79. ~ Alles verloren

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~ Carlos ~

Erschöpft starrte ich aus dem Fenster, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Nur verschwommen erkannte ich die dunklen Umrisse der Stadt, aber ich war einfach zu müde, um meine Augen so fest aufzureissen, dass ich mehr sehen konnte. Draussen fing es langsam schon wieder an, hell zu werden, aber ich hatte in dieser Nacht noch kein Auge zugetan.

Seit zwei Tagen war ich nun schon auf einer anderen Station, ohne irgendwelche ständig blinkenden Geräte um mich herumzuhaben. Eigentlich hätte ich mich ja darüber freuen sollen, aber seither bekam ich keine richtigen Schmerzmittel mehr. Nur noch eine einzige Infusion steckte in meinem Arm und das reichte nun mal einfach nicht, um mich in den Schlaf zu befördern.

Ich fühlte mich zwar kaputter als nach zwei durchzechten Nächten hintereinander, aber die Schmerzen hielten mich einfach vom Schlafen ab. Bei jeder kleinsten Bewegung hatte ich das Gefühl, innerlich in Stücke gerissen zu werden. Ich hätte in dieser Nacht für eine einzelne Schmerztablette echt alles gegeben, aber die vom Krankenhaus weigerten sich, mir mehr als diese eine Infusion zu verabreichen. Ich sollte anscheinend langsam von den Schmerzmitteln entwöhnt werden, hatte mir zumindest ein Arzt zu verklickern versucht, während ich gestern Abend heulend um eine Schmerztablette gebettelt hatte.

Ich verstand zwar, dass sie mich nicht mehr so mit Schmerzmitteln vollpumpten wie vor ein paar Tagen auf der Intensivstation, als ich gar nicht mehr gecheckt hatte, was um mich herum abging, aber eine einfache Schmerztablette war doch nicht zu viel verlangt. Zumindest hätte es mir vielleicht ein kleines bisschen geholfen, die grauenhaften Schmerzen in meinem Bauch zu lindern, sodass ich vielleicht wenigstens ein paar Stunden hätte schlafen können. Es war schliesslich die erste Nacht, die ich komplett alleine hier verbrachte.

Ich hatte gestern, als ich einen kurzen Moment hatte klar denken können, Lilly und die anderen dazu überredet, nach Hause zu fahren und ein paar Stunden zu schlafen. Sie hatten genauso kaputt und fertig ausgesehen, wie ich mich jetzt fühlte und ich hatte echt ein verdammt schlechtes Gewissen gehabt, weil sie meinetwegen Tag und Nacht an meinem Bett hockten. Lilly hatte sich zuerst zwar vehement geweigert, mich alleine zu lassen, aber sie war zu erschöpft gewesen, um lange zu protestieren und schliesslich hatte Nick sie einfach rausgezerrt.

Aber mittlerweile bereute ich echt bitter, dass ich sie hatte gehen lassen. Seit Stunden starrte ich in die Dunkelheit hinaus, versuchte verzweifelt die Schmerzen zu unterdrücken, indem ich mich kein Stück bewegte und fühlte mich einfach nur einsam. Ich hatte zwar die letzten paar Tage praktisch nur geschlafen, aber ich hatte immer genau gespürt, dass Lilly neben mir gelegen oder zumindest in der Nähe gewesen war. Es war echt ein verdammt komisches Gefühl, dass sie nun nicht da war, obwohl ich ganz genau wusste, dass sie heute in der Früh wieder auftauchen würde.

Innerlich seufzend vergrub ich meine Nase in dem Kapuzenpulli, den Miguel mir geliehen hatte. Ich war heilfroh, endlich wieder normale Klamotten anzuhaben, auch wenn sie nicht mir gehörten. In den seltsamen, dünnen Krankenhausklamotten hatte ich die ganze Zeit nur gefroren und mich nicht besonders wohlgefühlt. Jetzt fühlte es sich wenigstens ein bisschen so an, als wäre Miguel hier, wenn der Duft vom Waschmittel seiner Klamotten in meine Nase stieg.

Die Zeit plätscherte nur langsam dahin, beinahe so langsam wie der Geschichtsunterricht bei Clifford. Während es draussen langsam hell wurde, verharrte ich noch immer in der gleichen unbequemen Position, die Nase in Miguels Pulli gesteckt, die Beine auf eine unbequeme Weise verdreht und die Decke fest um mich geschlungen.

Obwohl ich die Zeit und die Ruhe, die ich für mich alleine hatte, eigentlich hätte nutzen sollen, um über das nachzudenken, was passiert war, schaffte ich es nicht, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Kopf fühlte sich einfach zu benebelt an und jedes Mal, wenn ich auch nur versuchte, darüber nachzudenken, wurden meine Gedanken augenblicklich mit Bildern von Eric, Blut und Messern überschattet. Und jedes Mal, wenn ich an Eric dachte, schlang ich vor Angst die Decke noch ein Stück enger um meinen Körper.

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