12. Der große Tag

1.2K 70 20
                                    



In den folgenden zwei Wochen war ich Gaston sein Mädchen. Ich erfüllte ihm alle Wünsche, die er hatte. Wirklich alle. Mal musste ich ihm die Haare schneiden. Ein anderes Mal massieren. Seine Stiefel putzen. Seine Klamotten waschen. War sein Glücksbringer, wenn er abends mit seinen Männern zockte und trank. Musste für ihn singen und ihn zum Lachen bringen. Ich stand immer auf Abruf bereit. Tag und Nacht. War praktisch immer an seiner Seite. Nachts. Nachts kamen andere Wünsche. Wünsche, die mich würgen, fast übergeben ließen. Es brach mich innerlich, doch äußerlich ließ ich mir nichts anmerken. Ich wusste, wofür ich es tat und das gab mir die Kraft, dass hier durchzustehen.

Ich hasste ihn. Ich hasste ihn aus tiefstem Herzen, doch spielte ich ihm heile Welt vor. Dass es mir gefiel. Dass ich Gefallen an ihm gefunden hätte. Ich weiß nicht, ob er es mir abkaufte, doch ich bekam immer mehr Freiheiten. Durfte auch mal alleine auf dem Grundstück herumlaufen. Dabei hatte ich die sehr gut bestückte Waffenkammer entdeckt. Durfte mich am Essen bedienen, wie ich wollte. Durfte mir neue Klamotten aussuchen, wenn die Männer von einer Plünder Tour wiederkamen. Durfte öfter bei meiner Gruppe vorbeischauen. Durfte sie sogar notdürftig verarzten.

Ab und zu schaffte ich es, Essen zu klauen und es meiner Gruppe zu bringen. Es war nicht viel. Mal ein paar Kekse, Schokolade, oder eingelegte Gurken. Aber alles half, damit sie wieder auf die Beine kamen. Sie waren noch weit davon entfernt, dass man sie als Gesund bezeichnen konnte, aber mit Hilfe würden sie sicher bald fliehen können. Auch wenn sie dabei nach wie vor große Schmerzen haben werden.

Carl und Judith hatten sich mit meiner Gruppe angefreundet und verstanden sich gut. Judith quitschte jedes Mal vergnügt, wenn ich in die Kammer kam und strahlte mich an. Sie war ein richtiger Sonnenschein und so würde es bleiben. Ich würde nicht zulassen, dass ihr oder den anderen etwas passierte.

Ich war gerade wieder einmal dabei, dass Haus zu putzen, als Brandon mit ein paar Männern von einer Tour wiederkam und gleich zu Gaston rannte. Irgendetwas stimmte nicht. Das spürte ich, doch ich widerstand dem Drang zu lauschen. Zu groß war die Gefahr, erwischt zu werden.

„Prinzessin?" rief er mich da. Wie ich es hasste, ohne zu zögern lief ich zu ihm.

„Prinzessin. Es ist etwas vorgefallen und ich muss gleich mit meinen Männern aufbrechen. Die meisten Männer sind auf Tour und ich kann dir nur eine Handvoll hierlassen. Doch sie werden auf dich aufpassen. Mach dir keine Sorgen. Wir werden ein paar Tage weg sein, aber ich vertraue dir!" meinte er lächelnd zu mir, während er meine Wange streichelt.

„Pass auf dich auf. Wir werden hier die Stellung halten" erwiderte ich lächelnd und überlegte, was wohl vorgefallen sein könnte. Ob sie Carl seine Gruppe gefunden hatten? Ich hoffte nicht. Er gab mir einen langen Kuss, den ich, innerlich widerwillig, erwiderte und suchte mit seinen Männern alles zusammen, was sie brauchten. Unauffällig beobachte ich sie dabei. Sie waren so in Hektik, dass sie vergaßen, die Waffenkammer abzuschließen. Ich bekam ein mulmiges Gefühl, konnte mir aber keinen Reim auf ihre Reaktionen machen. Nur ein paar Minuten später waren sie weg.

Ob das jetzt unsere Chance war? Wie gelangweilt schlenderte ich über das Grundstück und zählte dabei sechs Männer. Ich wusste, dass zwei weitere vor dem Tor Wache standen und einer war in der Küche. Somit hätten wir es mit neun Mann zu tun. Dafür war meine Gruppe noch nicht stark genug. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen. Zufällig lief ich an einem Wohnmobil vorbei und sah, dass der Schlüssel steckte. So wären wir wesentlich schneller und es wäre einfacher für meine Gruppe, als wenn wir durch den Wald laufen müssten. Ob genug Benzin drin war?

„Süße? Wie wäre es mit einem Bier?" rief mir Mikky zu, einer von Gaston seinen Männern. Bier. Natürlich, dass war es.

„Wenn du mir 10 Minuten gibt's, bringe ich dir auch einen ganzen Kasten" lachte ich ihn an und ging ins Haus. Schnurstracks in Gaston sein Schlafzimmer. Ich war oft genug hier und musste nicht lange suchen. Ich nahm die Tablettendose und ging in den Keller. Ich wusste nicht, wie viele ich nehmen musste, nahm daher für jede der neun Bierflaschen vier Tabletten und zerbröselte sie sehr sorgfältig. Nach und nach gab ich sie in die Flaschen und wartete, bis sie sich aufgelöst haben. Perfekt.

Nun verteilte ich die Flaschen mit einem zuckersüßen Lächeln an die Männer. Nur die beiden Wachposten sträubten sich etwas.

„Ach kommt schon. Was ist denn schon ein Bier? Es wird niemand erfahren. Versprochen" zwinkerte ich ihnen lächelnd zu und ging zurück ins Haus, in Gaston sein Schlafzimmer. Aus dem Fenster konnte ich erkennen, dass sie tatsächlich tranken. Jetzt hieß es abwarten. Ich schnappte mir ein paar Rucksäcke und stopfte sämtliche Medikamente hinein, die ich finden konnte und es waren nicht wenig. Die Taschen versteckte ich unten im Flur im Schrank und ging wieder hinaus.

„Mikky? Kann ich den Gefangenen schon ihr Essen bringen? Danach leiste ich euch gerne Gesellschaft" lächelte ich ihn an und nach einem Nicken ging ich in die Küche und belud das Tablett.

„Wenn das Essen angebrannt riecht, bin ich eingeschlafen. Ich glaube, ich brüte was aus" meinte der Koch und gähnte herzhaft.

„Du siehst auch etwas blass aus. Vielleicht solltest du dich aufs Ohr hauen?" meinte ich gespielt besorgt und ging mit dem Tablett zur Kammer. Als ich die Tür öffnete, wurde ich wieder freudig und quitschend begrüßt. Ich gab Judith einen Knutscher und stellte das Tablett ab.

„Ihr müsst mir jetzt genau zuhören. Wir werden heute fliehen. Alle zusammen. Ich werde niemanden zurücklassen. Also esst auf und haltet euch bereit. Ich komme euch dann holen" meinte ich leise und eindringlich zu ihnen und ging wieder raus, ehe die anderen Verdacht schöpften. Doch auch sie gähnten schon.

Nervös und bis in die Haarspitzen angespannt, setzte ich mich zu Mikky und die anderen, die am Lagerfeuer saßen. Einem nach dem anderen fielen so langsam die Augen zu. Ich wartete noch etwas ab, nur um sicher zu gehen, dass wirklich alle tief und fest schliefen und fing an, sie zu entwaffnen und zu fesseln. Anschließend ging ich zum Koch und zu den Wachposten, doch auch sie schliefen. Ich wiederholte auch bei ihnen den Vorgang und plünderte die Küche. Alles, was Ess- und Trinkbar war, schmiss ich, zusammen mit den Medikamenten in den Wohnwagen. Schnell öffnete ich die Kammer.

„Kommt raus. Schnell" ich half ihnen hoch und führte sie in den Wohnwagen.

„Carl, Riku. Kommt mit zur Waffenkammer. Wir nehmen alles mit" rief ich ihnen zu und rannte mit leeren Taschen zu Waffenkammer, gefolgt von den beiden. Wir schmissen alles in die Taschen. Nichts würde ich ihnen hierlassen.

„Es wäre besser, wenn wir die Männer töten" meinte Carl und ich sah ihn mit großen Augen an.

„Er hat Recht" stimmte ihm Riku zu. Leise seufzte ich auf. Ich wusste, sie hatten Recht. Wir schmissen die Taschen in den Wohnwagen und töteten die Männer, in denen wir ihnen unsere Messer in die Köpfe stachen. Schnell öffnete ich das Tor und stieg in den Wohnwagen.

„Nur weg aus der Hölle" murmelte ich mehr zu mir selber und fuhr los. Das Tor ließ ich offen, sollten sich die Beißer drum kümmern.     

Joseline - Mein Weg (TWD, Sunrise Avenue, Daryl Dixon FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt