Carl's Perspektive
Der erste Tag ohne Josie und es fühlte sich schon wie eine Ewigkeit an. Wusste nicht, wie ich die nächsten zwei Wochen ohne sie klarkommen sollte. Ihre Kette hatte ich mir um den Hals gelegt und unter mein Sweatshirt versteckt. Ich hütete sie wie einen Schatz. War es doch das einzige, was ich im Augenblick von ihr hatte. Die meiste Zeit hielt ich den Anhänger in meiner Hand oder spielte gedankenverloren damit. Hatte dann für einen kurzen Moment das Gefühl, ihr nahe zu sein. Als wäre sie hier. Hier bei mir. Und sie würde mich einfach nur festhalten. Sie fehlte mir jetzt schon so sehr.
Seit sechs Tagen war Josie nun schon mit der Gruppe auf Tour. Die Tage zogen sich endlos hin. Als wenn ein Tag plötzlich 48 Stunden hätte. Ich wusste nicht viel mit mir anzufangen. Ging die meiste Zeit allen aus den Weg. Ich wollte einfach meine Ruhe haben. Alleine sein. Nicht erklären müssen, warum ich so bin, wie ich bin. Was bei diesem Arschloch passiert ist. Was wir dort durchgemacht haben. Manche Dinge sollten lieber im verborgenen bleiben. Doch verstanden sie es nicht. Oder wollten es nicht verstehen.
Nachts lag ich die meiste Zeit wach im Bett und starrte die Decke an. Die erste Nacht habe ich noch Zuhause verbracht. Doch es war ein Alptraum. Je länger ich im Bett lag, desto mehr hatte ich das Gefühl, alles würde mich erdrücken. Die Wände würden immer dichter kommen. Die Decke senkte sich Stück für Stück hinab. Drohte mich unter sich zu begraben. Ich hielt es hier nicht aus. Musste hier raus.
So verbrachte ich die letzten Nächte bei Josie im Bett. Wenn auch alleine. Aber die Wände blieben wo sie sind. Die Decke senkte sich nicht herab. Alles erweckte den Eindruck, friedlich zu sein. Doch war es das? War es das wirklich? Oder nur eine Illusion? Eine Illusion von mir selber erschaffen? Eine Illusion, um den Gedanken und den Träumen zu entfliehen. Nicht in ihnen zu versinken. Mich nicht von ihnen herunterziehen zu lassen.
Schlafen konnte ich nicht wirklich. Auch wenn ich mich in Josie ihrem Bett sicher fühle. Sicher und geborgen. Weit weg von allem Übel und Bösem da draußen. Gott, sie fehlte mir so sehr. Wie soll ich nur die weiteren Tage ohne sie überstehen? Ohne ihre wärmenden Arme? Ohne ihre sanfte, beruhigende Stimme? Jene, welche mich stets aufbaute. Jene, deren Gesang mich ohne Angst in den Schlaf gleiten ließ. Jene, die mich nicht bedrängte. Ohne ihre Augen, die mich stets liebevoll anschauten? Ohne die Gewissheit, jederzeit zu ihr fliehen zu können?
Mikko und die anderen war stets für mich da. Versuchten mich abzulenken. Spielten mit Judith und schlossen mich mit ein. Dachten uns Streiche aus, die wir den anderen spielten. Samu brachte mir sogar ein paar Griffe auf der Gitarre bei und ich musste sagen, dass es schon Spaß machte. Dass es einen in eine andere Welt hineinziehen kann. In eine liebevolle Welt, ohne Gewalt und Beißer. Sie gaben mir nie das Gefühl, dass ich unerwünscht wäre. Dass ich ihnen eine Last wäre.
Seit 8 Tagen wandelte ich nun wie ein Geist durch Alexandria. Stets darauf bedacht, niemandem zu begegnen. Ich war müde. So unendlich müde. Fühlte mich einsam und alleine. Auch wenn ich wusste, dass ich dies eigentlich nicht war. Als sich eine Hand auf meine Schulter spürte, spannte sich jeder einzelne Muskel in meinem Körper an. Scharf zog ich die Luft ein. Unfähig, mich auch nun einen Millimeter zu bewegen.
„Carl? Isst du heute bei uns Abendbrot mit? Wir haben für dich mitgekocht" vernahm ich die Stimme von Dad, doch entspannte mich dies keinesfalls. Ganz im Gegenteil. Ich blieb angespannt. Konnte mich kaum auf das gesagte konzentrieren. Drehten meine Gedanken sich doch nur im Kreis.
„Nein. Ich habe Raul versprochen, ihm beim Kochen zu helfen und werde dort auch essen" erklärte ich ihm und drehte mich langsam zu ihm rum. Endlich nahm er seine Hand von meiner Schulter. Er war doch mein Dad. Es war falsch. Ich durfte so nicht reagieren.
„Schade. Dann bis später" meinte er und ging weiter. Ich fühlte mich so schuldig. So schuldig und dreckig. Ich war ein schlechter Sohn. Er hatte mich nicht verdient. Er hatte etwas Besseres verdient. Kein Monster wie mich. Keinen Sohn, der ihm aus dem Weg ging. Ich war seiner nicht würdig. Ich war es nicht Wert, dass er sich um mich sorgte oder um mich bemühte. Ich war niemand, auf den er stolz sein sollte. Es war falsch. Er war mein Dad. Ich war sein Sohn. Ich war kein Mann. Kein Mann, wie ich einer hätte sein müssen. Ich hatte ihn enttäuscht. Immer und immer wieder.
Gedankenverloren lief ich wieder einmal an der Mauer entlang. Hinter der Mauer lauerte die Gefahr. Nicht hier drin, versuchte ich mir einzureden. Doch gelang mir dies nur sehr schlecht. Seit 15 Tagen nun war Josie mit der Gruppe nun schon weg. Die Tage zogen sich wie Kaugummi hin. Unendliche lange Tage. Unzählige Stunden, in den ich betete, dass sie gesund und munter wiederkommen würden. Und das hoffentlich bald.
Plötzlich hörte ich laute Schreie und sah mich hektisch um. Ein Beißer hockte über eine Bewohnerin, hatte sie gebissen. Wo kam der her? Schnell zog ich meine Waffe und entsicherte sie, als ich Ron auf mich zu rennen sah.
„Beißer. Überall sind Beißer" rief er mir panisch zu.
„Sei leise verdammt. Sonst lockst du sie noch an" erklärte ich ihm bestimmend und sah mich genauer um. Hunderte Beißer zogen durch die Straßen. Röchelnd und schlürfend suchten sie nach Nahrung. Sie waren hungrig. Hungrig und unersättlich. Wo kamen sie nur her? Ich muss zu Judith und zu Dad, schoss es mir durch den Kopf.
„Komm mit" flüsterte ich Ron zu und lief geduckt zu ein paar Bäumen. Dort angekommen sah ich den Wachturm und das Loch, dass daneben in der Mauer war. Dort mussten sie reingekommen sein. Ein Schuss fiel in meiner unmittelbaren Nähe und ein Beißer kippte neben mir um. Hektisch schaute ich mich um.
„So schnell sieht man sich wieder" vernahm ich plötzlich hinter mir eine bekannte Stimme und mir gefror das Blut in meinen Adern. Automatisch umgriff ich den Anhänger der Kette. Hielt diesen fest an mich gepresst, während mein Puls in die Höhe schnellte. Stockend war meine Atmung, unfähig zu agieren. Unfähig zu reagieren. Josie. Josie, wo bist du? Ich brauche dich, schickte ich leise Stoßgebete zum Himmel.
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Joseline - Mein Weg (TWD, Sunrise Avenue, Daryl Dixon FF)
FanfictionDas Leben treibt Menschen auseinander. Das Leben bringt Menschen zusammen. Die Hoffnung kann enttäuschen. Die Hoffnung kann stärken. Die Liebe kann schmerzen. Die Liebe kann heilen. Man muss nur den Mut haben, daran zu glauben! ---------------- „Ge...