52. ~ Eine grausame Entdeckung

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~ Silvan ~

Missmutig wanderte mein Blick zwischen der digitalen Uhr auf meinem PC und der Wanduhr hin und her. Noch sieben Minuten und ich war erlöst. Zumindest hatte ich dann die offizielle Zeit, die ich in meinem Büro verbringen und Berichte verfassen musste, abgesessen. Obwohl ich noch lange nicht fertig war mit dem Bericht über einen kleinen Grasdealer, an dem ich im Moment herumbastelte, konnte ich meine Finger nicht mehr dazu bewegen, auf der Tastatur herum zu hämmern.

Aber das war mir ziemlich egal. Ich konnte den Bericht auch zu Hause noch fertig schreiben, ich hatte sowieso niemanden, der mit einem gesunden Essen auf mich wartete. Meine Exfrau hatte sich vor drei Jahren mit den Kindern aus dem Staub gemacht und mich alleine auf der riesigen Hypothek unseres Hauses sitzen lassen. Meine siebzehnjährige Tochter und mein fünfzehnjähriger Sohn meldeten sich seit dem nur noch, wenn sie Geld brauchten. Um den Kontakt zu ihnen nicht ganz zu verlieren und um wenigstens ansatzweise ein guter Vater zu sein, gab ich ihnen immer so viel, wie sie brauchten, obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten konnte, ihnen ständig Markenklamotten und teure Handys in den Arsch zu schieben. Auch für den Fastfood-Lieferdienst, den ich mir jeden Abend ins Haus bestellte, wurde es langsam ziemlich knapp. Aber da ich keinen blassen Schimmer von Kochen hatte, konnte ich nicht darauf verzichten.

Trotzdem konnte ich mich glücklich schätzen, zumindest dann, wenn ich mich mit den Akten, die sich in meinem Büro stapelten, verglich. Die meisten Leute, von denen diese Akten handelten, hatten nicht mal ein Dach über dem Kopf, waren Drogen- oder Alkoholsüchtig und wurden ständig von mir oder meinen Kollegen auf der Strasse bei irgendwas Illegalem erwischt, wobei sie dann wieder eine Busse bezahlen mussten, die sie sich sowieso nicht leisten konnten oder schlussendlich irgendwann im Knast landeten.

Natürlich gab es in meinem Büro auch noch einen Haufe Akten von der anderen Seite der Gesellschaft und zwar von denen, die aus der Situation dieser Leute versuchten, Profit zu machen. Solche wie der afrikanische Grasdealer in meinem aktuellen Bericht. Manchmal fragte ich mich echt, warum ich diesen Job in der Drogenkriminalitätsabteilung überhaupt angenommen hatte. Seit ich hier angefangen hatte zu arbeiten, war die Situation in der ganzen Stadt kein Stück besser geworden, sondern hatte sich immer mehr verschlimmert. Meine gesamte Arbeit war sozusagen sinnlos.

Verbittert klickte ich die Seite mit meinem Arbeitsplan auf, um meine Stundenanzahl einzutragen und endlich von hier zu verschwinden. Es war genau zwei Minuten bevor meine Nachtschicht eigentlich beendet war, als meine Bürotür mit Schwung aufgestossen wurde und Philipp, mein Vorgesetzter mit einem gestressten Gesichtsausdruck im Raum stand. << Vergiss deinen Feierabend Kollege, wir haben ein Problem. In fünf Minuten in unten in der Tiefgarage >>, stiess er atemlos hervor, bevor er schon weiterhetzte.

Ich hatte es inzwischen aufgegeben, ihn sanft darauf hinzuweisen, dass er doch wenigstens klopfen könnte, denn die letzten acht Jahre lang hatte es rein gar nichts bewirkt. Philipp war zwar ein guter und fairer Vorgesetzter, aber er liess sich von niemandem etwas sagen und zu unseren Kunden aka Dealern und Junkies konnte er ebenfalls knallhart sein. Aber im Grossen und Ganzen kam ich eigentlich gut klar mit ihm. Obwohl ich mich jetzt gerne nach Hause begeben hätte, steckte ich mir ohne zu murren die Dienstwaffe und meinen Dienstausweis ein und warf mich in meine Polizeijacke.

<< In einer Wohnsiedlung wurde geschossen und Anwohner haben Schreie und Lärm gehört >>, teilte mir Philipp mit, als ich exakt fünf Minuten später neben ihm im Streifenwagen sass und mit Blaulicht durch die Strassen raste. Na toll, jetzt durfte ich mich auch noch mit sowas befassen, ich hatte ja sonst nicht schon genug zu tun. Aber da heute Abend ein Fussballspiel zwischen Manchester und Liverpool stattgefunden hatte und es mit ziemlicher Sicherheit zu einigen Gewaltausbrüchen gekommen war, hatten meine Kollegen, die normalerweise immer den Aussendienst übernahmen, mehr als genug zu tun und andere Sachen fielen dann auf mich zurück, obwohl ich mich normalerweise nur um Drogenangelegenheiten kümmerte.

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