~ Carlos ~
Fassungslos starrte ich auf das grauenhafte Szenario, das sich mir bot, ohne es wirklich zu begreifen. Komplett erstarrt krallte ich meine Finger in den Arm von meinem Vater und liess mich von ihm in eine düstere, aber dennoch beleuchtete Fabrikhalle zerren. Ich spürte, dass auch er komplett entsetzt war, aber er gab sich die aller grösste Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
In Liverpool hatte ich noch gedacht, dass das, was ich da hatte erleben müssen, so ziemlich das Schlimmste, was mir jemals passiert war, sein müsste, aber wieder einmal wurde ich eines besseren belehrt.
Die Fabrikhalle war nicht besonders gross und überall standen riesige Maschinen rum, die sie noch kleiner wirken liessen. Es gab weder Fenster, noch sonst irgendeinen Fluchtweg, ausser der Tür, durch die wir gerade reingekommen waren. Aber ich wusste instinktiv, dass wir da nicht mehr würden abhauen können. Jemand war da und blockierte den einzigen Weg, hier rauszukommen. Das bedrohliche Klicken einer Pistole bestätigte mir das nur, als ich einen panischen Blick zurück warf.
Obwohl ich vor zwei Nächten sein Gesicht nicht richtig gesehen hatte, wusste ich sofort, dass das der Typ war, der mir das Heroin gespritzt hatte. Er grinste mich fies an, als er meinen Blick bemerkte, richtete bedrohlich die Pistole auf mich und stand demonstrativ breitbeinig hin. Schnell sah ich weg und krallte meine Finger noch fester in Dads Arm und konzentrierte mich auf das, was vor mir abging. Dieses Arschloch! Wäre die Situation nicht so verdammt dramatisch gewesen, hätte ich dem auf der Stelle und mit eigenen Händen die Augen ausgekratzt, ihm eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und ihm in die Eier getreten, für das, was er mir angetan hatte. Aber ich musste mich zusammenreissen, es ging hier schliesslich nicht um mich.
Ruckartig blieb Dad mitten in der Halle stehen, etwa zehn Meter entfernt von Eric, der etwa dreimal so selbstgefällig grinste, wie sonst immer. Das lag wohl daran, dass er ganz genau wusste, dass er uns turmhoch überlegen war. Hinter ihm im Halbdunkeln hatte sich etwa ein Dutzend Junkies und Dealer versammelt, aus deren Gesichtern man die Freude des Triumphs ablesen konnte.
Die Junkies alleine hätten mir noch keine grosse Angst bereitet, aber die Tatsache, dass zwei von denen ein Messer in der Hand hatten und dieses Cathy und Luiza an den Hals drückten, liess mein Blut in den Adern gefrieren, nachdem ich endlich realisiert hatte, was da wirklich abging. Beide knieten am Boden, während die beiden Junkies hinter ihnen sie jeweils festhielten und es auch noch ausgesprochen lustig zu finden schienen.
Sie grinsten sich mit ihren vom Heroin, Crystal Meth und was sie sich sonst noch so alles im Laufe ihres Lebens eingeworfen hatten gezeichneten Gesichtern gegenseitig an, während der, der Cathy das Messer an den Hals hielte, auch noch an ihren Haaren herumzerrte. Ich musste mich echt zusammenreissen, um nicht komplett auszurasten und denen an die Gurgel zu gehen und ich spürte genau, dass es Dad nicht anders ging.
Cathy starrte teilnahmslos auf den Boden und schien wohl nicht mal bemerkt zu haben, dass wir hier waren. Luiza hingegen schien nicht zu begreifen, was hier los war und sah mich ängstlich und zugleich freudig an. Im Vergleich zu Cathy sah sie wenigstens nicht so aus, als hätten die ihr viel angetan. Zumindest konnte ich auf den ersten Blick nichts erkennen. Cathy hingegen sah aus, als hätte sie drei Wochen lang auf der Strasse gelebt. Ihre Haare fielen ihr in wilden Locken ins Gesicht und ihre Klamotten waren voller Blut und Dreck.
Erst nachdem ich einen zweiten Blick auf sie geworfen hatte, bemerkte ich, dass sie Ruben bei sich trug. Sie hatte ihn in ihre Sweatshirt Jacke gesteckt, wobei nur der Kopf oben rausguckte. Jetzt war mir auch klar, warum sie sich so duckte und auf den Boden starrte. Sie versuchte, Ruben zu schützen, damit er die ganze Scheisse hier nicht mitbekam.
Schweren Herzens riss ich meine Augen von ihnen los und sah wieder Eric an. Die Genugtuung, dass mein Vater jetzt ziemlich wehrlos vor ihm stand, war ihm förmlich aufs Gesicht gemeisselt. Dad starrte ihn jedoch nur so lange verächtlich an, bis er endlich etwas sagte. << Schön, dass du doch noch gekommen bist, um für deine Kinder den Helden zu spielen. Wir dachten schon, dass wir dem hier ein tragisches Ende bereiten müssen >>, stiess er ironisch hervor und deutete dabei mit einer ausladenden Bewegung auf die beiden Junkies mit den Messern.
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Escape...
Подростковая литератураDas Leben von Carlos geht gerade ziemlich den Bach runter. Er wird aus seiner Heimat und von seinen Freunden weggerissen und muss nach London, wo er keine Menschenseele kennt. Als er durch Zufall Lilly kennenlernt, der es ähnlich erging, verliebt er...