Raphael
Schon wieder ein Montag. Nur heute ist es ein anderer Montag, denn diese Woche habe ich frei. Ganze verdammte Woche!
Da ich ein Frühaufsteher war, war ich bereits seit 7:00 Uhr wach. Ich habe wohl schon meine innere Uhr.
Nach meiner morgendlichen Dusche räumte ich schnell das Chaos vom letzten Wochenende weg.
Ich war mit ein paar meiner Freunde und Kollegen bei dieser Benefiz-Veranstaltung gewesen, die jedes Jahr zur gleichen Zeit stattfand. Gute Publicity und so.
Lange Rede, kurzer Sinn: die Kleine, die mich die ganze Zeit über all die Leute hinweg angelächelt hat, hat es bis nach Hause zu mir geschafft. Nach einer kurzen Nacht schickte ich sie wieder nach Hause. Ich habe keinen Bock auf sinnlose Gespräche am Tag danach. Also besser gleich vorher loswerden.
Sie wurde sauer und begann alles, was sie zwischen ihre Finger bekommen konnte, in meiner Wohnung herumzuwerfen. Was für eine Verrückte!
Das habe ich damit gemeint, als ich sagte, dass ich das Chaos vom letzten Wochenende saubermachen musste. Das Chaos, das diese Jenny oder Chantal, oder wie auch immer, angerichtet hatte. In meiner Wohnung!
Nach einer guten Viertelstunde war ich fertig, als ich in der Ecke plötzlich ein Hemd von mir fand. Hey, das habe ich schon gesucht!
Wann hatte ich das das letzte Mal getragen?
Ich sah es mir an, um vielleicht erkennen zu können, wie lange es schon da rum lag.
Plötzlich fiel mir etwas auf. Ein langes blondes Haar hing daran. Es hob sich im Kontrast zu dem schwarzen Hemd extrem ab. Ich nahm das Haar zwischen meine Finger und sah es an.
Ana...
Das Hemd hatte ich die Woche davor auf Jasmin's Geburtstagsfeier an.
Beim Gedanken daran wurde mir heiß und mein kleiner Freund begann zu zucken.
Ana...
Die kleine süße Freundin meiner Schwester hat's mir echt angetan. Sie hatte Feuer, das hat sie mir gezeigt. Seit dieser Taxifahrt schlich sich dieses Mädchen immer öfters in meine Gedanken. Wie sich ihr Körper in meinen Händen anfühlte, wie ich ihren stockenden Atem auf meiner Haut spüren konnte. Wie sie auf mich reagierte.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als plötzlich mein Telefon zu klingeln begann.
Jasmin.
„Ja?" fragte ich sie ein bisschen genervt, weil sie mich aus meinen Tagträumen gerissen hat, die später wohlmöglich mit einem happy end hätten enden können.
Ich hörte ein Schluchzen. „Raphael?" fragte sie.
Sofort wurde ich hellhörig. „Jasmin, was ist passiert?" wollte ich wissen.
„Herr Mayer, Vertreter des Unternehmens ‚Agi' möchte mit dir sprechen." versuchte sie mir klar mitzuteilen.
Ich verstand nicht. Wieso?
Dann erklärte sie mir alles, was in der letzten Woche, als sie krank war, passiert war beziehungsweise in den Augen von Herr Mayer nicht passiert war.
Doch ich erinnerte mich an ihn. Ein kleiner dicklicher Mann, der dachte, dass er ohne großes Zutun einen Haufen Geld von uns mitkassieren konnte. Noch selten hat er sich an unseren Unternehmungen beteiligt. Immer hinten angestanden, aber die Klappe aufgerissen, wenn jemand etwas machte, was ihm missfiel.
„Ich bin auf dem Weg." informierte ich Jasmin und legte auf.
...
In der Kanzlei angekommen, fand ich sie schon aufgelöst vor. Ohne darüber nachzudenken wer ich hier war oder wer uns hier sah, nahm ich sie in meine Arme, um sie zu trösten.
In diesem Moment war ich ihr Bruder, nicht ihr Vorgesetzter.
Sie zog mich mit sich in den Pausenraum, weg von all den Leuten da draußen. Wir setzten uns in die hinterste Ecke.
„Lass mich mit ihm reden." forderte ich sie auf.
Sie blickte nicht auf, sondern dachte angestrengt nach. Hatte sie mich überhaupt gehört?
„Jasmin." wollte ich ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen. „Gib mir seine Nummer. Ich regel' das." versicherte ich ihr.
Daraufhin begann sie durch ihre mit tränengefüllten Augen zu lächeln.
Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr.
Sie sah meinen verwirrten Blick und erklärte mir „Es ist nur so komisch, Ana hat vorhin genau das gleiche zu mir gesagt."
Wäre ich ein Hund, hätten sich meine Ohren, genau in dem Moment, als ihr Name fiel, aufgestellt.
„Ana?" hakte ich nach.
Jasmin nickte. „Ja, sie war wütend. Sie spricht gerade mit Herr Mayer." stellte Jasmin fest.
Gerade als sie den Satz beendet hatte, hörten wir zornige Gesprächsfetzen von draußen.
„Nein, jetzt sind Sie mal still!" hörte ich eine wütende Stimme.
Ich lauschte weiter, um zu wissen, was hier vor sich ging. Jasmin tat das gleiche.
„Sie wollen hier ernsthaft Probleme machen, wegen einer lächerlichen Notiz in der steht ‚Abgabetermin im Oktober'? Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist, wir haben Juni. Welche Dringlichkeit hätte diese Information letzte Woche für Sie gehabt?" konterte die Stimme ihren Gesprächspartner. Sie klang hart, wütend.
Als sie fertig gesprochen hatte, blickte Jasmin mit offenem Mund zu mir.
„Das ist Ana." teilte mir Jasmin mit.
Ich ließ diese Information kurz sacken und sah dabei meine Schwester wachsam an.
„Das ist Ana?" fragte ich überrascht nach, um mir diese Aussage bestätigen zu lassen. Jasmin nickte und hörte weiterhin gebannt zu.
„Was in Ihrem Terminkalender steht, interessiert mich nicht." begann Ana und ihre Stimme wurde lauter. Kam sie hier herein?
Jasmin hörte weiterhin gespannt zu und ließ sich davon nicht beirren, dass Ana gleich zu uns in den Raum kommen wird. Für Jasmin war das gar keine große Sache, dass solche hitzigen Gespräche in der Öffentlichkeit besprochen wurden. Anscheinend dürfte das hier öfters der Fall sein.
„Sie brauchen mir jetzt nicht Fristvereinbarungen per Definition zu erklären, Herr Mayer." sagte Ana scharf und während sie das tat, stand sie auch schon bei uns ihm Raum.
Meine Augen schossen zu ihr.
Sie hatte das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und steuerte auf die Kaffeemaschine zu, uns den Rücken zugekehrt.
„Wie ich in Ihren Akten nachlesen konnte, scheint's mir, als seien Sie auch nicht gerade ein strikter Einhalter der Vertragsvereinbarungen." fuhr Ana fort.
Jasmin musste kurz schmunzeln und hielt sich ihre Hand vor dem Mund, um keinen Ton von ihr zu geben. Ich beobachtete Ana weiter. Sie drückte Tasten auf der Kaffeemaschine und schon strömte mir der Geruch von frisch gemahlenen Kaffeebohnen in die Nase.
„Laut Aufzeichnungen meiner Kollegin, sind Sie mit 50 % der Einnahmen am Projekt ‚Kinder für die Zukunft' beteiligt, jedoch habe ich keinerlei Information darüber erhalten, WIE Sie sich wirklich zu 50 % an diesem Projekt beteiligt haben, um diesen hohen Anteil gerecht erhalten zu dürfen." sagte sie sachlich, doch bestimmt. "Es ist ein Geben und ein Nehmen, Herr Mayer." drohte sie ihm förmlich.
Ich beobachtete, wie sie dastand. Aufrecht, auf beiden Beinen, professionell. Ihre Haare hatte sie heute hochgesteckt und sie trug ein kurzes Sommerkleid. Es war hell und hatte zarte Blumen drauf. Es betonte ihre Taille und ging an ihren Hüften auseinander. Ihre schlanken Beine stecken in offenen Sandalen.
Würde ich sie so auf der Straße sehen, würde ich sie als süß bezeichnen. Doch wie sie jetzt vor mir stand, mit dem Rücken zu uns gewandt, und in voller Action, merkte ich, dass ihr der Ruf als Pitbull gerecht wurde. Ihre Stimme klang straff und sicher. Keinerlei Unsicherheiten waren herauszuhören, was dem Gegenüber leicht aus der Fassung bringen könnte. Man darf süße Mädchen nicht unterschätzen.
„Ich sage Ihnen noch einmal, wenn Sie auf die Idee kommen sollte, diesen lächerlichen Vorfall an die Behörden, dem Geschäftsführer von "QueQue Raf" oder sonst irgendjemanden offiziell weiterzuleiten, der den Ruf dieses Unternehmens und meiner Kollegin schaden könnte, dann werde ich dafür sorgen, dass Sie und Ihr gesamtes Unternehmen aus ALL unseren gemeinsamen Aktivitäten, aus denen Sie sowie viel zu gut aussteigen, ohne richtig einen Finger zu rühren, ohne Widerruf entfernt werden. Wir sind auf Sie nicht angewiesen, Herr Mayer." Ich schluckte. Feuer, ich sag's ja.
„Haben wir uns verstanden?" hakte Ana scharf nach.
Ohne sich richtig zu uns umzudrehen, schnappte sie sich ihre volle Tasse Kaffee und verschwand zur Tür hinaus.
Seit Ana den Raum betreten hatte, musterte ich sie. Erst als sie wieder zur Tür raus war, blickte ich wieder zur Jasmin. Sie sah mich wissend an, doch sagte nichts.
"Das ist unser Pitbull." stieß Jasmin aus und atmete tief durch.
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Mein verdammtes Herz
RomanceIch ließ mich nach vorne und stützte meinen Ellenbogen am Tisch ab, meinen Kopf auf meiner Hand aufliegend. Raphael beobachtete mich. "Schwarz steht dir." gab ich ehrlich zu und sah ihm dabei ins Gesicht. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen...