~ Lilly ~
<< Er hat mir eine Sprachnachricht geschickt. >> Miguels Stimme riss mich so abrupt aus meinen düsteren Gedanken, dass ich heftig zusammenzuckte. Nick und ich hatten ihn bei ihm zu Hause abgeholt, da wir keinen Plan gehabt hatten, was wir sonst hätten tun sollen und nicht einfach nur rumsitzen konnten. Miguel war über unser Auftauchen sehr erfreut und erleichtert zugleich gewesen, da bei ihm zu Hause wohl auch gerade ziemlich dicke Luft zu herrschen schien.
Danach waren wir beinahe eine Stunde lang sinnlos durch die Stadt gekurvt, bis Nick schliesslich eingesehen hatte, dass es keinen Sinn hatte und er damit nur ein Vermögen an Benzin verschleuderte. Resigniert hatte er den Wagen in eine ziemlich leblose Seitenstrasse hineinmanövriert, wo wir nun schon seit exakt dreiundfünfzig Minuten standen.
Ich hatte so ziemlich jede Minute damit verbracht, auf mein Handy zu starren und war dadurch nur noch unruhiger geworden. Miguel auf dem Rücksitz schien es wohl gleich ergangen zu sein, denn seine Stimme klang so angespannt, dass Nick beinahe die Zigarette aus der Hand gefallen wäre.
Ruckartig drehte ich mich um und riss ihm das Handy aus der Hand. Seine Proteste ignorierte ich einfach und drückte auf das Playzeichen. Die Stimme von Carlos klang so gestresst und voller Angst, dass ich die Hälfte davon, was er sagte, nicht verstand. Nick und Miguel schienen es, ihren fragenden Blicken nach zu urteilen, wohl ebenfalls nicht gecheckt zu haben.
Verwirrt drückte ich nochmals auf Play und versuchte angestrengt, den Tonfall seiner Stimme und seine Angst auszublenden und mich nur auf das zu konzentrieren, was er sagte. Das war gar nicht so einfach, aber nach dem zweiten Mal wurde mir so halbwegs klar, was er uns hatte mitteilen wollen. Bei dem Gedanken, dass er mit einem gestohlenen Auto und einer Million in der Tasche durch die Gegend fuhr, wurde mir augenblicklich übel.
Fassungslos starrte ich auf das Armaturenbrett und liess Miguels Handy sinken. Nick fasste sich als erster von uns dreien wieder. << Scheissegal, ob er das will oder nicht, wir fahren dahin! >> Mit diesen Worten schmiss er die erst halb gerauchte Zigarette aus dem Fenster und drehte den Zündschlüssel.
Der Motor heulte laut auf, als er den Wagen aus der Parklücke bugsierte und ich wurde dabei gegen das Seitenfenster gedrückt. Wortlos richtete ich mich wieder auf und gab in Miguels Handy bei Google Maps die Adresse, die er genannt hatte, ein. Ungläubig zoomte ich den Ort näher heran. Es schien sich um irgendwas Seltsames zu handeln, was sich ausserhalb von London mitten im Nirgendwo befand. Besorgt befestigte ich das Handy am Armaturenbrett, damit Nick die Route ablesen konnte.
Zum Glück gab es um diese Uhrzeit nicht mehr ganz so viel Verkehr auf den Strassen, sodass wir recht zügig vorankamen. Wir hingen alle unseren Gedanken nach und wechselten während der Fahrt kein einziges Wort miteinander. Nick starrte angestrengt und besorgt auf die Strasse, während Miguel hinter mir den gesamten Wagen vollqualmte und sein Blick ständig angestrengt auf die Glut der unzähligen Zigaretten, die er sich reinzog, richtete.
Ich hatte meinen Kopf gegen die Scheibe gelehnt und starrte ebenfalls besorgt nach draussen. Am liebsten hätte ich Nick angeschrien, dass er schneller fahren sollte, aber ich wusste genau, dass sein schrottreifer Wagen nicht mehr als 120 km/h draufhatte. Als wir endlich halbwegs aus der Stadt raus waren, gab er zwar Vollgas, aber es war mir trotzdem nicht schnell genug.
Wenn Carlos was passierte, während ich hier gemütlich im Auto sass, würde ich mir das nie verzeihen können. Er war der einzige Mensch, der mich von meinen Schuldgefühlen gegenüber meiner Mutter und dem Stress mit meinem Vater ablenken konnte. Das war mir in der Zeit, in der wir keinen Kontakt zueinander gehabt hatten, schmerzlich bewusst geworden. Obwohl Nick zwar immer für mich dagewesen war, hatte es einfach nicht an das herangereicht, was Carlos immer für mich getan hatte.
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Escape...
Teen FictionDas Leben von Carlos geht gerade ziemlich den Bach runter. Er wird aus seiner Heimat und von seinen Freunden weggerissen und muss nach London, wo er keine Menschenseele kennt. Als er durch Zufall Lilly kennenlernt, der es ähnlich erging, verliebt er...