~ Carlos ~
Wie in Trance liess ich mich von Luca mitzerren. Ich hatte keine Ahnung, wo er hinwollte, aber ich wusste, dass ich ihm blind vertrauen konnte. Ausserdem hatte ich ihm Moment weder den Kopf, geschweige denn die Kraft dazu, mir irgendwelche Gedanken zu machen. Das Einzige, was zählte war, dass Luca und ich wieder vereint waren und dass ich es geschafft hatte, vor der Polizei abzuhauen, ohne dabei einen grösseren Verkehrsunfall zu verursachen, von der Konfrontation mit der Leitplanke mal abgesehen.
Wenn ich nur schon daran zurückdachte, lief mir sofort wieder ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Nie wieder in meinem ganzen Leben würde ich so übermüdet hinters Steuer sitzen, das hatte ich mir inzwischen geschworen, falls ich mich überhaupt irgendwann mal wieder traute, Auto zu fahren. Ich war echt verdammt froh gewesen, dass Miguel das letzte Stück hierher gefahren war, denn ich glaube, ich wäre dazu nicht mehr in der Lage gewesen.
Eigentlich war es doch nicht so eine einfache Sache, ein Auto zu fahren, wie ich immer gedacht hatte. Ich fuhr zwar schon seit ich vierzehn war hin und wieder und langsam aber sicher konnte ich wirklich gut fahren, obwohl ich keine Ahnung von Verkehrsregeln hatte, aber sich hinters Steuer zu setzen, brachte einen riesigen Haufen an Verantwortung mit sich. Das wurde mir erst jetzt, nach unserem beinahe-Unfall so richtig bewusst.
Früher war ich immer allein oder mit Luca gefahren und da hatte ich mich nie so verantwortlich gefühlt, wie wenn meine Geschwister hinten im Wagen sassen. Luca war immer freiwillig mitgekommen und hatte mich während unseren Fahrten immer unterstützt, anstatt abzulenken. Mit ihm zusammen hatte ich nachts auf den Strassen von Liverpool fahren gelernt. Ein paar ältere Jungs aus der Stadt hatten es uns beigebracht und uns ihre geleasten Wägen zur Verfügung gestellt.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir diese ganzen illegalen Fahrten nicht unternommen hätten. Dann hätte ich wie jeder andere normale Mensch auch mit achtzehn meinen Führerschein machen können und hätte mich jetzt nicht schuldig fühlen müssen, dass ich beinahe die Menschen, die mir am meisten bedeuteten, umgebracht hätte. Aber nun war es zu spät, um darüber nachzudenken, was ich in meinem Leben hätte anders machen können, um nicht so zu enden. Ich hatte getan, was ich getan hatte und konnte nichts mehr rückgängig machen. Das einzige, was ich jetzt noch tun konnte war, mich nicht noch mehr in die Scheisse zu reiten und irgendwie versuchen, meinen Arsch zu retten.
Fürs erste war ich hier bei Luca mal sicher, aber für immer konnte ich nicht hier bleiben. Irgendwann würden seine Eltern aus dem Urlaub zurück sein und spätestens bis dann, mussten wir hier abhauen. Aber ich konnte mich nicht ewig verstecken. Ansonsten würde ich noch wie mein Vater als gewalttätiger Frusthaufen enden und das wollte ich echt niemandem zumuten. Auch Luiza und Ruben konnte ich ein Leben auf der Flucht nicht für immer antun. Das ging einfach nicht.
Vielleicht würde es funktionieren, wenn ich mit Lilly alleine abhauen würde. Wir beide hatten nichts zu verlieren und wir wussten, wie man sich auf der Strasse durchschlug. Sie hatte es gelernt, nachdem sie von zu Hause abgehauen war und ich, nachdem ich die Probleme mit meinem Vater am Hals hatte. Aber ich konnte meine Geschwister auch nicht einfach zurücklassen. Das brachte ich nicht übers Herz. Es war wie verzwickt. Was ich auch tun wollte, war in irgendeiner Weise falsch und würde irgendjemandem richtig wehtun, egal wie ich es auch drehte und wendete. Ich musste eine gute Lösung finden in den nächsten Tagen. Eine, die alle Menschen, die ich liebte, irgendwie zufriedenstellte, aber das war echt nicht einfach, wahrscheinlich sogar unmöglich.
Im Moment hatte ich echt nicht den Kopf dazu, um über eine geeignete Lösung nachzudenken. Ich brauchte erstmal ein paar Stunden mit Luca, eine ordentliche Portion Alkohol und ein bisschen Schlaf, bis ich den ganzen Stress der letzten Stunden einigermassen verdaut hatte. Vorher konnte ich rein gar nichts tun.
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Escape...
Fiksi RemajaDas Leben von Carlos geht gerade ziemlich den Bach runter. Er wird aus seiner Heimat und von seinen Freunden weggerissen und muss nach London, wo er keine Menschenseele kennt. Als er durch Zufall Lilly kennenlernt, der es ähnlich erging, verliebt er...