61. ~ Schlaflos

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~ Carlos ~

Stundenlang wälzte ich mich unruhig in dem weichen Bett hin- und her und dachte über mein Leben nach. Grausame Bilder schossen mir durch den Kopf. Bilder von Cathy, Luiza und Ruben und davon, was alles mit ihnen passieren könnte oder vielleicht schon passiert war, wenn sie nicht so schnell wie möglich gefunden wurden. Die ganze Zeit hatte ich versucht, genau diese Bilder zu verdrängen, aber jetzt prasselten sie im Sekundentakt auf mich ein.

Es hatte echt keinen Sinn, weiterhin zu versuchen, einzuschlafen. Ich würde es sowieso nicht schaffen, zu voll war mein Kopf mit Vorwürfen und Angst um meine Geschwister. Mühsam kämpfte ich mich schliesslich in eine sitzende Position und lehnte mich ans Kopfende des Bettes. Lange sass ich einfach so da und starrte Löcher in die Luft. Dabei hallten abwechselnd die Beleidigungen meiner Mutter und Erics Stimme in meinem Kopf.

Ich wurde noch wahnsinnig, wenn ich mich jetzt nicht mit irgendwas ablenkte und mir das weiterhin anhörte. Automatisch wanderten meine Augen zu meinen Armen. Nein, das konnte ich jetzt auf keinen Fall tun. Wenn die mich erwischten, dann hatte ich noch ein Problem mehr am Hals. Ausserdem wollte ich Miguel nicht schon wieder enttäuschen. Seufzend stand ich auf und fing an, ziellos in dem Zimmer hin- und herzulaufen.

Ich musste dringend eine rauchen, ansonsten hielte ich es nicht mehr aus hier. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte Philipp meine Tasche aus Lucas Wohnung hierhin mitgenommen und unten im Wohnzimmer stehen lassen. Darin befand sich immer eine Schachtel Notfallzigaretten und ein Notfallfeuerzeug für solche Situationen wie jetzt. Ich brauchte jetzt sofort eine, egal ob es denen passte, dass ich hier rauchte oder nicht.

So leise wie möglich öffnete ich die Tür und lauschte in den Flur. Es war totenstill in dem riesigen Haus. Die schienen also auch am Pennen zu sein. Auf Zehenspitzen durchquerte ich den Flur und hoffte, dass ich nicht irgendwo reinlief oder drüber stolperte. Es war zwar schon einigermassen hell draussen, sodass ich alle Umrisse und Schatten gut erkennen konnte, aber trotzdem traute ich mir zu, dass ich es fertigbrachte, einen Höllenlärm zu veranstalten.

Endlich an der Treppe angekommen, krallte ich mich vorsichtshalber am Treppengeländer fest, denn ich war so müde, dass ich nicht mal richtig die Stufen vor mir erkennen konnte. Glücklicherweise schaffte ich es, heil unten anzukommen, ohne mir das Genick zu brechen. Auch hier im Erdgeschoss schien alles ruhig zu sein. Trotzdem schlich ich mich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Möglicherweise pennte ja einer von denen da auf dem Sofa. Aber ich hatte ausnahmsweise mal Glück. Diese Hütte hatte anscheinend genug Gästezimmer und solches Zeugs, dass niemand auf dem Sofa pennen musste.

Vollkommen verlassen lag das Wohnzimmer vor mir, nur ein kleines Licht an dem riesigen Flachbildschirmfernseher blinkte nonstop und tauchte den Raum in ein gespenstisches Licht. Hastig sah ich mich nach meiner Tasche um und entdeckte sie neben dem Sofa auf dem Boden. Wie der grösste Nikotinjunkie hastete ich dahin, kniete mich auf den Boden und fing an, hektisch darin herumzuwühlen. Da hatte eindeutig jemand seine Finger drin gehabt, denn meine Sachen lagen komplett anders, als ich sie reingeworfen hatte. Die Bullen hatten sie bestimmt gründlich durchsucht, aber ausser natürlich der Pistole war alles noch da.

Erleichtert klammerten sich meine Finger hektisch um die Zigarettenschachtel, während ich mit meiner verletzten Hand nach dem Feuerzeug fischte. Als ich es endlich zu fassen bekam, stiess ich erleichtert die Luft aus. Dabei fiel mein Blick auf den Glastisch, der sicher mehr gekostet haben musste, als der Audi von meinem Vater. Mein Handy lag immer noch darauf, genauso, wie ich es hatte liegen lassen nach dem Telefonat mit Mum. Ich hatte es absichtlich hier gelassen, damit mich nicht irgendein Idiot aus dem Schlaf riss, aber da ich ja sowieso nicht einschlafen konnte, konnte ich es auch mit hoch nehmen.

Entschlossen steckte ich es in die Hosentasche und stand schwankend auf. Normalerweise hätte ich jetzt noch eine Runde durch die ganze Hütte gedreht, einen Blick in den Kühlschrank geworfen und jede Schublade durchsucht, ob es irgendwas gab, was ich hätte einstecken können, sowie wir das in Cliffords Wohnung gemacht hatten. Hier gäbe es bestimmt genug wertvolles Zeugs, das ich für etwas Geld auf eBay hätte verscherbeln können. Aber jetzt war ich einfach zu kaputt und hatte keine Nerven mehr für sowas.

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