„Wie kannst du ihr sowas erlauben, Hank? Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet du derjenige bist, der das für gut heißen kann? Gerade nachdem Hailey damals..."
Jay ließ den Satz unbeendet, funkelte seinen Chef mit vorwurfsvollen Blicken an, zu dem er ins Büro zitiert worden war.
„Willst du verantworten, dass ihr was passiert? Du hättest das mit mir absprechen müssen. Wie kannst du sowas machen?"
Aber Voight schüttelte mit dem Kopf.
„Kathryn kann immer etwas passieren. Leben ist Risiko."
„ Kya ist aber keine Polizistin. Das hier ist der falsche Weg. Sie ist dafür nicht gemacht. Sie ist nicht wie Hailey oder ich. Sie ist sensibler, feinfühliger. Und dadurch, dass sie hier alle mit Samthandschuhen anfassen, wird das komplette Gegenteil erreicht. Am Ende hat sie ein völlig falsches Bild von unserem Job und genau das macht ihr die Sache noch interessant."
Aber Voight schüttelte mit dem Kopf.
„ Denkst du, das weiß ich nicht?"
Hank versuchte den Detective zur Ruhe zu mahnen.
„Jay, hör mir zu. Ich nehme deine Zweifel ernst. Ich weiß genau wie du, dass sie niemals als Polizistin enden wird. Aber du hilfst ihr nicht dabei, wenn du denkst, dass du ihr diese Entscheidung und den Prozess, der dieser Tatsache vorausgeht, abnehmen kannst. Dein Erfahrungsschatz ist nicht Kathryns."
„Dann hört auf, ihr diesen Zirkus vorzumachen."
Voight schüttelte mi dem Kopf.
„Halstead, du machst gerade einen großen Fehler. Du siehst nur noch das was du sehen willst und nicht deine Tochter. Ganz davon abgesehen habe ICH diesen Zirkus bewusst angeordnet. Und wenn du nicht nur mit Scheuklappen durch die Gegend rennen würdest, dann könntest du begreifen, warum ich das gerade machen. Eben genau weil sich deine Tochter in den ersten drei Tagen Praktikum schon massiv verändert hat. Aber das bekommst du nicht mehr mit, weil du dich in deiner Angst und der Wut völlig verrannt hast."
Jay sah Voight für einen Moment wie verdattert an.
Was zum Teufel meinte er damit?
Hank sorgte sogleich für Aufklärung.
„Trudy hat Kya gestern Morgen völlig aufgelöst bei der Aktenarbeit vorgefunden. Sie hatte den Fall einer älteren Dame auf dem Schreibtisch. An sich nichts Spektakuläres. Die ältere Frau war seit 10 Jahren verwitwet und hatte einen Herzinfarkt. Und da sie keine Angehörigen hatte, lag sie dann 9 Tage tot in ihrer Wohnung. Das alles hat Kathryn aber so sehr mitgenommen, dass sie völlig verzweifelt war. Und um nicht alles noch schlimmer zu machen, haben wir beschlossen, dass wir das alles ein bisschen ruhiger angehen lassen. Sie ist jetzt schon am Limit. Und das nach einem Tag."
Jay sah seinen Vorgesetzten betroffen an.
„Warum hast du mir das nicht gesagt?"
„Damit du sie gleich ganz zu Hause lässt? Jay, dieses Praktikum ist wichtig für Kya, weil sie nur so lernt, wie sie sich realistisch einschätzen kann. Manchmal ist es auch wichtig, dass man begreift, was man nicht will oder kann, um abschätzen zu können, was besser wäre."
Halstead sah dem Älteren verbissen entgegen.
„Deine Tochter kann unglaublich gut in Krisensituationen reagieren. Einer unserer Cops von der Streife hatte eine blutende Hand und Kya hat sich rührend um die Polizistin gekümmert. Aber wenn Fälle besonders emotional werden oder wenn die Opfer ein Gesicht bekommen und sie diese Ungerechtigkeit spürt, dann bricht sie innerlich zusammen. Und das ist das Problem. Sie kann sich rührend um Menschen kümmern, aber mit Gewalt oder Brutalität kommt sie nicht gut zurecht."
„Mit anderen Worten, sie wäre die bessere Krankenschwester oder Ärztin."
Voight faltete die Hände ineinander, nickte mit dem Kopf.
Jay blickte seinen Vorgesetzten voller Sorge an.
„Hank, versprich mir, dass du gut auf sie aufpasst. Es darf nicht wie bei Hailey werden."
Voight sah ihm nachdenklich entgegen.
„Bevor ihr Praktikum endet, werde ich sie auf ein oder zwei Einsätze mitfahren lassen. Mit Jeff Doherty. Du kennst ihn ja. Er ist ein guter Kollege und ein erfahrener Polizist, der seine Leute immer heil aus Einsätzen herausgebracht hat. Es geht um einen Fall mit wenig Eskalationspotenzial. Ein Kindesentzug, der vom DCFS und von uns begleitet wird. Eine Mutter, die ihrem Partner das Kind vorenthalten hat. Der Vater konnte nun per Gericht erwirken, dass er das alleinige Sorgerecht bekommt. Die Frau ist nicht vorbestraft, verfügt über keinerlei Waffen. Ich habe das Adam das mehrmals abchecken lassen, um das Konfliktpotenzial so gering wie möglich zu halten. Der zweite Fall ist die Ermittlung in einer Einbruchsserie. Da wird Doherty seine Streife nochmals hinschicken. Und dann lasse ich sie noch bei einer Präventionsveranstaltung zu Überfällen mitfahren und dann ist die Woche schon vorbei."
Jay nickte etwas entspannter.
Auch wenn er Voight die Sache noch übel war, schien er doch froh, dass sich sein Chef so sehr um Kathryn bemühte und sie zeitnahe darüber geredet hatte...
_____________________
So sehr Jay die Vorgehensweise seines Chefs auch für kritisch befand. In einem hatte Hank Voight recht behalten, denn Kathryn war stiller geworden.
Mittlerweile war auch der vierte Tag des Praktikums vergangen und die 15 Jährige war oft sehr still geworden, hatte sich immer mehr zurückgezogen.
Nicht selten schlief sie abends völlig erschöpft auf der Couch ein.
Jay musste sie meistens ins Bett tragen. Manchmal ließen sie Erin und er auch direkt im Wohnzimmer schlafen.
Es war der sechste Tag des Praktikums, als etwas geschah, dass Kyas zukünfitgen Berufsweg in geregelte Bahnen lenken sollte.
Wie geplant war sie mit dem äußerst erfahrenen Cop Jeff Doherty zu einem Einsatz aufgebrochen, bei dem das Kind einer Mutter aus einer Wohnung geholt und dem Jugendamt zugeführt werden sollte.
Ein harter Fall, der entgegen Voights Annahme nicht allzu glimpflich ablaufen sollte. Zwar ging die Mutter nicht zur Selbstjustiz über, aber sie klammerte sich hysterisch an ihr Kind, was darin endete, dass 4 Streifenpolizisten den weinenden 5 jährigen Jungen sehr unsanft von seiner Mutter trennen mussten.
Die Erziehungsberechtigte, die sichtlich unter dem Einfluss von Drogen stand und ein regelrechtes Theater veranstaltete, weil sie ihrem Sohn mit ihrem widerspenstigen Verhalten ein hohes Traumatisierungsrisiko aussetzte, sorgte bei der noch sehr jungen Schülerin für spürbare Erschütterung.
Völlig geschockt musste Kya dabei zusehen, wie sie auf unabsehbare Zeit von ihrem Sohn getrennt wurde, was in der sonst so mitfühlenden Neuntklässlerin für sichtliche Loyalitätskonflikte sorgte.
Kya konnte durchaus verstehen, dass das Kind bei einer drogenabhängigen und schwer psychisch mitgenommenen Frau nicht gut aufgehoben war. Sie sah den Sachverhalt aber auch aus der Sicht des Kindes, für den der gewaltsame Kindesentzug ein reines Horrorerlebnis darstellen musste.
Auch wenn sein Vater bereits im Polizeiwagen auf ihn wartete, brannten sich die Schreie des 5 Jährigen noch lange in ihr Hirn ein.
Spätestens als das Team zum zweiten Handlungsort fahren musste, bei dem das Geständnis einer sichtlich mitgenommenen Frau aufgenommen wurde, sollte sich auch Kyas Zustand alles andere als gut erweisen.
Das Fass zum Überlaufen brachte dann die Fallbesprechung bei der Intelligence, an der sie Voight zum Abschluss teilnahmen ließ.
Mitten in der Schilderung des Falls sprang Kya schließlich weinend von ihrem Platz auf, hielt sich schluchzend die Hand vors Gesicht.
Mit den Worten „Ich kann das nicht. Das ist mir alles zu viel", stürmte sie unter Tränen aus dem Raum.
Jay und Erin sahen einander vielsagend an, ehe Voight ihnen eindringliche Blicke entgegen brachte.
Letztendlich war es Lindsay, die beschlossen hatte, nach der Neuntklässlerin zu sehen.
Laute Würgegeräusche schallten zu ihr hinüber und ließen augenscheinlich erahnen, dass sich Kya auf der Toilette übergab.
„Kathryn?", murmelte die Polizistin und öffnete dann die Toilettentür, hinter der das Mädchen über dem Spülbecken kauerte und sich lautstark übergab.
Erin kniete sich hinter sie, strich ihr behutsam über den Rücken, bis Kya nur noch Säure erbrach und sich nichts mehr in ihrem Magen befand.
Dann reichte sie der Jüngeren eine Serviette und betätigte die Spültaste.
„Komm mal mit. Wir gehen nach nebenan zu den Schließfächern. Hier ist nicht der Ort, an dem man das gut besprechen kann", machte sie eine vielsagende Kopfbewegung.
Sie legte der 15 Jährigen freundschaftlich den Arm um die Schultern, führte sie nach nebenan, wo sie ausgelaugt vom Tag mit dem Kopf gegen die Tür eines Spints lehnte.
„Ich habs versaut. Das ist hier einfach nicht meins", sah Kya enttäuscht auf ihre Stiefmutter, die nur belanglos mit den Schultern zuckte.
„Ist doch aber nicht schlimm. Genau dafür ist das Praktikum ja da."
Die 15 Jährige schüttelte entgeistert mit dem Kopf.
„Wie haltet ihr das nur aus? Überall Leid und Elend und Kotze, dann noch diese Ungerechtigkeit. Jeden Tag."
Lindsay sah sie mitleidig an.
„Dafür gibt's kein Patentrezept. Und dass du das nicht kannst oder willst, heißt doch nicht, dass du ein schlechterer Mensch bist. Dein Dad und ich haben uns für diesen Job entschlossen, weil wir Chicago mit kleinen Schritten Tag für Tag ein kleines bisschen besser machen wollen. Das heißt aber nicht, dass das nur dieser eine Weg funktioniert. Es ist nur unser Weg. Es muss nicht deiner sein. Und er ist nicht besser oder schlechter als es deiner sein könnte. Vielleicht wirst du später eine super Ärztin oder eine tolle Krankenschwester."
Missmutig sah die Jüngere ihre Stiefmutter an.
„Glaubst du?"
„Klar?"
Zu mehr kam es nicht, denn kurz darauf steckte Jay seinen Kopf in den Umkleideraum.
Als Kyas Augen auf die Mimik ihres Vaters trafen, wich siegekonnt seinen Blicken aus.
„Ich gebs auf. Das ist hier nicht mein Ding. Bist du jetzt zufrieden?", wisperte sie stumm, während ihr abermals die Tränen über das Gesicht flossen, weil sie innerlich immer noch den kleinen Jungen vor sich hatte.
Jay sah sie besorgt an, ehe er seinen Platz neben Kathryn mit Erin tauschte, dann schüttelte er betreten mit dem Kopf.
Erin gab ihrem Mann zu verstehen, dass sie sich wieder nach oben begab. Dann ließ sie die zwei allein zurück.
Für einen langen Moment herrschte betretene Stelle.
„Nein, Kathryn, ich bin nicht zufrieden. Weil es mir leid tut, dass es dir so schlecht geht und die Woche keinen guten Abschluss genommen hat."
Jay reichte ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich lautstark die Nase putzte. Es roch nach ihm und ohne dass sie es wollte, fühlte sich die Lage gleich ein wenig besser an.
Gedankenverloren sah sie zu der anderen Ecke der Spinte.
„Ich könnte das was ihr hier tut niemals jeden Tag machen. Schon gar nicht wenn Kinder beteiligt sind. Immer dieses Gefühl , dass man handeln muss, wie es das Gesetz verlangt, auch wenn es manchmal völlig unmoralisch ist. Auch wenn die Mist bauen oder Drogen nehmen, sind das ja trotzdem Menschen, oder? Die sind ja auch nur irgendwann vom Weg abgekommen oder haben Gründe dass sie so geworden sind, wie sie sind."
Jay sagte nichts, nickte ihr nur bedrückt entgegen.
„Ich behauüte nicht, dass es in Ordnung ist. Aber der Vorfall mit diesem kleinen Jungen heute..."
Sie bewegte verneinend den Schädel hin und her.
„Ich kriege das nicht mehr aus dem Kopf. Wie sie den von seiner Mutter weggerissen haben. Sicher, sie war nicht ganz unbeteiligt, weil sie Drogen genommen hat und nicht zugelassen hat, dass der Vater sein Kind sehen konnte. Aber für den Kleinen ist es doch trotzdem seine Mutter. Für ein Kind ist das doch schlimm, wenn es sowas erlebt. Genau wie diese Frau, die da stundenlang an dieses Heizungsrohr gefesselt war, als diese Täter ihr gesamtes Haus nach dem Schmuck ihrer Mutter durchwühlt haben. Das war die letzte Erinnerung, die sie an ihre Mom hatte", floss Kya stumm eine Träne über das Gesicht.
Jay tat etwas, das er lange nicht mehr gemacht hatte. Er wischte ihr mit dem Handrücken über die Wange. Sie lächelte ihm traurig entgegen.
„Kathryn, mein Lebensweg oder der Lebensweg deiner Mutter muss nicht automatisch auch deiner sein. Wichtig ist, dass du am Ende des Tages noch in den Spiegel schauen kannst und mit dem was du tust, zufrieden bist. Und das Gefühl habe ich gerade nicht."
Sie nickte zögerlich, sah ihren Vater nicht an.
„Hast du's geahnt, dass das hier nicht zu mir passt? Wolltest du deshalb nicht, dass ich hier arbeite?"
Jay rang sichtlich um Worte, schüttelte nach einigen Sekunden des Zögerns mit dem Kopf.
„Nicht nur. Das hat noch andere Gründe."
„Was für andere Gründe?"
Jay haderte sichtlich. Als er spürte, dass er sich nicht mehr herausreden konnte, beschloss er in die Offensive zu gehen.
„Ich hatte Angst um dich. Eben weil ich weiß, dass du sehr, nennen wir es empathisch, bist? Ein Vater kennt seine Kinder", drückte er es eher vorsichtig aus, was sie seufzen ließ.
Unsicher bewegte sie den Kopf nach vorn.
„Und jetzt?"
„Weißt du, dass du in diesem Leben eher keine Polizistin wirst und suchst weiter, bis du das passende gefunden hast."
„Bist du gar nicht sauer, dass ich das so versaut habe? Gerade als Tochter von zwei Cops?"
Jay schüttelte mit dem Kopf.
„Quatsch. Ich hab dich doch nicht mehr oder weniger gerne, nur weil du in einem bestimmten Job arbeitest."
„Meinst du, Mom würde das auch verstehen?"
Halstead verzog das Gesicht zu einem traurigen Schmunzeln.
„Deine Mom hätte auch gewollt, dass du glücklich wirst. Genau wie ich."
Kathryns Blick schweifte durch den Raum mit den Umkleidekabinen, bis sie an Haileys ehemaligem Spint hängen blieb, auf dem ein Erinnerungsfoto ihrer Mutter klebte.
Voight hatte dafür gesorgt, dass Haileys Schließfach nie wieder vermietet wurde. Bis heute war es in der Ursprungsform mit allen Fotos erhalten geblieben.
Als sie in das aufgeweckte Gesicht ihrer Mutter starrte, wurde ihr bewusst, was ihr Vater damit wirklich gemeint hatte.
Vielleicht war das Leben wirklich zu kurz, um permanent gegen die eigenen Fähigkeiten anzukämpfen..
DU LIEST GERADE
eternity (Chicago PD fanfiction)
FanfictionJay ist im Auslandseinsatz in Bolivien als er von Haileys Tod erfährt. Nachdem Upton auf dem Weg zur Arbeit angeschossen wurde liegt sie im Koma, erleidet schließlich einen Herzstillstand. Nur durch Zufall überlebt das Baby, das sie im Bauch trägt...