Chapter 68

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Raphael

Klasse, ich hab's wieder mal verbockt.

Ich habe es schon wieder geschafft, dass ich Ana von mir wegstoße. Dass sie Abstand zwischen uns will. Das merke ich sofort an ihrem Verhalten.

Es verging bislang noch keine Nacht vergangen, in der sich Ana nicht zu mir legte, in der wir noch kurz redeten oder uns küssten. Bis auf heute.

Ich kannte meine Absichten mit Natalie. Wir sollten uns einfach in einem Café treffen und sie will sich über ihr Leben bei mir auskotzen.

Wieso ich das mache?

Keine Ahnung. Natalie's und meine Beziehung ist schon lange vorbei. Ich habe keine Gefühle mehr für sie. Ich halte mit ihr auch sonst keinen Kontakt, bis auf die paar Male, wo sie sich meldete, um von zu Hause zu entfliehen.

Jedoch haben wir uns nicht im Schlechten getrennt. Damals war es einfach das Beste für uns. Wir hätten keine gemeinsame Zukunft gehabt und das wussten wir beide. Ich hasse sie nicht, so wie die meisten ihre Ex hassten. Und sie hasst mich nicht, so wie die meisten ihren Ex hassten.

Sie war mir gleichgültig. Es wäre nicht richtig, wenn sie in meinem Leben wäre, doch ich will auch nicht, dass es ihr schlecht ging. Sie soll so nicht leben müssen.

Aber ich wusste auch, dass sie nicht meine Verantwortung war. Nicht mehr. Ich konnte sie nicht retten.

Ein Teil in mir wollte Natalie helfen und ihr einen Platz der Sicherheit bieten. Sie hatte sonst niemanden. Der andere Teil, Ana's Teil, wusste, dass es unfair war, Kontakt zu meiner Ex zu halten. Vor allem, weil ich wusste, dass Natalie ein heikles Thema war. Welche Ex wäre das nicht?

Wenn ich mir vorstelle, dass Ana mit diesem Kai in ein Café ging und sie Zeit zusammen verbringen würden, könnte ich beim Gedanken daran Wände mit meinen bloßen Händen einreißen.

Ich wusste, dass ich nicht richtig gehandelt habe. Ich hätte von Anfang an offen und ehrlich mit Ana darüber sprechen sollen, schon seitdem sich Natalie bei mir gemeldet hat. Alles wäre besser gewesen, als dass Ana von dem Ganzen so erfährt.

Ich konnte in ihren Augen sehen, wie sie sich fühlte - belogen, betrogen. Und ich konnte es ihr nicht übelnehmen. Ich wollte ihr niemals dieses Gefühl vermitteln. Ana war mein Licht, mein Herz. Sie zu verlieren würde mich komplett in der Dunkelheit zurücklassen. Es würde mir den Boden unter den Füßen wegreißen.

Doch so weit werde ich es nicht kommen lassen. Ganze Nacht konnte ich kaum schlafen. Ich hatte einen Plan.

Ich wollte Ana heute alles erklären. Sie soll meine Beweggründe kennen und ich will in ihren Augen erkennen können, dass sie mir vertraut. Dass sie weiß, dass ich zu 100 % zu ihr stehe. Sie soll keine Angst haben.

Wenn das nicht der Fall ist, dann gehe ich nicht. Wenn ich mich zwischen alter und neuer Liebe entscheiden muss, dann wähle ich Ana. Sie ist meine Priorität.

Ich saß gerade auf Ana's Balkon und rauchte eine Zigarette. Es war kalt, wir hatten ja erst Februar. Als ich drinnen die Tür zum Schlafzimmer hörte, wusste ich, dass Ana wach war. Ich dämpfte die Zigarette aus und betrat die Wohnung.

Ana stand mit dem Rücken zu mir in der Küche und machte sich Kaffee.

Sie trug eine lange Pyjamahose mit dicken Wollsocken darüber. Dazu eines meiner Shirts, das sie sich in die Hose einstrickte, da es ihr sonst zu lange war. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf hochgebunden.

Sie sah süß aus in diesen Oversize Sachen.

Als sie meine Schritte hörte, drehte sie sich kurz zu mir um. „Guten Morgen." sprach sie, drehte sich doch anschließend wieder zur Kaffeemaschine um.

Ihre Stimme klang neutral, ein wenig verschlafen. Ich blieb stehen. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte.

Schon krass, was so ein kleines Mädchen mit einem Mann machen konnte.

„Willst du auch einen?" fragte sie mich plötzlich, als sie einen Knopf drückte und die Maschine zu arbeiten begann. Ich bejahte und so saßen wir beide an ihrem Küchentisch.

Mein Blick lag auf ihr. Ich musterte ihre Gesichtszüge, ich wollte wissen, wie es ihr geht. Sie rieb sich ihr Gesicht wach, bevor ihre Augen ebenfalls auf meinen landeten. Mein Herz schlug automatisch schneller.

„Ana, bevor wir weiterreden, würde ich dir die ganze Sache gerne erklären." übernahm ich das Wort. Ihre Augen lagen wachsam auf meinen.

Also begann ich mit meiner Geschichte.

Ich erzählte ihr vom Zeitpunkt an, an dem Natalie mir schrieb. Zwei Tage zuvor meldete sie sich wie aus heiterem Himmel bei mir und meinte, sie würde es bei sich zu Hause nicht mehr aushalten. Ihr Mann sei gewalttätig und sie habe Angst.

Sie schlug ein Treffen vor, da sie wieder mal von zu Hause weg musste und ihr niemand sonst einfiel, an den sie sich wenden konnte, der nicht mehr als zwei Stunden von ihr entfernt wohnte.

Sie schickte mir noch ein paar Nachrichten, in denen sie mir Ausschnitte von ihrem Leben mit ihrem Mann schilderte. Er hatte ein Alkoholproblem und war fast jeden Abend besoffen. Dadurch wurde er aggressiv und ließ seine Wut oft an ihr aus.

Als ich Ana diese Geschichte erzählte, bemerkte ich, wie sich ihr Blick auf ihre Finger senkte. Sie dachte nach. Meinem Gefühl nach zu urteilen, dachte sie an die Zeit mit Kai. Sie hat mir erzählt, dass er ebenfalls viel Alkohol trank und er sie zum Schluss nicht mehr gut behandelte.

So eine Zeit ließ niemanden kalt. Auch nicht Pitbull.

Kurz darauf richtete sie ihren Blick auf mich, ihre Augen wieder neutral. Sie wollte stark sein.

Ich erzählte ihr von meiner Beziehung mit Natalie. Dass wir nicht im Streit auseinander gegangen waren, aber dass es das Beste war. Das empfand ich sowohl früher so als auch jetzt.

Ich wollte Ana das Bild vermitteln, dass das Feuer zwischen Natalie und mir erloschen war.

Mit diesem Treffen wollte ich Natalie beistehen. Ich konnte es nicht ausstehen, dass sie Angst hatte. Ich wollte ihr aber auch begreiflich machen, dass das kein Dauerzustand sein kann.

Ich war gerne für sie da, wenn sie was brauchte, aber sie kann nicht von mir erwarten, dass sie zu mir laufen kann, um dem ganzen zu entfliehen. Ihr Problem würde dadurch nicht gelöst werden und ich selbst würde ein Problem mit Ana bekommen. Das will ich vermeiden.

Ana schien meine Sicht der Dinge verstehen zu können. Auch wenn sie nicht sonderlich begeistert wirkte, so konnte sie sich in Natalie's Situation versetzen.

„Es kann einfach keine dauerhafte Lösung sein bei ihrem Mann zu bleiben. Und wenn doch, dann soll sie dich da nicht mitreinziehen." sprach nun Ana, als ich fertig erzählt hatte. Ihre Stimme klang hart. Sie meinte es ernst.

Ich musterte ihr Gesicht. Sie verstand, dass Natalie jemanden um Hilfe bittet, nur gefiel ihr nicht, dass dieser jemand genau ich war. Sie war eifersüchtig.

Genau dieses Gefühl wollte ich ihr nehmen.

„Das will ich ihr sagen. Sie kann sich deswegen nicht regelmäßig bei mir melden." sprach ich. „Ich will nicht, dass das zwischen uns zum Problem wird." fügte ich noch hinzu und meinte damit Ana und mich.

Im Notfall war ich gerne für Natalie da, doch ich kann nicht ihr Therapeut werden, den sie regelmäßig sieht. Das musste ich ihr klipp und klar sagen.

Ich bemerkte, dass Ana's Blick etwas sanfter wurde. Kommunikation war ihr immer schon wichtig gewesen und diese scheiß Sache aus meinem Blickwinkel zu hören, machte es für sie leichter zu verstehen.

„Aber wieso hast du es vor mir verheimlicht? Denkst du nicht, dass wir uns einiges ersparen hätten können, wenn du mir diese Geschichte bereits vor zwei Tagen erzählt hättest?" fragte sie mich nun, sie sah mich abwartend an.

Sie hatte Recht.

„Ich wollte dir das ganze nie verheimlichen. Ich hätte mich nie mit Natalie getroffen, ohne dass du Bescheid wusstest." war das Erste, was ich sagte. Es war mir wichtig, dass Ana das wusste.

„Ich wollte nicht, dass du das in den falschen Hals kriegst. Nicht, dass es jetzt besser gelaufen wäre, aber ich habe einfach zu viel nachgedacht." Ich überlegte kurz.

„Ich hätte zuallererst mit dir reden sollen, bevor ich dem Treffen mit Natalie zustimmte. Das habe ich jetzt auch bemerkt. Tut mir leid, dass ich das nicht gemacht habe." Ich blickte ihr in die Augen.

Ich meinte jedes Wort so, wie ich es sagte. Ana war mir zu wichtig, um aus Stolz oder Sturheit meine Fehler nicht einzusehen.

Sie nickte. „Okay." sprach sie leise. Ihre Augen begegneten meine. Sie wirkte zwar nicht mehr erschlagen, wie zuvor, aber auch noch nicht so happy wie ich sie kannte. Sie brauchte Zeit. Es war viel auf einmal.

Sie dachte eine kurze Zeit nach. „Raphael, ich vertraue dir. Wenn du mir das so erzählst, dann glaube ich dir das." sprach sie und sah mich an.

Das war ja eigentlich was Gutes. Sie vertraute mir. Ein wohlig warmes Gefühl machte sich in mir breit. Ich nickte ihr zu, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich sie hörte. Sie kann mir vertrauen.

„Aber bitte vergiss das nicht." fügte sie fast kleinlaut hinzu. Ihr Blick auf ihren Händen.

Da war es also. Das kleine ‚aber' danach. Ich konnte ihr ansehen, dass sie irgendetwas bedrückte.

Sie hatte Angst, dass ich ihr Vertrauen brechen könnte, das sie sich mit mir aufgebaut hatte. Sie hatte zugelassen, dass sie mir vertraute und ihre Mauern fallen gelassen. Nach all dem Scheiß mit Kai hatte sie Schwierigkeiten damit. Das wusste ich. Sie wollte sich nicht verletzlich machen.

Doch ich hatte nicht vor sie zu verletzen.

„Niemals." antwortete ich ihr, als ich über den Tisch hinweg ihre Hand in meine nahm. Sie wirkte winzig im Vergleich zu meiner großen.

Vorher muss schon die Welt untergehen.


Mein verdammtes HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt