Der Gottesdienst war fantastisch gewesen, auch wenn ich nicht alles fehlerfrei verstanden hatte, war doch die Atmosphäre einmalig gewesen und das Gebäude beeindruckend. Ich stufte dieses Erlebnis auf jeden Fall als eins der besten hier in Paris ein, mit Luke wäre es vermutlich das beste gewesen. Schon sank meine beflügelte Laune wieder und ich ließ die Schultern ein wenig hängen, als ich gemeinsam mit etwa hundert anderen Gottesdienst-Besuchern, in die Dämmerung trat.
Ich hatte noch eine Weile einen goldenen Anhänger an dem kleinen Verkaufsstand am Ausgang bewundert. Er zeigte Jesus am Kreuz und war wunderschön gearbeitet gewesen, leider hatte er auch einen stolzen Preis von 110 Euro, sodass ich nicht wütend Lukes Geld dafür ausgeben konnte, von dem ich auch noch zehn Euro in die Kollekte getan hatte.
Nun überquerte ich den Platz um mir einen Plan zu machen, wie ich um diese Uhrzeit ins Hotel kommen sollte, um mir kurz darauf einzugestehen, dass ich weder wusste wo genau ich eigentlich hin musste, noch eine ungefähre Ahnung hatte, wie weit es dorthin war.
Trotzdem war ich immernoch zu stolz, um in das Taxi zu steigen, welches jetzt direkt vor mir am Straßenrand stand. Bei näherem hinsehen erkannte ich, dass es sich sogar um den Fahrer von vorhin handelte, der gerade von seiner Zeitung aufschaute, als die Turmuhr acht schlug. Suchend ließ er seinen Blick über den Platz schweifen, bis er bei mir hängen Blieb und mich mit einem breiten Grinsen begrüßte. Er winkte mich zu sich ins Auto. Was ging hier vor? Ich schüttelte den Kopf und machte mich auf, die Straße runter zu gehen. Nach etwa zwanzig Metern, stellte ich verwundert fest, dass mir das Taxi folgte und warf dem Fahrer einen entnervten Blick zu. Dieser hielt jetzt ein Schild hoch auf dem 'Bitte John, steig ein' zu lesen war und ich rollte die Augen. Ich drehte mich demonstrativ wieder um und lief weiter die Straße hinunter. Das konnte doch wirklich nicht wahr sein. Als ich an der ersten Kreuzung stand ließ ich meinen Blick ratlos von links nach rechts wandern und zuckte zusammen, als es neben mir hupte.
Der Fahrer hatte jetzt ein neues Schild in der Hand mit dem er mir grinsend zuwinkte. 'Bitte Baby!' stand darauf.
Mit einem entnervten Stöhnter öffnete ich die Autotür und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen.Dieser Idiot konnte noch was erleben!
Nachdem der Taxifahrer, der die ganze Zeit grinsend indische Musik aus dem Radio mitgemurmelt hatte, mich vor unserem Hotel rausgeworfen hatte und ich mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren war stand ich nun etwas pessimistisch vor unserer Zimmertür.
Auf der einen Seite war ich müde und wollte endlich in mein Bett. Auf der anderen Seite jedoch wusste ich, dass es wieder Streit geben würde, wenn ich dich die Tür gehen würde und das wollte ich auch nicht.
Ich argumentierte eine Weile mit mir selbst und kam zu dem Schluss, dass ich wohl oder übel klopfen musste.
Meine eher halbherzigen Klopfer waren so leise, dass man sie kaum hörte, trotzdem wurde die Tür schnell von einem müde wirkenden Luke in Jogginghose geöffnet. Er sagte nichts und auch ich ging wortlos an ihm vorbei mit meinen Schlafsachen ins Badezimmer.
Als ich wieder heraus kam, war Luke nicht da und ich legte mich, nach dem Gebet zum Komplett, mit dem Rücken zur Tür und zu seiner Betthälfte hin und betrachtete den strahlenden Eiffelturm im Fenster. Wie konnte er mich an so einen wunderschönen Ort bringen und dann wurde alles so? Es kam halt nicht darauf an wo man war, sondern mit wem man war.
Luke kam, gegen halb elf wieder und ich spürte, wie er ebenfalls ins Bett kam.
Wir hatten keinen Streit. Nein, es war viel schlimmer, wir redeten gar nicht miteinander.
An diesem Abend konnte ich überhaupt nicht einschlafen. Ich wälzte mich von links nach rechts und starrte in die Dunkelheit. Das Gefühl, der Sicherheit, dass ich in Lukes Armen immer hatte, fehlte mir und ließ mich in einen unruhigen Halbschlaf sinken.Irgendwann in der Nacht wachte ich auf, als sich ein Arm um meine Hüfte schlang und in Richtung Bettmitte zog. Ich spürte seinen Atem meinem Hals und brummte unzufrieden. Was wollte er denn jetzt?
"Es tut mir doch leid, Baby. Bitte verzeih mir." brummte er gegen meinen Hals und ich grummelte wieder. Wenigstens gab er quasi zu, dass er schuld hatte. "Bitte, ich kann nicht ohne dich schlafen." murmelte er weinerlich und ich gab nach. Ich liebte ihn ja und schließlich konnte ich selber auch nicht schlafen ohne ihn.
Er zog mich in seine Arme und umhüllte mich mit seiner Wärme und seinem betörenden Duft. Ich fühlte mich vollkommen und wohl und legte meinen Kopf an seine Brust. Wann war ich nur so abhängig von ihm geworden? Ich ruckelte noch ein wenig umher, um eine bequeme Position zu finden.
Es dauerte keine zwei Minuten mehr bis ich endgültig in einen tiefen Schlaf sank.
Am nächsten Morgen wurde ich durch das leise Brummen eines Handyweckers wach. Luke bewegte sich und der Wecker verstummte, dann spürte ich wieder einen Arm, der über meiner Schulter lag. Luke drückte seine Nase in die kleine Furche unter meinem Kiefer, was mich kichern ließ. Ich genoss seine Berührung auf meiner Haut und war gerade dabei wieder einzuschlafen als plötzlich hochschreckte. Wie spät war es? Ich schaute auf meine Armbanduhr. Kurz vor acht und schon wieder hatte ich das fünf Uhr Gebet verschlafen. Es war so schwer die Zeiten der Gebete einzuhalten, wenn ich nicht in meinem gewohnten Alltag lebte. Zu Hause läutete um fünf die Glocke, damit ich nicht verschlief und dort stand auch jeder andere mit mir auf. Hier hatte ich zwar eigentlich meine Armbanduhr, die zu jeder Gebetszeit ein leises piepen von sich gab, aber leider überhörte ich sie immer häufiger einfach. Die Terz-, Sext- und Nongebete fasste ich zwar meist in einem langen Mittagsgebet zusammen, aber auch das vergaß ich immer öfter und das Gebet zur Vesper um 18 Uhr vergaß ich immer häufiger vollkommen. Zum Glück betete man das Gebet zum Komplet immer vor dem Schlafen gehen, sonst würde ich das vermutlich auch noch vergessen.Ich rappelte mich also seufzend auf und befreite mich, nach einigen unzufriedenen Murrern und einer ganzen Menge Kampfgeist aus Lukes Umarmung, der gerade zu einer Frage ansetzten wollte, als ich mich vor das Bett kniete, in dem er immernoch lag, und das Gebet anfing.
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Religious
RandomJohn ist überzeugter Christ. Sein ganzes Leben führt er nach den Lehren Gottes und zweifelt nie an ihrer Richtigkeit. Doch dann taucht plötzlich ein neuer Schüler auf und wirft ihn in einen Konflikt zwischen seinem Glauben und seinen Gefühlen. "Wa...