"Ich kann nicht glauben, dass wir sie gleich sehen." brabbelte ich aufgeregt vor mich hin, als wir die stickige Galerie entlang gingen. Es mochte hier zwar eine Klimaanlage geben, aber für die vielen Leute, die sich hier drängten reichte diese ganz einfach nicht aus. Auch war es erstaunlich ruhig, da jeder sich bemühte eine angemessene Lautstärke zu bewahren. "Schau! Da vorne ist sie!" rief jetzt auch Luke mit gedämpfter Stimme ganz aufgeregt und deutete auf eine helle Wand mitten im Raum um die sich eine ganze Menge Leute drängten. Von dem Gemälde, welches die Aufmerksamkeit von etwa 97 % der im Raum befindlichen Personen einnahm, war nichts zu sehen. Es wurde vollkommen von den verschiedensten Besuchern verdeckt.'Es tut mir etwas leid, für die anderen Werke in diesem Raum.' schoss es mir durch den Kopf. Immerhin wurden sie vollkommen von der Wichtigkeit des im Zentrum Befindlichen überschattet und ihnen wurde nur wenig von der Aufmerksamkeit gewidmet, die sie eventuell verdienten. Doch auch ich was nicht besser. Mit eiligen Schritten, nährte ich mich der zentralen Wand. Dicht neben mir lief Luke. Wir hielten uns nicht an den Händen, da wir nicht den Missmut der Leute wecken wollten, die uns eventuell doch beachteten und sich dadurch irgendwie belästigt fühlen könnten. Eigentlich wären wir vermutlich gar nicht auf die Idee gekommen, dass sich jemand von uns im selben Raum belästigt fühlen konnte, wenn sich nicht ein älteres Ehepaar mit feinstem britischen Akzent im ersten Raum des Louvre, den wir betraten über unser "unfassbar ungehobeltes Verhalten" echauffierten. (Wir hatten uns eigentlich nur an den Händen gehalten und uns glücklich, darüber endlich rein gekommen zu sein, angestrahlt.) Ich hatte ein unangenehmes Drücken in der Brust gespürt und sofort Lukes Hand losgelassen, ganz der Auffassung, dass wir die anderen Besucher gar nicht erst mit solchen Berührungen provozieren sollten, so würde uns schließlich auch deren Meinung verborgen bleiben. Zum Glück war Luke nicht so ausgerastet wie am Eiffelturm - wobei ich seine Reaktion vollkommen verstehen konnte - aber irgendwie mussten wir ja lernen mit solchen Reaktionen umzugehen und da war ein solcher Gefühlsausbruch meiner Meinung nach nicht unbedingt der beste Weg für. Außerdem wären wir bei einem solchen Aufstand Vermutlich direkt wieder aus dem Museum geflogen.
Nach einem kurzen Gespräch entschieden wir uns dafür, es ähnlich wie in der Schule zu machen und uns in der Öffentlichkeit nur noch wie beste Freunde zu verhalten. Was zwar mir und ich glaubte auch ihm schmerzte, aber es war das Beste. Was genau jetzt eigentlich zwischen uns war, wusste ich auch nicht genau. Aber ich wollte es auch gar nicht wissen, Schließlich war es doch so Okay, wie es gerade war und demzufolge mussten wir auch nicht darüber reden.
Nun standen wir also endlich vor dem berühmtesten Gemälde der Welt. Luke stand ziemlich dicht neben mir, das konnte ich genau spüren auch ohne hin zu sehen, da seine Nähe auch ohne Berührungen, mich ziemlich nervös machen konnte. Ich starrte Ehrfurcht erfüllt auf das Bild und ließ meinen Blick über diese populären Linien fahren. "Sie ist wunderschön." kam es aus meinem Mund, ohne, dass ich die Gelegenheit dazu hatte mir Gedanken über meine Worte zu machen. "Das ist sie." bestätigte Luke und ich wollte nach seiner Hand greifen, um diesen Moment mit ihm noch intensiver zu erleben. Meine Fingerspitzen streiften seine Handinnenfläche und ich musste mich selbst daran erinnern, was wir uns abgemacht hatten. In diesem Moment wurde mir plötzlich klar, wie schwer es werden würde ihn nicht einfach wann ich wollte berühren zu können und ich stellte unseren schnell durchdachten Plan in Zweifel.
"Es sieht wirklich so aus als würde sie mich ansehen." holte Luke mich aus meinen Gedanken und ich stimmte ihm nickend zu. Diese Kunst, die sich so viele Jahre gehalten hatte, hatte immer noch diese beeindruckende Wirkung, von der man sprach. Ich versuchte mir das Bild genau einzuprägen und fragte mich warum man es mit so einem dämlichen gelb gemuschelten Hintergrund in Kontrast gesetzt hatte. Während ich es so betrachtet malte ich mir aus, welchen Weg es durch die verschiedensten Intrigen genommen hatte. Um kein Bild ranken sich so viele Mythen und Geheimnisse wie um dieses. Warum lächelte sie? Wer war die Frau auf dem Bild? Warum malte Leonardo da Vinci eine ganz unbedeutende Frau? Oder war sie die verbotene Tochter eines wohlhabenden Edelmannes? Durch meinen Kopf schossen die verschiedensten Theorien, die ich über sie gehört hatte, während ich langsam im Bild versank und nichts weiter wahr nahm, als die angedeutete Landschaft Frankreichs, dieses verzaubernde Lächeln und natürlich den Jungen neben mir, ohne den ich nie wieder sein wollte. Ich stellte mir vor wie wir gemeinsam auf einem alten Holzwagen, die sandige Straße entlang fuhren und in der Ferne den bekannten Maler bei seiner Arbeit beobachteten. Sechzehn Jahre soll er daran gearbeitet haben. Ob er dann wohl jedes Mal vor dieser Kulisse stand? Vielleicht hatte er ein fotografisches Gedächtnis, wodurch er das berühmte Lächeln in einem Moment einfangen und dann auf seine Leinwand bringen konnte. Er trug das Bild wohl immer bei sich, um jeder Zeit daran arbeiten zu können und schuf so das Werk, welches man heute als Perfektion in der Kunstwelt anerkannte. "...es wurde am 21. August 1911 von Vincenzo Peruggia einem einfachen Anstreicher gestohlen, welcher im Gebäude für die Herstellung von Schutzgläsern für die Rahmen der Gemälde verantwortlich war..." ertönte die laute Stimme einer deutschen Museumsführerin, die mich aus meinen Träumereien riss. "...dieser Diebstahl, verhalf dem Gemälde zu seinem Ruhm. Sein Verschwinden wurde in der ganzen Welt bekannt und bot Fälschern eine geeignete Grundlage um Ihre Duplikate zu versetzten. Zwei Jahre später jedoch tauchte das Bild, samt Dieb, wieder auf und kann nun hier im Louvre besichtigt werden." interessiert lauschte ich ihrer, für meinen Geschmack, viel zu lauten Stimme, denn was sie zu sagen hatte klang für mich sehr interessant. "Es ist leider unklar, wen Leonardo da Vinci mit diesem Werk verewigte. Im Gegensatz zu all seinen anderen Werken, zu welchen es umfangreiche Notizen und Erklärungen gibt, schrieb er zu diesem kein Wort. Das bietet natürlich viel Platz für Spekulationen. Die anerkannteste These besagt, dass das Bild Lisa del Giocondo zeigt, die Frau eines florentinischen Seidenhändlers, der das Bild bei Leonardo in Auftrag gegeben hat. Diesem jedoch widerspricht eine Notiz bei welcher der Maler angibt das Gemälde im Auftrag von Guiliano de Medici gemacht zu haben. Das Gerücht, das Bild zeige gar keine reele Frau, sondern da Vincis Vorstellung einer perfekten Mutter, hält sich ebenfalls wacker. Die wohl gleichzeit absurdeste und fantsiereichste Theorie jedoch besagt, dass Leonardo da Vinci eine Vorliebe für Männer bzw. Jungen hatte und das Gemälde seinen Liebhaber in Frauengestalt zeigt. Keine dieser Theorien ist jedoch bewiesen. Das Bild wurde nach seinem Tod an Franz I König von Frankreich verkauft. Es war..." weiter konnte ich jedoch ihren Ausführungen nicht folgen. Ihre laute Stimme wurde von meinen noch lauteren Gedanken übertrumpft. Der berühmteste Maler der Welt Leonardo da Vinci stand auf Männer? Die Mona Lisa war eigentlich ein junger Mann?
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Religious
RandomJohn ist überzeugter Christ. Sein ganzes Leben führt er nach den Lehren Gottes und zweifelt nie an ihrer Richtigkeit. Doch dann taucht plötzlich ein neuer Schüler auf und wirft ihn in einen Konflikt zwischen seinem Glauben und seinen Gefühlen. "Wa...