34. ~ Sehnsucht & Einsicht

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~ Lilly ~

Mit etwas zu viel Schwung pfefferte ich meine Handtasche in die Wohnung hinein, während ich mir die Schuhe von den Füssen streifte. << Hey Leute! Ich bin wieder da! >>, schrie ich aus vollem Hals und eilte meiner Handtasche hinterher in die Wohnung.

<< Hey Chica! >>, antwortete Logan knapp aus dem Wohnzimmer. Ich folgte seiner Stimme und stellte fest, dass er mit James am Zocken war. James war so vertieft in das Spiel, dass er total verbissen auf den Bildschirm starrte und nicht mal bemerkte, dass ich zurück war.

Augenverdrehend wandte ich mich ab und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Wie konnte man seine wertvolle Zeit nur mit zocken verschwenden? Ich konnte das einfach nicht verstehen.

Müde und total fertig vom Arbeiten betrat ich mein Zimmer und wollte mich eigentlich nur noch aufs Bett schmeissen und schlafen, aber irgendetwas hielte mich davon ab. Misstrauisch hielte ich inne und blieb in der Tür stehen. Etwas war anders in meinem Zimmer, aber was?

Meine Augen scannten den ganzen Raum genauestens ab, aber ich konnte nichts entdecken, was mir irgendwie merkwürdig vorkam. Alles schien noch so zu sein wie am Morgen. Der Boden war wie immer mit meinen Klamotten und Getränkedosen übersäht, mein Laptop stand halb aufgeklappt und verstaubt auf dem Schreibtisch und meine Bettdecke war immer noch genauso zerwühlt wie am Morgen, als ich das Bett verlassen hatte. Aber trotzdem war etwas anders, das spürte ich genau.

Erschöpft liess ich meine Tasche fallen, bahnte mir einen Weg durch mein Chaos am Boden und tat das, was ich immer tat, wenn ich vom Arbeiten nach Hause kam. Ich liess mich in mein Bett fallen, kroch unter die Decke und suchte nach Carlos' Pulli. Als ich ihn endlich unter meiner Decke gefunden und hervorgezogen hatte, schmiss ich ihn mir übers Gesicht und vergrub meine Nase darin.

Der Duft seines Parfüms hatte sich mit der Zeit immer mehr verflüchtigt, sodass er jetzt fast nur noch nach Waschmittel und nicht mehr wirklich nach Carlos roch. Obwohl ich eigentlich viel glücklicher gewesen wäre, wenn er jetzt neben mir liegen würde und nicht nur sein Pulli, war ich todestraurig darüber, dass ich jetzt auch noch sein Parfüm verloren hatte. Ich hatte ihn nun endgültig verloren, so fühlte es sich zumindest an und ich war mehr als nur selber schuld daran.

Seufzend kuschelte ich mich tiefer in seinen Pulli hinein. Es war alles nur meine Schuld. Ich hätte anständig mit ihm reden sollen, anstatt ihn einfach als den Sohn des Mörders meiner Mutter abzustempeln und ihn sitzen zu lassen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mieser kam ich mir dabei vor. Er hatte überhaupt nichts mit dem Mord an meiner Mom zu tun und ich hatte ihm einfach zu verstehen gegeben, dass alles seine Schuld war.

Er musste sich total beschissen gefühlt haben, als ich nicht mal auf seine unzähligen Anrufe geantwortet hatte. Was war ich nur für eine idiotische Kuh? Ich vertrieb einfach alle Menschen, die mir etwas bedeuteten oder denen ich etwas bedeutete auf irgendeine miese Tour aus meinem Leben.

Mein schlechtes Gewissen ihm gegenüber hatte sich in den letzten Tagen immer öfters gemeldet, aber ich hatte es immer ignoriert. Jetzt klatschte es mir jedoch wie eine Ohrfeige ins Gesicht, so als würde es sich rächen, weil ich es immer ignoriert hatte. Ich wusste, dass mir das mehr als nur Recht geschah, weshalb ich es einfach über mich ergehen liess.

Eigentlich hatte ich einen Menschen wie Carlos gar nicht an meiner Seite  verdient. Ich war ein gemeines, hinterhältiges Arschloch, das bei jeder kleinen Schwierigkeit direkt aufgab und die Schuld auf andere schob. Carlos hatte auf jeden Fall jemand besseren verdient als mich. Er hatte sich immer die grösste Mühe gegeben, um mich irgendwie glücklich zu machen und ich hatte das immer für selbstverständlich empfunden.

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