74. Dem Bastard verzeihen?

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Erst am Abend sind wir wieder aufgestanden. Waren nacheinander duschen und sind zusammen runtergegangen. Sie waren gerade beim Essen. Auch Daryl, er war hier, seit er Ron weggebracht hatte. Hatte sich offensichtlich Sorgen gemacht. Lächelnd gab ich ihm einen Kuss und wir setzten uns zu ihnen. Ließen uns das Essen schmecken.

„Ich muss gleich noch etwas erledigen, danach würden wir gerne mit Daryl und Samu zu Rick und Michonne gehen. Wir müssen mit euch reden" erklärte ich wie nebenbei und beide sahen uns fragend an, doch näher ging ich noch nicht darauf ein.

„Was willst du erledigen?" knurrte Daryl leise.

„Ich will zu Spencer" erklärte ich und sah ihn an. Hustend verschluckte er sich an seinem Essen und sah mich entsetzt an. Vorsichtig klopfte ich ihm auf den Rücken. Ich habe geahnt, dass ihm das nicht gefällt.

„Auf keinen Fall" knurrte er bedrohlich.

„Ich muss. Du kannst gerne mitkommen, aber ich bitte dich, dich im Hintergrund zu halten" bat ich ihn.

„Abwarten" knurrte er leise und ging raus. Vermutlich eine rauchen. Ich wusste, dass er nun wütend war. Doch es musste sein. Als wir aufgegessen hatten, nahm ich Carl seine Hand und ging raus. Stellte mich zu Daryl und mopste mir eine Kippe von ihm. Zündete sie an und inhalierte den schädlichen Qualm tief in meine Lungen. Er würdigte mich keines Blickes. Kehrte mir den Rücken zu. Es tat weh, doch ich hoffte, dass er mir eines Tages verzeihen konnte. Dass er mich eines Tages verstehen konnte.

Zusammen gingen wir zu dem Haus, in dem eine Art Gefängnis war. Es wurde notdürftig erbaut, doch es erfüllte seinen Zweck. Auch Ron war hier. Beide hatten je eine einzelne Zelle für sich. In dieser lag eine Matratze, samt Decke und Kissen. Ein Tisch und ein Stuhl. Eine Toilette stand hinter einem kleinen Sichtschutz und ein Waschbecken gab es. Daryl und Carl blieben an der Tür stehen, während ich langsam, aber entschlossen, zu Spencer seine Zelle ging. Ich spürte deutlich ihre Blicke auf mir. Jederzeit bereit, sofort einzugreifen, sollte dies nötig sein. Doch Spencer war eingesperrt, er konnte nicht raus und ich hielt einen gewissen Sicherheitsabstand zu dem Gitter.

„Welch ein schöner Besuch" lächelte mich Spencer schmierig an, als er mich sah. Noch immer sah man leichte Verletzungen, die Daryl ihm zugefügt hatte.

„Es wird auch mein letzter sein. Und ein kurzer noch dazu. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich dir verzeihe. Aber, egal wie die Entscheidung wegen dir ausfällt, für mich bist du ab sofort gestorben. Du bedeutest mir nichts. Gar nichts. Darfst du bleiben, existierst du für mich nicht. Schmeißen sie dich raus, bin ich diejenige, die hinter dir lächelnd das Tor schließt. Bye" mit diesen Worten drehte ich mich um, verließ das Haus und lehnte mich an die Hauswand. Mehrmals atmete ich tief ein, als Carl und Daryl zu mir stießen.

„Wie kannst du diesem Bastard verzeihen?" fragte mich Carl schockiert. Auch Daryl sah mich sichtlich überrascht und entsetzt an.

„Kannst du dich noch an den Abend erinnern, wo wir Monopoly gespielt haben? Da wollte ich eigentlich auch schon herkommen. Aber da war ich wütend und sauer. Voller Hass und Abscheu. Ich weiß nicht, wie das Treffen dann ausgegangen wäre. Vermutlich nicht schön. Daryl hatte mich davon abgehalten und heute bin ich sehr froh darüber. Aber nach letzter Nacht... Ich musste es einfach tun. Ich möchte damit abschließen können. Das werde ich nicht heute können und auch nicht morgen. Aber eines Tages werde ich es können. Und eben... Es musste einfach sein. Ich bin einfach meinem Gefühl gefolgt. Wut und Hass sind abscheuliche Eigenschaften. Wut und Hass bringen uns nicht voran. Diese beiden hässlichen Dinge machen uns nicht glücklich. Sie werden uns immer wieder in ein Loch ziehen. In ein Loch, wo man nur sehr schwer wieder herauskommt. Schau dir Ron an. Er steckt seit Monaten darin fest. Kommt da nicht raus. Aber ich möchte das nicht. Ich möchte nicht so sein. Ich möchte nicht so enden. Ich möchte Leben und lieben. Es genießen und frei sein. Glücklich sein und unbeschwert Lächeln und Lachen können. Einfach leben" erklärte ich beiden. Ich sah, wie es in ihren Köpfen arbeitet. Lange dachte Carl darüber nach.

„Entschuldigt mich kurz" meinte er nun und ging wieder hinein. Daryl stellte sich wieder an den Türrahmen und ich lehnte mich an ihn. Beobachtete Carl, der mit Ron sprach. Wütend unterbrach dieser ihn immer wieder, doch davon ließ sich Carl nicht beirren. Auch er verzieh Ron.

„Wie geht es dir?" fragte ich ihn, als er sich wieder zu uns gesellte.

„Irgendwie... besser" meinte er nach kurzem Überlegen und lächelnd nahm ich von beiden die Hand. Lief nun mit ihnen zu Rick und Michonne, wo Samu uns auch schon erwartete. Mit jedem Schritt näher wuchs bei uns beiden die Anspannung. Fest verschränkten sich unsere Finger miteinander.

Angekommen, ließen wir uns alle im Wohnzimmer nieder.

„Was gibt es denn so dringendes?" fauchte Michonne leise und erntete einen bösen Blick von Samu. Ich sah Carl fragend an, ob er anfangen möchte, doch er schüttelte schnell den Kopf. So fing ich an, mein erlebtes zu erzählen. Anschließend erzählte Carl, was ihm wiederfahren war. Schweigend hörten sie zu. Ab und zu hörte man, wie sie scharf die Luft einzogen. Sich zusammenreißen mussten. Daryl lief im Wohnzimmer auf und ab. Deutlich sah man ihm an, wie wütend er war. Wie es in ihm brodelte.

„Michonne. Bitte gib Josie nicht die Schuld dafür. Ohne sie wäre ich heute nicht mehr hier. Sie hilft mir so unglaublich viel. Ohne sie würde ich daran zerbrechen... Auch wenn ich erstmal ausgezogen bin, dass ändert aber nichts daran, dass ich euch lieb habe. Ich komme nur nicht mehr mit Berührungen klar. Aber ich werde daran arbeiten. Versprochen" beendete Carl seine Erzählung und sah sie bittend an. Unergründlich ruhte ihr Blick auf ihn, dann sah sie mich an.

„Entschuldige bitte, dass ich dich immer so angegangen bin... Ich werde mich bemühen" erwiderte sie leise und ich nickte ihr lächelnd zu. Aus den Augenwinkeln vernahm ich, wie Samu leise aus dem Wohnzimmer schlich. Fragend sah ich Carl an und als er nickte, folgte ich Samu. Fand ihn draußen auf der Veranda. Ich stellte mich hinter ihm und legte meine Arme um seinen Bauch. Lehnte meine Stirn an seinen Rücken. Er war so groß.

„Wir haben es vermutet... Aber so gehofft, dass wir damit falsch lagen... Warum nur hast du das getan...?" flüsterte er kaum hörbar, deutlich den Tränen nahe und legte seine Hände auf meine.

„Weil ihr sonst nicht mehr hier wärt und ich will niemanden mehr verlieren. Ich kann nicht" erwiderte ich leise. Er drehte sich in meinen Armen, drückte mich fest an sich. Spürte Tränen, die nicht meine waren und das ließ auch meine Tränen laufen. Nach einer Weile vernahm ich ein leises schnaufen und blickte in die Richtung. Sah Daryl und Carl an der Tür stehen.

„Ich glaube, da ist jemand eifersüchtig" grinste Samu schief und wischte seine letzten Tränen weg.

„Dazu gibt es keinen Grund. Mein Herz gehört nur einem Mann" erwiderte ich lächelnd und sah Daryl dabei fest in die Augen. Doch dieser zuckte nur unmerklich mit seinen Achseln. Da es schon spät war, beschlossen wir, nach Hause zu gehen. Ich löste mich von Samu und nahm Daryl seine Hand. Ließ mich mit ihm zurückfallen.

„Geht es dir gut?" erkundigte ich mich leise.

„Ja. Hätte ich das früher gewusst..." knurrte er leise und spannte sämtliche Muskeln in seinem Körper an.

„Hätte das auch nichts geändert. Es ist passiert. Es wird eine Weile dauern, bis wir es verarbeitet haben. Aber wir werden das schaffen. Auch dank euch. Ich glaube, wir könnten ein Bier vertragen, oder?" fragte ich ihn. Nickend gingen wir rein und setzten uns, jeder mit einem Bier bewaffnet, zu den anderen ins Wohnzimmer. Carl saß bei Samu und Michelle und sie spielten Karten, doch er sah schon ziemlich müde aus. Ich setzte mich auf Daryl seinen Schoß und kuschelte mich an. Er legte etwas angespannt seinen Arm um mich. Erschöpft, aber viel leichter ums Herz, schlief ich ein, bevor ich auch nur einen Schluck vom Bier getrunken habe. 

Joseline - Mein Weg (TWD, Sunrise Avenue, Daryl Dixon FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt