24. ~ Sozialarbeiter am Hals

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~ Carlos ~
Mit Kopfschmerzen und einer verstopften Nase lag ich im Bett und grinste total behindert vor mich hin. Ich hatte mir zwar die ganze Nacht lang den Arsch abgefroren und mich dabei fett erkältet, aber trotzdem war es die allerschönste Nacht meines Lebens gewesen. Obwohl es eigentlich total unpassend gewesen war, hatte ich mich auf dem Friedhof einfach nicht mehr zurückhalten können und hatte sie geküsst.

Ich hatte zwar total Panik davor gehabt, dass sie mir eine reinhauen würde, aber sie hatte es nicht getan! Sie hatte mich sogar zurückgeküsst. Ich glaube, ich war im Moment der glücklichste Mensch auf dieser Welt. Und es war mir scheissegal, ob ich mich erkältet hatte, Hauptsache Lilly hatte nicht kalt gehabt mit meiner Jacke.

Nachdem wir eine Ewigkeit eng zusammengekuschelt am Strand gesessen und aufs Meer hinausgeschaut hatten, gingen wir schliesslich wieder zurück zum Bahnhof. Wir hatten gleich den ersten Zug um fünf Uhr morgens zurück nach London genommen und nach dem ich Lilly zu Nick nach Hause gebracht hatte, habe ich mich endlich in mein warmes Bett verkriechen können. Wo ich jetzt immer noch lag,  obwohl es bereits fünf Uhr nachmittags war.

Trotz der Wärme und Gemütlichkeit meines Bettes entschloss ich mich, mal langsam aufzustehen. Mom und Dad waren zum Glück nirgends zu sehen, sodass ich mich im Wohnzimmer mit einer heissen Tasse Tee zu Ruben und Luiza aufs Sofa fallen liess und mir irgendwelche Kindersendungen im Fernsehen reinzog.

Den Rest der Ferien verbrachte ich krank im Bett. Lilly und ich telefonierten jeden Abend bis tief in die Nacht hinein. Ich war so froh, sie zu haben, denn sie schaffte es jedes Mal, mich irgendwie zum Lachen zu bringen. Sogar mein Vater liess mich ausnahmsweise mal in Ruhe, was jedoch nur vorübergehend anhielte, da war ich mir sicher. Nur Mom konnte es nicht lassen, täglich an mir rumzunörgeln, aber daran hatte ich mich schon lange gewöhnt.

Silvester verbrachte ich mit Lilly, Nick, Logan, James und Miguel. Wir zogen lachend und halbwegs betrunken durch die Strassen. Als es dann Mitternacht schlug stiessen wir mit Wodka Shots an und Lilly und ich küssten uns, während rings um uns herum Leute ihre Feuerwerke in die Luft jagten. Es war wunderschön und ich schoss jede Menge Fotos mit meinem Handy, damit ich niemals diesen Moment und Lillys glückliches Lachen vergessen würde.

Obwohl ich mich prächtig amüsierte, vergass ich Luca nicht. Denn dies war das allererste Silvester aller Zeiten, das ich ohne ihn verbrachte. Wir hatten seit wir klein waren jedes Jahr zusammen gefeiert. Als wir noch Kinder waren hatten wir miteinander gespielt und es genossen, dass wir bis Mitternacht aufbleiben durften und seit wir alt genug waren, gingen wir auf  Partys und betranken uns. Was er jetzt wohl gerade tat?

Bestimmt war er mit ein paar aus unserer Klasse feiern gegangen. Wahrscheinlich mit Alex, Jasmin oder irgendwelchen anderen Leuten. Früher hatten wir öfters mit Alex und Jasmin gechillt. Alex war ein schlankes Mädel mit honigfarbenen Haaren und grasgrünen Augen. Ich hatte sie immer sehr gemocht, da sie etwas zurückhaltend war und einem immer zuhörte, wenn man sie brauchte. Jasmin war das genaue Gegenteil von ihr. Sie war eine temperamentvolle Italienerin, die immer laut rumschreien und zu allem ihren Senf dazugeben musste. Trotz dieser Unterschiede waren die beiden beste Freundinnen und Luca und ich hatten uns auch immer prächtig mit ihnen verstanden.

Neben Luca vermisste ich die beiden am meisten. Letztes Jahr hatten wir alle vier zusammen in einer alten, verlassenen Bruchbude Silvester gefeiert. Es war der Oberhammer gewesen. Wir hatten die ganze Nacht durchgefeiert und am nächsten Morgen waren wir so kaputt, dass wir in dieser alten Hütte einpennten. Mir kamen fast die Tränen, als ich an diese alten Zeiten zurückdachte.

Zum Glück lenkte mich Nick in diesem Moment von meinen düsteren Gedanken ab, indem er mir einen Joint in die Hand drückte. Normalerweise kiffte ich nicht, aber ich wollte mich ablenken und meinen Spass haben und es war ja schliesslich Silvester, da konnte ich mir das schon mal erlauben. Nachdem ich einen Zug von dem Joint genommen hatte, spürte ich sofort die Wirkung des Marihuanas. Die ganze Anspannung löste sich von mir und ich konnte endlich die Nacht in vollen Zügen geniessen, ohne die ganze Zeit über mein verkorkstes Leben nachzudenken. Hm, vielleicht sollte ich öfters kiffen, das Zeugs war wirklich gut.

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