dramatic

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Als Jay resignierend mit dem Kopf schüttelte und dann betreten auf die 11 Jährige sah, wusste Erin sofort was das bedeutete. Das kleine Mädchen war tot.

Nach einem Frontalzusammenstoß ihres Fahrrads mit einem SUV, war die Grundschülerin tödlich verletzt worden. Der heftige Aufprall hatte sie an den nebenstehenden Straßenrand geschleudert.

Durch Zufall waren Jay und Erin als Erste am Unfallort eingetroffen. Nur vom Fahrer, der offenbar zu Fuß geflohen war, fehlte jede Spur.

„50-21 Lincoln. Wir fordern Verstärkung an. Totes Mädchen nach Autounfall. Fahrerflucht durch fliehenden Täter", sprach Erin mit zitternder Stimme in ihr Funkgerät.

„Ist verstanden 50-21 Lincoln."

„Verdammt, was für eine riesige Scheiße", fluchte Halstead und wich kopfschüttelnd einige Meter von dem toten Körper der 11 Jährigen weg.

„Warum tragen die Kids heute nie einen Helm", drehte er sich schließlich von Erin weg.
Lindsay, die wusste, wie nahe ihm das alle ging, weil seine eigene Tochter im gleichen Alter war, sah missmutig in seine Richtung, ehe sie den Tränen nahe auf den bewegungslosen Körper der Grundschülerin sah.
An manchen Tagen hätte sie ihren Job am liebsten hin geschmissen und die Kündigung eingereicht...

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„Du hast ab sofort Hausarrest. Du hast uns angelogen. Wir hatten dir verboten mit Stella zu diesen Gleisanlagen zu fahren ", tobte Jay noch am gleichen Nachmittag wütend an die 11 jährige Kathryn gewandt, die jetzt mit hängenden Schultern vor ihm stand und ihn schmollend anblickte.

„Außerdem hast du dich nicht an unsere Vereinbarung gehalten. Wir hatten festgelegt, dass du nicht ohne Fahrradhelm fährst, wenn du unterwegs bist. Das war unser Deal, weil es zu gefährlich ist ohne Helm unterwegs zu sein", schrie Jay aufgebracht, aber Kya sah ihn nur herausfordernd an, verschränkte zornig die Arme vor der Brust.

„Das war dein Deal. Ich hab nie gesagt, dass ich das mache", hielt sie ihrem Vater das Widerspiel und brachte Jays Blutdruck damit auf 180.

Nach diesen Worten schaltete sich nun auch Lindsay ein, die nicht weniger zornig auf die Grundschülerin sah.
Noch immer ungläubig darüber, dass Kathryn mit ihrer besten Freundin an den Gleisanlagen der naheliegenden Zugstrecke gespielt hatten und auf dem Weg dorthin nicht einmal Helme getragen hatten, waren die Detectives dementsprechend aufgebracht. Die Bilder des Unfallopfers der letzten Stunde hatten beide noch sichtlich vor Augen. Dementsprechend erhitzt war die anstehende Stimmung.

„Oh doch, Kathryn. Das hast du. Ich war sogar dabei", erinnerte Lindsay die 11 Jährige an ihr Versprechen sich auf dem Rad adäquat zu schützen, doch diese schüttelte vehement mit dem Kopf.

„Denkst du, wir diskutieren da jetzt mit dir? Klare Ansage. Was Erin oder ich dir sagen, wird gemacht. Hältst du dich nicht daran gibt es Konsequenzen. Ende. Aus. Feierabend", herrschte Jay seine Tochter vielsagend an.

„Die Rede war von Basketball spielen im Vorgarten. Nicht von Gleisbegehungen auf einer Zugstrecke. Ihr könnt von Glück reden, dass euch die Bahnmitarbeiter gesehen haben und das an die Kollegen von der Streifenpolizei weitermelden konnten. Ihr hättet jetzt tot sein können", machte Jay der naiven 11 Jährigen abermals mit Entsetzen klar.

„Dein Vater hat recht. Das was ihr da gemacht habt, war lebensgefährlich."
Kathryn sah mit zu Schlitzen verengten Augen von ihrem Vater zu ihrer Stiefmutter.

„Selbst wenn. Du hast mir sowieso nichts zu sagen. Du bist ja nicht mal meine richtige Mom."
Erin blieb vor Entsetzen förmlich der Mund offen stehen, aber Jay reagierte blitzschnell.

„Auszeit, junge Dame. Ich glaube, ich spinne. Du gehst sofort auf dein Zimmer!!!", tobte Jay in lautem Tonfall und brüllte das blonde Mädchen an, aber Kathryn sah ihm nur hasserfüllt entgegen.

„Ihr könnt mich mal! Ständig ist alles verboten. Ich hasse euch!", schrie sie zurück. Jay wollte ihr hinterher laufen, aber sie war schneller.

„Komm sofort hier her!!! Sowas sagst du nicht nochmal!!!", brüllte er in ohrenbetäubender Lautstärke. Auf halber Strecke hatte er sie dann doch noch eingeholt, packte sie unsanft am Handgelenk, doch sie konnte sich los reißen. Im nächsten Moment war sie bereits mit einem lauten Türenknallen in ihrem Reich verschwunden.
Jay wollte ihr weiterhin hinterher eilen, aber Erin stellte sich ihm in den Weg.

„Ich glaubs nicht. Hast du das gehört?"

Aber Lindsay wehrte beschwichtigend ab.

„Lass sie. Das bringt jetzt nichts."

„Das bringt nichts? Hast du nicht verstanden, was sie da eben zu dir gesagt hat? Du hättest ihr nichts zu sagen, weil du nicht ihre Mutter wärst? Ich glaube ich hab einen Hörfehler", aber Erin schüttelte enttäuscht mit dem Kopf.

„Jay, ich weiß, dass dich der Fall mitgenommen hat und dass Kathryn Mist gebaut hat, aber das hier ist nicht der richtige Weg. Beruhig dich erstmal", redete sie auf ihn ein.

„Wir zwei rufen jetzt ihren Babysitter an. Sagen Julia, dass sie Hausarrest und Fernsehverbot hat und ihr neues Smartphone auch abgibt. Dann fahren wir aufs Präsidium und dann sprichst du heute Abend nochmal ganz in Ruhe mit ihr. Bei der erhitzten Stimmung, hat das überhaupt keinen Zweck", war sich Erin sicher.

„Sie kommt in die Pubertät. Sie weiß manchmal nicht was sie sagt", fügte sie noch hinzu, aber für Jay war das nur ein schwacher Trost.

„Das ist Erziehung. Das hat mit Pubertät nicht viel zu tun", brummte er und sah herausfordernd auf seine Frau. Er war noch immer stinksauer, wunderte sich, dass Erin bei den Worten, die Kya ihr an den Kopf geknallt hatte noch so ruhig bleiben konnte.

„Wir müssen langsam mal härtere Geschütze auffahren, sonst tanzt sie uns in ein paar Jahren komplett auf der Nase herum. Das deutet sich ja jetzt schon an. Oder ist dir völlig egal, was sie da zu dir sagt?"
Erin verdrehte die Augen.

„Nein, natürlich ist es das nicht. Aber in dem Ton kommst du bei Kathryn nicht weiter. Sie fährt nicht das erste Mal ohne Helm. Und das weißt du auch. Jetzt sind wir beide sensibilisiert, weil wir das heute bei diesem gleichaltrigen Mädchen erlebt haben, aber normal wäre uns das gar nicht so bewusst gewesen."

„Erin, sie hat mit ihrer Freundin auf Gleisanlagen gespielt, auf denen normalerweise Züge fahren? Fahrradhelm hin oder her. Sie könnte jetzt tot sein, wenn die Gleisarbeiter sie nicht entdeckt hätten."

„Das weiß ich und das ist nicht in Ordnung gewesen und dafür wird sie auch Konsequenzen bekommen. Aber mit deiner Schreierei änderst du nichts daran. Das heizt die ganze Stimmung nur noch mehr auf und verstärkt die Kluft zwischen euch nur noch mehr."

Halstead ballte vor Wut die Fäuste. Am liebsten hätte er einmal gegen die Wand geschlagen und Kya eine Ohrfeige verpasst, aber natürlich tat er das nicht. Innerlich wusste er, dass Erin recht hatte und Gewalt keine Probleme löste.
Selbstverständlich basierte der aufkommende Frust nur aus Sorge. Wenn Kinder ums Leben kamen, hörte sein Verständnis auf und die Tatsache, dass sich seine eigene Tochter in derart gefährliche Situationen begab, gab den Erlebnissen des Vormittags einen faden Beigeschmack.

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Sie sagten dem Babysitter Bescheid, der ab und an auf Kathryn aufpasste.
Dann fuhren sie in die Wache. Halstead wirkte unkonzentriert. Er konnte sich nur halb auf sein Protokoll konzentrieren, das er noch anfertigen musste.
Mit den Gedanken war er immer noch bei seiner Tochter.
Genauer gesagt an dem Ort, an dem sie gespielt hatte. Was Erin nicht wusste war, dass Jay in seiner Anfangszeit nach der Academy und in seinem ersten Dienstjahr eine Begebenheit mit zwei Kindern gehabt hatte, die ebenfalls am Bahndamm gespielt hatten und die holte ihn nun ein, sodass er immer wieder die Bilder von damals vor sich sah.

Er war Mitte 20 gewesen, als er mit seinem damaligen Kollegen Crack Chestner Zeuge des Unglücks geworden war. Der Fahrer des Amtrack Zuges stand völlig unter Schock.

Die zwei Polizisten hatten gerade einen Häftling im Knast von Statesville abgeliefert, als sie auf dem Rückweg waren und an Bahngleisen zwei spielende Jungs im Alter von 5 und 6 Jahren sahen.
Wie es das Schicksal so wollte, kam der Zug nur kurze Zeit später angefahren. Der Zugführer konnte noch die Notbremsung einleiten, aber für ein Abwenden des Unglücks war es längst zu spät. Durch die Wucht des Aufpralls wurde sein Körper in Stücke gerissen.
Jay sah noch heute vor sich, wie er mit seinem Kollegen und dem geschockten Lokführer die Bahnstrecke ablief und schließlich den Kleineren der Jungen am Trampelpfad zum Bahndamm fand. Wie der kleinere der Jungen weinend vor seinem Bruder kniete, der leblos und ohne seine Beine vor ihnen lag. Den Blick, mit dem ihn das Kind aus seinen haselnussbraunen Augen ansah, hatte er noch heute vor sich. Die zitternde Kinderstimme hallte auch jetzt, fast 20 Jahre später noch in seinem Kopf nach.

„Hast du ein Pflaster für meinen großen Bruder?", hatte der 5 Jährige gefragt, als er auf die Blutpfütze sah, die sich unter dem Geschwisterkind gebildet hatte. Kurz darauf war der Junge aus seinem Trance ähnlichen Zustand erwacht, hatte sich unter Schock zu dem toten Kind hinunter gebeugt. Dann begann er völlig außer sich zu schreien.

Jay hatte noch versuchte ihn noch auf die Arme zu nehmen, aber er hatte sich aus Leibeskräften gewehrt, hatte versucht ihn wegzudrücken, ehe er bewusstlos kollabierte.

Tage später hatte Halstead erfahren, dass auch der kleinere an inneren Blutungen verstorben war, die anfangs nicht ersichtlich waren.
Den Geruch und das Gesicht des Todes war er lang nicht mehr losgeworden.

Und genau diese Bilder wurden jetzt wieder zum Leben erweckt. Der Vorfall schien die Erinnerungen zu triggern.
In dieser Verfassung fand ihn auch Lindsay, als er den Tränen nahe an seinem Schreibtisch ins Leere starrte.

„Alles klar?"
Jay zuckte aufgrund ihrer Stimme zusammen. Mit einem Mal war er wieder in der Wirklichkeit, wischte sich schnell über die Augen.

„Sorry, ich war nur kurz abgelenkt."

Erin, die nichts von diesem Polizeieinsatz wusste, nickte ungläubig mit dem Kopf.

„Sicher, dass du arbeiten kannst? Seit diesem Unfall heute Morgen stehst du komplett neben dir."
Aber für Jay typisch winkte er nur ab. Er wollte niemanden beunruhigen, versuchte seine Stimmung zu überspielen. Er hatte lange vorher gelernt wie er optimal funktionieren konnte.

„Was denkst du wie kommt Kathryn darauf, dich plötzlich in deiner Rolle in Frage zu stellen?", wollte er stattdessen von Lindsay wissen, deren Miene jetzt sichtlich bedrückt und ernst wurde.
Jay sah die Sorgenfalte auf ihrer Stirn, die sich in letzter Zeit immer dann zeigte, wenn sie angespannt über etwas nachdachte.

Erin hob und senkte die Schultern, legte unschlüssig den Kopf schief.

„Im Übergang zur Pubertät prägt sich die Identität aus. Sie sucht nach ihren Wurzeln, analysiert ihre Herkunft."

„Sie kann so trotzdem nicht mit dir umgehen. Das ist unfair und respektlos, nach all dem was du für sie gemacht hast. Du bist in all den Jahren immer wie eine Mutter für sie gewesen. Dir das jetzt vorzuhalten ist einfach unverschämt."

Erin seufzte, sah ihn hin und her gerissen an.

„Ja, aber ganz streng genommen bin ich aus biologischer Sicht nicht ihre Mom. Hailey wird immer ihre Mutter bleiben. Von der Seite hat sie recht."

„Du hast Kya aber adoptiert und insofern kannst du ihr sehr wohl sagen, was sie darf und was sie zu lassen hat"
Damit waren sich die zwei wieder einig.

„Jay, nimm ihr das nicht übel. Ich garantiere dir, dass sie die weitreichenden Folgen dieses Kommentars nicht abgesehen hat. Kya sagt manchmal Sachen, die sie nicht so meint."
Jetzt legte Halstead die Stirn in Falten.

„Sag mal, warum nimmst du sie eigentlich ständig in Schutz? Die muss begreifen, dass das so nicht weiter geht. Erziehung heißt auch Grenzen setzen. Und wenn ihr diese Grenzen niemand setzt, dann macht sie was sie will und dann kommt sowas wie heute heraus. Wir sind viel zu gutmütig."

„Das denke ich eher weniger", wehrte Lindsay ab und schüttelte mit dem Kopf.

„Ich glaube viel mehr, dass wir im Gegensatz zu allen anderen Eltern die strengsten Regeln haben. Die Kids aus Kyas Klasse haben viel größere Freiheiten."

„Darüber kann man geteilter Meinung sein", brummte Jay verschnupft und versenkte sein Smartphone in seiner Hosentasche.

„Die Eltern der anderen Kids sind auch keine Cops. Außerdem haben klare Grenzen und Regeln noch niemandem geschadet. Will und ich sind genauso aufgewachsen. Und wir haben damals sogar die ein oder andere Ohrfeige kassiert", fügte er noch hinzu, was von Erin mit abwertendem Blick reflektiert wurde.

„Komm, auf das Level müssen wir uns jetzt nicht herab begeben. Ich denke, wir sind uns beide darüber einig, dass Gewalt in der Erziehung nichts zu suchen hat und das man mit Angsteinflössen keine Kinder erzieht und sie nur gefügig macht."

„Das ist mir klar, aber ich denke du hast verstanden worauf ich hinaus will."

Zu mehr kam es nicht, denn Voight betrat mit Kim, Adam und Atwater den Raum.

„Jay? Erin? Es geht um den Fall des tödlich verunglückten Mädchens von heute Morgen. Sara Wheeler. Ruzek und Burgess haben das Kennzeichen des Unfallverursachers recherchiert und sind auf einen gewissen Thomas Sanders gestoßen."

Jay sah seinen Vorgesetzten perplex an. Moment mal. Da war doch was?

„Wie bitte? Thomas Sanders. Der Sanders , der im potenziellen Mordfall von Amanda Thatcher seiner Schwester ein Alibi gegeben hat, nachdem ihr unterstellt wurde, dass sie an der Entführung von zwei Mädchen beteiligt war?"
Voight nickte finster.

„Dann war das kein gewöhnlicher Verkehrsunfall und er ist ihr gefolgt?"

Kim und Adam sahen ihre Kollegen vielsagend an...

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Als Erin und Jay am Abend nach Hause kamen, war Kya noch wach.
Glück im Unglück, hatten die Detectives mit Sanders gleich den Täter des Falls überführt und aufgrund des Fahrradunfalls nun den Mörder ermittelt, auch wenn man auf die Ursache des Ermittlungsdurchbruchs eher verzichten konnte.

Wie vorab abgesprochen steckte Jay schließlich den Kopf in Kathryns Kinderzimmer. Die 11 Jährige saß auf ihrem Bett und hörte Musik. Ihre Babysitterin war gerade nach Hause aufgebrochen.

Als sie ihren Vater kommen sah, schaute sie wenig begeistert auf, nahm dann aber die Kopfhörer von den Ohren.

„Wir zwei müssen uns mal unterhalten. Von Frau zu Mann", sagte er leise und schloss die Zimmertür. Erin hatte ihm eher davon abgeraten, aber Jay hatte sich entschlossen ehrlich zu sein, versuchte es mit der Holzhammermethode.
Er schnappte sich Kyas Schreibtischstuhl, auf den er sich verkehrt herum setzte und den Kopf auf die Lehne stützte.
Dann holte er zwei ausgedruckte Bilder hervor, schob sie Kathryn über das Bett zu.

„Das Mädchen hier ist heute Morgen verunglückt. Das ist sie als 11 Jährige im Lincoln Park. Das andere Foto zeigt ihr verbeultes Fahrrad, nachdem ein SUV frontal in sie hinein gekracht ist. Sie war genau wie du ohne Helm unterwegs."
Kathryns bisheriges Lächeln erstarb. Stattdessen sah sie mitleidig und überfordert auf die Bilder.

„Ist sie tot?", fragte sie dann leise, was Jay mit einem Nicken bejahte.

„Und das ist nicht die einzige Sache, wegen der du heute hättest sterben können. Von der anderen habe ich vom Unfallort keine Bilder mitgebracht, weil es dich genauso traumatisiert hätte, wie es das damals bei mir gemacht hat. Ich habe nur die Fotos von zwei Jungs, die heute genauso alt wären, wie ich es damals war, als ich ihren schwer verletzen Körpern begegnet bin mitgebracht ", spielte er auf die Sache mit dem Zugunglück an.
Kathryn, mittlerweile deutlich ruhiger sah schuldbewusst vor sich hin.

„Schau dir die Kinder auf den Bildern ruhig an. Sie waren 5 und 6 Jahre alt. Tony und James. Von allen nur Jimmy genannt. Sie waren Geschwister und haben genau wie du und Stella in der Nähe der Gleisanlagen gespielt. Eigentlich wollte ich dir die Bilder aus der Pathologie mitbringen, auf denen der eine keine Beine mehr hat, aber Erin hat mir davon abgeraten."

Kya schluckte schwer, sah dann kleinlaut ihren Vater an.

„Sind die auch gestorben?", fragte sie leise, was Jay bestätigte.

„Ja, die sind beide tot", sagte er sichtlich getroffen und begann dann leise zu erzählen.

„Ich war ungefähr 25 und es war mein erstes Jahr bei der Polizei. Mein Kollege und ich kamen aus Statesville, als wir zwei Kinder in der Nähe der Gleise spielen sahen. Dann ging alles ganz schnell. Ehe wir handeln konnten, hörten wir dieses laute Dröhnen, als ob sich ein Zug annähert. Die Jungs haben gespielt. Die haben das viel zu spät mitbekommen. Sie hatten keine Chance. Der Zugführer versuchte noch zu bremsen, aber bei einem Zug ist das nicht wie beim Auto. Der Bremsweg ist viel länger und es dauert eine halbe Ewigkeit, bis er zum Stillstand kommt. Irgendwann kam er dann doch zum stehen und mein Kollege und ich sind sofort los gerannt. Die Kraft des Zuges hatte den älteren Jungen mitgerissen und seinen Bruder hinterher gezogen. Der Kleine war noch am Leben, als wir angekommen sind, aber der ältere der beiden war sofort tot. Durch den Aufprall hat es ihm die Beine weggerissen und seinen Körper in alle Einzelteile zerfetzt. Nur der Torso und der Kopf waren noch übrig."

Kya sah ihren Vater unter Tränen an, der sie streng musterte.

„Und der kleine Bruder?"

„Ist auf meinen Armen gestorben. Die Paramedics konnten ihn kurzzeitig reanimieren, aber die inneren Verletzungen waren so schwer, dass er im Krankenhaus verblutet ist."

Kya sagte nun gar nichts mehr, sah nur sichtlich getroffen vor sich hin.

„Kathryn, das was du da heute mit Stella gemacht hast war lebensgefährlich. Ihr hättet dabei sterben können. Und ich bin nicht deshalb so sauer, weil ich dir irgendwas verbieten will, das dir Spaß macht, sondern weil ich Angst um dich habe. Ich hab die toten Kinder gesehen, die elend an den Folgen ihrer Unachtsamkeit krepiert sind. Und glaub mir, das ist kein schöner Tod, wenn man von einem Zug überrollt wird oder frontal mit einem Auto kollidiert und dann massive Hirnschäden hat, während nacheinander alle Organe aussteigen und die Maschinen abgestellt werden, die dich künstlich am Leben halten, während du schon klinisch tot bist. Das ist dir mit 11 Jahren vielleicht noch nicht klar, aber Erin und ich haben diese Weitsicht, weil wir das selbst gesehen und erlebt haben. Was glaubst du, wie man sich dann fühlt, wenn man ein Kind zu Hause hat, das sich in die gleichen Situationen begibt, wie die, die dabei drauf gegangen sind?", fragte Jay rein rhetorisch und überließ ihr damit selbst, eine Antwort zu finden.

„Das ist Punkt Nummer 1. Punkt Nummer 2 ist, dass du dich in letzter Zeit nicht an Regeln und Abmachungen hältst. Wir verbieten dir den Garten zu verlassen. Du machst es trotzdem. Wir verlangen, dass du deinen Helm trägst, damit dir nichts passiert. Du machst es nicht. Und dein Ton, den du seit ein paar Tagen drauf hast, der geht überhaupt nicht. Das sollte klar sein", sprach Jay mit lauter und eindringlicher Stimme.

„Ich weiß nicht, was da in deinem Hirn vor sich geht. Vielleicht ist es die Pubertät. Vielleicht auch nicht. Aber so wie jetzt funktioniert das zwischen uns nicht. Du kannst hier nicht machen was du willst und dich permanent über unsere Regeln hinweg setzen. Das läuft so nicht. Wohlbemerkt Regeln, die dich schützen sollen. Die wir deshalb aufstellen, weil wir dich lieb haben. Weil du uns nicht egal bist. Und wen jemand permanent meint, dass er das übergehen kann, muss er eben mit den Konsequenzen leben. In dem Fall mit Hausarrest, Computer und Fernsehverbot und Handyentzug."

Sie sah stumm vor sich hin. Jay hatte sie fest im Blick.

„Hast du mir irgendwas zu sagen, warum du in den letzten Tagen und Wochen so austickst?"
Sie verfiel zunächst in Schweigen, öffnete dann leise den Mund.

„Es tut mir leid", sagte sie leise, was Jay nickend zur Kenntnis nahm, nicht aber ohne den letzten Faktor seines Unmuts aufzuzählen.

„Punkt 3. Du hast dich Erin gegenüber heute ziemlich unfair verhalten. Dass sie nicht deine richtige Mom ist, war verletzend und das weißt du auch. Zumal sie dich immer behandelt, als ob du ihre eigene Tochter wärst. Auch wenn du rein genetisch nicht von ihr abstammst, hat sie dich adoptiert und hat damit deine Fürsorgepflicht. Das heißt, dass sie dich damit auch erzieht und dir Dinge verbieten kann. Bist du weiterhin der Meinung das alles zu missachten, haben wir noch andere Optionen. Dann hole ich mir Beistand beim Jugendamt."
Ängstlich sah sie ihren Vater an.

„Du willst mich weggeben?"

„Davon hat niemand gesprochen, aber wenn du der Meinung bist, dass du nicht auf uns hören musst? Dann lasse ich mich beraten, wie das alles besser zwischen uns funktionieren kann."
Sie schüttelte panisch mit dem Kopf.

„Ich machs wieder gut. Ganz wirklich", flehte sie ihn an, aber Jay hielt an seiner strengen Miene fest.

„Bei Erin ist eine Entschuldigung fällig. Das ist dir hoffentlich klar."
Kya nickte emsig, sah ihrem Vater dann angespannt entgegen. Sie hatte jetzt mächtig Respekt vor ihm, spürte, dass sie nur bis zu einem gewissen Punkt gehen konnte und dieser fast erreicht war.
Er machte eine vielsagende Kopfbewegung.

„Na, los. Wir zwei gehen jetzt runter. Du entschuldigst dich und dann denkst du in den nächsten Tagen mal über das nach, was ich dir gerade gesagt habe."

Anständig nickte sie mit dem Kopf. Immer noch sichtlich angespannt sah sie auf die Fotos, die die toten Kinder zeigten.

„Ist das jetzt wirklich passiert oder hast du das nur so gesagt?", fragte sie unsicher, weshalb ein scharfer Blick von Jay nicht ausblieb.

„Natürlich ist das wirklich passiert. Oder denkst du, das habe ich mir ausgedacht?"
Sie schaute wieder schuldbewusst vor sich hin, schüttelte dann mit dem Kopf.

„Nein, ich glaub dir das", gestand sie dann ein, was Jay skeptisch beäugte.

„Na, los komm. Wir gehen runter. War ein langer Tag heute."
Schweigsam folgte sie ihrem Vater die Treppen hinab. Im Wohnzimmer lief der Fernseher, den Erin ausschaltete, als Kya mit knallrotem Kopf vor ihr zum stehen gekommen war.
Sich ihrer Schuld bewusst traute sie sich kaum der Polizistin in die Augen zu sehen.

„Ich wollte... Es tut mir leid, was ich da heute gesagt habe. Das war nicht so gemeint. Ich war einfach sauer", war alles was sie kaum hörbar hervor brachte. Erin nickte verstehend mit dem Kopf.

„Das hat weh getan", sagte sie leise und deutete in Richtung ihres Herzens. Kyas Augen füllten sich mit Tränen, die sie gerade noch wegblinzelte.

„Du weißt, dass ich deine Mutter nicht ersetzen werde, aber mich immer bemüht habe, wie eine Mom für dich zu sein."

Kya nickte still.

„Ich wollte dich nicht verletzen. Manchmal kommen so blöde Sachen aus meinem Mund", sagte sie mit weinerlicher Stimme, die Erin sich innerlich einen Ruck geben ließ. Sie hielt Kathryn versöhnlich die Hand entgegen.

„Entschuldigung angenommen."
Ohne Vorankündigung fiel Kathryn der Polizistin in die Arme, drückte ihren Kopf an ihre Brust, während sie leise weinte.

Mitleidig sahen die Erwachsenen einander an. Die Moralpredigt hatte ihre Wirkung definitiv nicht verfehlt...

eternity (Chicago PD fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt