~ Carlos ~
Nachdenklich starrte ich dem Rauch so lange hinterher und dachte besorgt darüber nach, was mir nachher wohl bevorstehen würde, bis mir plötzlich etwas einfiel. Ungeschickt zückte ich mein Handy und ging auf den WhatsApp-Chat mit Miguel.
Es wäre sehr dumm gewesen, niemandem Bescheid zu geben, wo ich steckte. Eric und seine Leute würden mir, meinem Vater und meinen Geschwister ansonsten problemlos was antun können, ohne dass uns jemals jemand finden würde. Ein dicker Kloss bildete sich in meinem Hals, als mir bewusst wurde, dass wir diese Nacht vielleicht alle nicht überleben würden. Aber ich konnte es mir jetzt nicht erlauben, über sowas nachzudenken.
Schweren Herzens würgte ich den Kloss hinunter und begann damit, Miguel eine zweiminütige Sprachnachricht zu schicken. In einem Mordstempo erzählte ich ihm von dem Telefonat mit Eric, von der Million, dem gestohlenen Auto und nannte ihm die Adresse, an dem die Übergabe, wenn man es mal so nennen wollte, stattfinden würde. Zum Schluss fügte ich noch hinzu, dass er bitte nicht auch noch zu dieser Adresse kommen sollte. Ich wollte ihn schliesslich nicht schon wieder unnötig einer Gefahr aussetzen.
Mit gemischten Gefühlen schickte ich die Nachricht ab und steckte das Handy wieder ein. Ich hätte ihm gerne noch mehr gesagt, aber ich wusste, dass ich kein einziges Wort hervorbringen würde, ohne nicht schon wieder mit Heulen anzufangen. Die Tränen brannten schon in meinen Augen, als ich mir die zweite Zigarette anzündete.
Aber zum Glück stieg in diesem Moment Luca aus dem Auto und lenkte mich ab, indem er mir einen kleinen Stapel Geldscheinen in die Hand drückte. << Das war zu viel >>, meinte er und lehnte sich neben mich an den Wagen. Ich sah das Geld nicht mal an, als ich es in meine Jackentasche stopfte. Ich brauchte jetzt kein Geld, ich wollte einfach nur noch meine Geschwister zurückhaben.
Wo blieb Dad nur? Eric würde es sicher nicht gerade begrüssen, wenn wir zu spät dort aufkreuzten. Nervös fuhr ich mir durch die Haare und lief vor Luca auf und ab. So lange, bis er sich mir in den Weg stellte. << Ey, das bringt echt niemandem was, wenn du wie ein Volltrottel hier rumläufst >>, meinte er in beruhigendem Ton und legte mir dabei die Hand auf die Schulter.
<< Wir schaffen das, okay? Bis jetzt ist es ja ganz gut gelaufen. >> Er zwang mich, ihn dabei anzusehen und zog mich anschliessend fest in die Arme. Ich war mir dabei nicht ganz so sicher, ob wir nicht alle am nächsten Morgen tot in einem Strassengraben liegen würden, aber ich sprach meine Gedanken lieber nicht aus. << Bis jetzt haben wir ja noch alles irgendwie zusammen hingekriegt >>, meinte er selbstsicher, nachdem er mich wieder losgelassen hatte.
Ich nickte nur und zückte ununterbrochen mein Handy, um die Uhrzeit abzulesen. 2:13 Uhr! Wir hatten also noch genau 47 Minuten Zeit. Wenn Dad im Stau festsass, konnten wir es gleich vergessen. Aber genau in dem Moment, als ich mein Handy wieder einsteckte, fuhr ruppig ein schwarzer Geländewagen um die Ecke und hielte mit quietschenden Reifen an. Das war Andys Wagen!
So schnell wie möglich zerrte ich die Tasche mit dem Geld aus dem Skoda und schlug etwas zu fest die Autotür zu. Aber das juckte mich nicht. Der Wagen gehörte schliesslich nicht mir und nachdem wir schon die Zündung demoliert hatten, war ein kleiner Schaden an der Tür gar nicht mehr der Rede wert. Die Tasche war bis obenhin mit Geldscheinen vollgestopft und schwerer, als ich gedacht hatte. Obwohl es nur Papier war, wog es in dieser Menge ziemlich viel.
Energisch warf ich sie mir über die Schulter und stürmte zusammen mit Luca auf den Geländewagen, der mitten auf dem Platz mit laufendem Motor angehalten hatte, zu. Den Skoda liessen wir einfach stehen und liessen sogar den Schraubenzieher darin liegen.
Morgen würde ihn bestimmt irgendein übereifriger Bulle auf der Jagd nach Parksündern finden. Dass meine Fingerabdrücke überall im Wagen zu finden sein mussten, liess mich komplett kalt. Eine zusätzliche Anzeige wegen Autodiebstahls würde wohl auch nicht mehr viel ausmachen. Und ich hatte jetzt echt absolut keine Zeit und Nerven, um den Wagen verschwinden zu lassen.

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Escape...
Novela JuvenilDas Leben von Carlos geht gerade ziemlich den Bach runter. Er wird aus seiner Heimat und von seinen Freunden weggerissen und muss nach London, wo er keine Menschenseele kennt. Als er durch Zufall Lilly kennenlernt, der es ähnlich erging, verliebt er...