgte, hatte Jay schließlich die alles verändernde Entscheidung getroffen.
Er hatte Hank zugesagt. Eigentlich war es Wahnsinn. Das war ihm bewusst, aber dennoch spürte Jay mehr denn je, dass es genau das war, war er auf eine gewisse Weise brauchte. Sein vertrautes Umfeld, das ihn trotz aller Trauer jeden Tag an Hailey erinnerte. Auch wenn es weh tat. Bei der Army sah er für sich keine Zukunft mehr.

Es war sein erster Arbeitstag im alten Revier. Er hatte Kya bereits früh zu der Tagesmutter gebracht. Zum ersten Mal nach acht Jahren würde er wieder auf Erin treffen. Natürlich versuchte er so wenig wie möglich heraushängen zu lassen, dass er nervös und angespannt war. Er konnte gut schauspielern. So auch an diesem Tag.

Wie all die Jahre begrüßte er Trudy Platt völlig selbstverständlich, ehe er die Stufen der Treppe nach oben lief. Alle Gedanken an Hailey versuchte er so gut es ging zu verdrängen. Wenn er zu lange an sie dachte, konnte er nicht arbeiten. Das waren bisherige Erfahrungswerte.

Und dann, mit einem Mal sah er sie. Erin! Sie stand neben Kim, Adam und Voight am Flipchart. Auch wenn mittlerweile einige Zeit vergangen war, schien sie sich rein äußerlich kaum verändert zu haben. Sie war immer noch so hübsch wie damals, hatte ein fast engelhaftes Gesicht.

Und doch war mittlerweile einiges anders. Sie lebten nicht mehr zusammen. Stattdessen war er Vater einer nun zehn Monate alten Tochter, die bereits krabbelte und langsam laufen lernte.
Haileys Tochter. Das gemeinsame Kind mit seiner Frau, das ihn und Upton für alle Zeit miteinander verbinden würde.

Für einen langen Moment sahen sie einander an, ehe Bewegung in ihren Körper kam. Es war eine Mischung aus Mitgefühl und Besorgnis. All das schien Jay in ihrem Gesicht erkennen zu können.
Unwirsch strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr, lächelte Halstead traurig an.

„Hey."

„Hey", sagte er leise, ehe er den Rest der Runde begrüßte. Dabei hatte er ganz bewusst darauf geachtet, nur so kurz wie möglich auf sie zu schauen.


In den ersten Tagen verlief alles wie normalerweise. Schon nach kurzer Zeit schien es ein wenig wie vor der Zeit mit Hailey. Ab und an ließ Hank ihn mit Erin zusammenarbeiten. Es schien keineswegs so, dass sie wie Fremde nebeneinander saßen und kaum miteinander redeten, aber trotz aller Losgelöstheit, die es hin und wieder durchaus gab wenn Jay einen humorvollen Kommentar machte, wurde es nicht genau wie früher.
Weil sie nicht über das redeten, was Jay passiert war. Nicht über die Art und Weise wie sie auseinander gegangen waren und auch nicht über Uptons Tod. Es brauchte drei lange Wochen bis der alles entscheidende Moment gekommen war und Erin die Situation löste und das Eis brach.

Eigentlich waren sie gerade auf dem Weg zu einer Befragung. Es war kurz vor Weihnachten und an diesem Morgen hatte es heftig zu schneien begonnen hatte. Jay war zu spät zur Arbeit gekommen, weil die kleine Katie den ganzen Weg zur Tagesmutter heftig geweint hatte. Sie war jetzt fast ein Jahr alt und mittlerweile schien aus dem ehemaligen Baby mehr und mehr ein lebhaftes Kleinkind zu werden.

„Hör mal. Wir haben nie über das gesprochen was da passiert ist, aber ich möchte, dass du weißt, dass mir das mit Hailey unglaublich leid tut. Und wenn du mich brauchst... wenn ihr mich braucht, sowohl Katie als auch du, bin ich jeder Zeit für euch da. Auch als Kollegin und wenn wir nicht mehr zusammen sind, okay? Ich bin hier", sah sie ihn mit ernster Miene an. Jay sah sie nur betreten an, nickte dann anerkennend.
Erin sah ihn mit ernster Miene an.

„Wie geht's der Kleinen eigentlich? Hast du das Gefühl, dass sie ihre Mutter vermisst?"
Jay blickte nur stumm aus dem Fenster. Mittlerweile waren sie vor dem Haus des Verdächtigen zum stehen gekommen.

Er schüttelte nur betroffen mit dem Kopf, hob und senkte überfordert die Schultern.

„Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Rein körperlich scheint sie sich gut zu entwickeln. Zumindest war die Kinderärztin mit allen Vorsorgeuntersuchungen zufrieden. Aber was das psychisch mit ihr macht? Ich meine, sie kennt das nicht anders, aber bestimmte Dinge hat sie eben nie gehabt. Sie wurde nie gestillt. Sie lag am Anfang nie auf Haileys Brust. Diese ganzen anderen Dinge, die ganz normale Babys hatten. In den letzten 11 Monaten hatte sie nur Will und mich."

„Wie gesagt, wenn du mal jemanden zum aufpassen brauchst. Jeder Zeit okay? Ich bin da mittlerweile geübt. Meine Nachbarin in New York war auch alleinerziehend. Ich habe oft auf ihre kleine Tochter aufgepasst."

Jay lächelte schwach, sah sie dann anerkennend an. Noch ahnte er nicht, dass er von diesem Angebot schon in Kürze Gebrauch machen würde.

„Danke", flüsterte er leise. Sie schenkte ihm einen aufmunternden Blick.

„Nicht dafür."
Dann machte sie eine vielsagende Kopfbewegung in Richtung

„Komm. Wir sollten mit der Zeugenbefragung beginnen", wechselte sie schnell das Thema und Jay spürte, dass sie einen knallroten Kopf bekam. Er kannte sie zu gut, um zu wissen, dass ihr die Sache trotz allem unangenehm war und er sollte recht behalten...

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Die Zeit verlief wie im Flug. Schließlich brachen die Weihnachtstage an. Will war zwischen Weihnachten und Neujahr mit Natalie und ihrem kleinen Sohn Owen nach Florida geflogen.
Mittlerweile hatten sie Katies ersten Geburtstag gefeiert. Es war gleichzeitig Haileys Todestag, aber wie alles andere, was mit ihrem Tod in Verbindung stand, versuchte Jay das gezielt zu verdrängen. Die kleine Kathryn war nun ein Jahr alt und damit offiziell ein Kleinkind. Sie war noch etwas unsicher auf den Beinen, ging aber erste Schritte allein und wurde von Jay und ihrem Onkel emsig mit Babybrei gefüttert.

Die Kleine liebte ihren Vater und mochte es, wenn er sich mit ihr beschäftigte, mit ihr auf dem Teppich spielte oder ihr die ersten Pappbilderbücher vorlas.

Doch in dieser letzten Woche des Jahres stellte sich schließlich eine abrupte Wendung ein, die Jays Sorge um seine kleine Tochter erstmals auf eine harte Probe stellte.
Kathryn war bislang nie wirklich krank gewesen. Hier und da war sie nach einer Impfung etwas unleidlich, aber sie hatte bislang keine ernsthaften Probleme gehabt. Ausgerechnet in der Woche, in der Will in Florida weilte, schien sie sich bei der Kinderbetreuung, die ersten Viren eingefangen zu haben.

Es war ein gewöhnlicher Donnerstagmorgen. Voight hatte seinen Kollegen frei gegeben, weshalb Jay in dieser Woche mit seiner kleinen Tochter zu Hause war. Zwischen Weihnachten und Neujahr hatte die Kinderbetreuung ohnehin geschlossen.

Schon am Morgen war die kleine ungewöhnlich unruhig gewesen. Sie hatte den Brei verweigert und schrie, als ob sie Schmerzen hatte, schien sehr unleidlich.

Als Jay sie gegen Nachmittag wecken wollte und sie aus dem Kinderbett nehmen wollte, realisierte er, wie ihr Kopf zu glühen schien und ihre Wangen eine sichtlich rote Farbe angenommen hatten.
Halstead, der bereits ahnte was das bedeutete, legte die nun laut schreiende Kleine auf den Wickeltisch, während er nach seinem Smartphone griff. Er spürte wie ihm der Puls hochging und das Herz schneller zu schlagen begann, denn auf eine solche Situation war er nicht eingestellt. Erst recht nicht, wenn sein Bruder nicht da war, denn einen Arzt in der Familie zu haben war bisher recht hilfreich gewesen.

Erneut fuhr Jays Hand zu ihrer Stirn, wo er schnell feststellen musste, dass die Kleine sichtlich erhitzt schien. Wenn ihn nicht alles täuschte, musste sie Fieber haben.

Der Detective stöhnte, wählte dann instinktiv Wills Nummer. In seinem Kopf lief alles durcheinander. Will hatte ihnen sporadisch eine Babyapotheke mit den nötigsten Dingen eingerichtet, aber wirklich vorbereitet schien Jay auf den Ernstfall nicht zu sein. Ein gleichbleibendes Tuten ertönte, während die 1- Jährige im Hintergrund aus Leibeskräften zu schreien begonnen hatte und immer unruhiger wurde.
Verdammt, warum ging der jetzt nicht ran?

„Ja?", meldete sich schließlich eine verpennte Stimme.
Jay schickte Stoßgebete gen Himmel.

„Will, ich bin's. Ich glaube Kya hat Fieber. Sie ist total warm. Rede mit mir. Was soll ich jetzt machen?"

Der rothaarige Arzt stöhnte ins Telefon. Offenbar hatte er geschlafen und war von seinem Bruder gestört wurden.

„Okay, pass auf", sammelte er sich, nachdem einige Sekunden vergangen waren.

,, Im Badezimmerschrank ist das Fieberthermometer. Es ist ganz einfach. Du musst rektal ihre Temperatur messen. Das ist die genauste Form in ihrem Alter. Ist das Fieber über 40,5 Grad, fährst du ins Med. Ab 39,5 gibst du ihr ein Fieberzäpfchen. Maximal drei am Tag, alle sechs bis acht Stunden. Eins von den Dingern müsste ich für den Notfall noch im Medikamentenschrank im Bad haben. Den Rest kaufst du einfach im nächsten Wallmart nach. Das Medikament nennt sich Feverall mit Ibuprophen. Das gibt es in verschiedenen Dosierungen. Du nimmst einfach die geringste Dosis für Babys und Kleinkinder im Alter von 6 bis 36 Monaten. Davon kannst du ihr alle sechs Stunden eins verabreichen."

„Wie bitte?!!"

Jay spürte wie sich ihm der Magen zusammenkrampfte.

„Aber ich hab das noch nie gemacht. Ich weiß überhaupt nicht wie das funktioniert", schrie er aufgebracht in den Hörer. Als Kathryn nach der ersten Impfung fieberte, hatte sich Will um seine Nichte gekümmert.

„Das ist ganz einfach. Das steht alles auf der Packungsbeilage. Mein Gott, Jay. Du wirst deiner Tochter doch Medikamente geben können. Du kannst da wirklich nicht viel falsch machen"

„Danke für die erstklassige Hilfe", maulte der jüngere Halstead ironisch in den Hörer. Will stöhnte genervt.

„Die Packungsbeilage liegt im Schrank. Das ist darin wirklich idiotensicher beschrieben. Beim Fiebermessen winkelst du einfach ihre Beinchen an und platzierst das Thermometer ein bis zwei Zentimeter in ihrem Po. Bei Kindern in diesem Alter ist das relativ einfach. Ruf mich später nochmal an. Ich will mit Owen und Natalie gleich noch zum Strand."

Genervt legte Jay schließlich auf. Auf diese Art von Hilfe hätte er durchaus verzichten können...

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Natürlich wurde es eben nicht einfach.
Die 1- Jährige schrie aus Leibeskräften und drückte ihren gesamten Körper durch, sodass Jay arge Probleme hatte das Fieberthermometer in die zum Messen betreffende Stelle zu bekommen.

Die Kleine brüllte so heftig, dass Jay sie mit aller Kraft festhalten musste, damit sie nicht vom Wickeltisch fiel. Sie strampelte mit den Beinchen, wehrte sich gegen die Messung, sodass das Thermometer mehrmals wieder nach draußen glitt.

„Kya, ruhig bleiben. Komm schon, halt kurz still."

Erst nach mehreren Versuchen, als er ihre Beine mit der Hand fixierte, schien es zu funktionieren, sodass das Messgerät auch dort blieb, wo es bleiben sollte.
Mittlerweile war unverkennbar, dass die Kleine sich nicht gut fühlte und das brachte sie dann auch lautstark zum Ausdruck. Noch dazu schien sie es zu hassen in dieser Position still liegen zu bleiben. Keine guten Voraussetzungen, um ein akkurates Messergebnis zu erhalten.

Letztendlich sah er ziemlich besorgt auf das Display. Die Temperatur lag bei 39.7 Grad. Er seufzte schwer, innerlich ahnend, dass er nun auf Wills Worte zurückkommen musste.

Kyas Fieber musste schnellstmöglich gesenkt werden. Einen nächtlichen Trip, um durch das zugeschneite Chicago ins Krankenhaus zu kommen, wollte er sich und ihr eigentlich ersparen.

Ziemlich überfordert holte er den Beipackzettel aus der Medikamentenschachtel. Natürlich war es wie Will gesagt hatte. Es lag nur noch eines der Medikamente im Schrank. Jays Freude hielt sich in Grenzen, denn er wusste, dass ihm dadurch ein unfreiwilliger Ausflug in den naheliegenden Supermarkt nicht erspart bleiben würde.

Schlussendlich hatte die Anleitung genauso wenig Sinn wie sie erfolglos war.
Man sollte das Baby oder Kleinkind auf den Rücken oder die Seite legen und dann den Fiebersenker verabreichen. Jay schüttelte nur mit dem Kopf, ungläubig, welcher Idiot diese Packungsbeilage verfasst hatte.

Zu seinem Unmut ergab sich aber automatisch schon die nächste Frage, die nicht in der Packungsbeilage erläutert wurde. Welche Seite des Medikaments war die richtige? Auch kurze Internetrecherchen brachten Halstead nicht weiter, denn die Angaben waren eher widersprüchlich als aufschlussreich. Jay kam sich vor wie der letzte Idiot.

Zu seinem Leidwesen schrie die kleine Kathryn noch immer aus Leibeskräften. Sie spannte sich derart an, dass Jay keine Chance hatte und das Medikament absolut nicht in sie hinein zu bekommen war. Selbst sie beim Wickeln zu überlisten klappte nicht.

Halstead versuchte es mit Ablenkung, mit gutem Zureden, aber sobald Kya merkte, dass er ihre Beine nach oben anwinkelte und ihr das Medikament geben wollte, war nichts mehr zu machen und sie wandte sich wie ein Aal und begann noch mehr zu strampeln. Letztendlich gab Jay genervt auf. Mittlerweile hatte sich der Fiebersenker ohnehin halb in seiner Hand aufgelöst. Und die 1 –Jährige weinte und schrie weiterhin in höchster Form.

In diesem Moment hätte er wohl alles dafür getan, wenn Hailey bei ihm wäre. Doch das war sie nicht und würde es auch nie wieder sein. Die Tatsache traf ihn schwer.

Mit einem schrill schreienden Kleinkind auf dem Arm lief er zum nächsten Supermarkt, der sich nicht weit von seinem Appartment befand. Zu seinem Glück griff er nach der letzten Packung Fiebersenker, die das Geschäft noch vorrätig hatte.

Die Kassiererin warf ihm mitleidige Blicke entgegen, aber Fragen ersparte er sich. Er wollte nicht wie der letzte Trottel erscheinen.

Mit den Kinderzäpfchen in der Tasche lief er nach Hause. Mittlerweile war er durchgeschwitzter als nach der Überführung von zwei Geiselnehmern. Verdammt, warum ließ sich die Kleine nicht beruhigen? Andere Mütter und Väter hatten doch auch kranke Kinder. Wie machten die das nur?

Erneut legte er die Kleine auf den Wickeltisch und zog ihr Windel und Hose aus. Erneut schrie sie das halbe Haus zusammen und wandte sich aus seinem Griff.
Anfangs glaubte er Erfolg zu haben, aber nach kürzester Zeit wurde alles nach draußen befördert. Spätestens nach dem zweiten Versuch hatte sich die 1-Jährige so sehr in Rage geschrien, dass Jay resignierend aufgab.

Hilfesuchend holte er sein Smartphone aus der Tasche. Eigentlich hatte er an Will gedacht, aber mit einem Mal kam ihm eine andere Idee.

Erin. Sie hatte Erfahrungen mit Kindern. Und sie war eine Frau. Mit Sicherheit konnte sie weiterhelfen. Und wenn es nur eine helfende Hand war, die ihm zur Seite stand.

Aber was sollte er ihr sagen? Jay sah erneut auf das Kleinkind, das mittlerweile einen knallroten Kopf hatte und leicht zu husten begann, bevor es wieder aus Leibeskräften schrie.

Die Kleine brauchte Hilfe. Ein Fakt, der ihn kurzerhand alle Zweifel über Bord werfen ließ.
Aufgeregt wählte er ihre Nummer. Zu seiner Erleichterung nahm sie den Anruf sofort entgegen.

„Hey, hier ist Jay. Hast du kurz Zeit?"

„Klar, schieß los. Was gibt's?", hatte sie sofort ein offenes Ohr und dann rückte er ziemlich direkt mit der Sprache heraus.

„Kathryn hat Fieber und ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Ich bekomme die Medikamente nicht in sie rein. Und Will ist gerade in Florida", gestand er leise. Erin seufzte in den Hörer. Kurze Stille, dann setzte sie einer vielsagenden Antwort an.

„Okay, hör zu. Ich bin in 20 Minuten bei dir, ja? Ich ziehe mich sofort an und fahre gleich los", erklärte sie sich bereit, weshalb Halstead erleichtert aufatmete. Konnte sie ihm helfen und die Lage wohlmöglich entschärfen?                             

eternity (Chicago PD fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt