Chapter 74

425 8 0
                                    

Ana

Wenn ich sagen würde, dass ich die schwerste Zeit in meinem Leben hinter mir hatte, wäre das gelogen.

Das Begräbnis meiner Mutter war nun zwei Monate her.

Anfangs dachte ich mit jedem weiteren Tag würde es leichter werden. Ich würde mich daran gewöhnen, dass sie nicht mehr hier war und dass ich sie nicht mehr einfach anrufen und sie besuchen konnte, wie ich wollte.

Doch so war es nicht.

Leichter wurde es nicht, man lernt nur damit umzugehen. Die Therapiestunden haben mir sehr dabei geholfen.

Mittlerweile gelang es mir an sie zu denken, ohne direkt weinen zu müssen. Ich versuchte mich an unsere schönen Momente zu erinnern und nicht an das schwarze Loch, in das ich kurze Zeit gefallen war.

Mein Vater lag nun bereits einige Wochen fast leblos im Krankenhaus. Alles blieb unverändert. Ich versuchte ihn so oft ich konnte zu besuchen. Zu denken, dass er allein in diesem kahlen Krankenhauszimmer lag und ihn außer Raphael und mir niemand sonst besuchen kommen könnte, brach mein Herz.

Jeden Tag war es mir nicht möglich, doch es gelang mir doch 4-5 mal die Woche zu ihm zu kommen.

Raphael unterstützte mich von Anfang an. Egal was ich brauchte, er erledigte es für mich. Egal was ich wollte, er versuchte es mir zu ermöglichen.

Er war einfach großartig.

Ohne ihn, hätte ich das so nicht geschafft. Er war mein Fels in der Brandung. Wenn ich schwach war, war er stark für mich.

Ich wusste Raphael ist es. Er ist der Eine für mich.

Dadurch, dass ich nun viel Zeit im Krankenhaus bei meinem Vater verbrachte, rief er mich jeden Tag nach der Arbeit an, nur um zu sehen, wie es mir ging und was ich machte.

Doch zeitweise merkte ich selbst, dass es auch für ihn viel wurde.

In den letzten Monaten drehte sich fast alles um dieses Thema. Es verging kein Tag, an dem ich wir nicht darüber sprachen. Die Stimmung in unserem Zuhause hatte deshalb einen düsteren Schatten angenommen.

Zuhause war der einzige Ort, an dem ich so sein konnte, wie ich mich fühlte. Den ganzen Tag hindurch - egal ob in der Arbeit, im Krankenhaus, bei Besuch von Raphael's Familie oder unseren Freunden - wollte ich stark sein. Ich wollte mich zusammenreißen und nicht ständig in meiner betrübten Blase sein.

Doch abends, wenn alles still wurde und ich zu Ruhe kam, schweiften meine Gedanken automatisch ab. Ich wollte das gar nicht, doch es passierte einfach.

In den ersten paar Wochen verging kein Abend, an dem ich nicht weinen musste. Es war mir zeitweise zu viel. Mittlerweile gewöhnte ich mich an die Situation und konnte meine Gefühle besser kontrollieren.

Der Tod meiner Mutter war das eine. Ich hatte damit zu kämpfen, dass sie von nun an nicht mehr in meinen Leben sein wird und dass sie so wichtige Dinge in meinem Leben verpassen würde.

Es war schlimm daran zu denken, doch hier gab es einen Abschluss. Ich konnte mich von ihr verabschieden. Ich konnte mich damit auseinandersetzen, dass sie nicht mehr da war.

Das andere war das Bangen um das Leben meines Vaters. Ich wusste nicht, ob ich je wieder seine Stimme hören könnte. Ob er mein Leben weiter wie bisher an meiner Seite verbringen würde oder nicht.

Hier hatte ich keinen Abschluss. Jeden Tag kamen neue Fragen auf ‚Was wäre wenn'. Jeden Tag gab es neue Information, die mich manchmal mehr und manchmal weniger mitnahmen.

Raphael war derjenige, der am Ende des Tages da war. Mit ihm sprach ich über meinen Tag und infolgedessen auch über meine Gedanken und Ängste.

Vor allem nahm mich der Verkauf meines Elternhauses mit. Selbst wenn mein Vater aufwachen würde, könnte er nicht mehr allein leben. Das meinten die Ärzte. Also musste ich es verkaufen.

Er war verständnisvoll und hörte mir zu, jedoch wusste er nach all den Wochen selbst nicht mehr, wie er mich aufbauen konnte. Niemand konnte mich wirklich aufbauen, da niemand wusste, was passieren wird. Das wusste ich auch.

Ich bemerkte, dass sich Raphael zurückzog. Er wollte mir nicht das Gefühl geben, dass er sich nicht für mich und meine Gedanken interessierte, doch er wusste selbst nicht mehr weiter.

Ich bemerkte, dass er wegen der Stimmung zuhause öfters wegblieb und sich nach der Arbeit noch ein Bier mit seinen Kollegen genehmigte.

Ich hatte kein Problem damit. Ich wusste selbst, dass das alles nicht einfach war. Weder für mich noch für ihn. Ich konnte ihn verstehen, dass er dem ganzen mal entfliehen wollte und mal über was anderes als meine negativen Gedanken sprechen wollte, die vielleicht sowieso nicht eintreten würden. Wer weiß.

Ich selbst merkte natürlich auch, dass Raphael und ich weniger Zeit zusammen verbrachten als früher. Unsere Date-nights zuhause oder unsere Ausflüge, die wir öfters zusammen unternahmen, blieben oft auf der Strecke, da ich entweder bei meinem Vater war oder ich mir Gedanken über meinen Vater machte.

Auch Sex hatten wir seitdem her nicht oft. Ich war oft gedankenverloren in einer anderen Welt und auch wenn wir mal Sex hatten, war es nicht so leidenschaftlich wie sonst. Ich war mit meinem Kopf wo anders.

Wir hatten es gerade nicht einfach.

Raphael war mir ein guter Freund, er versuchte, mit allem, was in seiner Macht stand, mich glücklich zu machen. Doch diese Situation überragte seine Macht bei weitem.

Ich wusste, dass nur ich mir helfen konnte, indem ich mich nicht so sehr davon vereinnahmen ließ. Manchmal gelang es mir besser, manchmal weniger.

Ich wollte mich zusammenreißen. Für Raphael. Für mich. Für uns.

Die Zeiten werden besser werden, davon war ich überzeugt. Ich muss nur daran arbeiten. Und das tat ich. Das versuchte ich.


Mein verdammtes HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt