Bel
„Schönen guten Tag, Herr Kamps", begrüßte ich den stämmigen Mann an der Rezeption reflexartig, als ich das Krankenhaus betrat. Er sah noch nicht mal von seinen Unterlagen auf und trällerte mir eine fröhliche Begrüßung zurück, wie jeden Tag auch. Es war Routine. Ich war fast schon daran vorbeigelaufen, da sah ich eine Vase mit schönen Rosen auf der Rezeption stehen und wurde wie magisch von ihrem leuchtenden frischen Rot angezogen.„Wow", flüsterte ich bewundernd und erlaubte es mir meine Finger nach den weichen Blüten auszustrecken. Ich war mit Rosen auf eine Art verbunden und diese kamen mir irgendwie ganz besonders vor. Als würden sie hier in der Vase auf mich warten. Nach mir rufen.
„Die sind schön, was?",holte mich Herr Kamps aus meiner tranceähnlichen Starre heraus.
„Darf ich mir eine nehmen?"
Mit seinem sympathischen Lachen nickte er mir erlaubend zu und ich zögerte kein Wenig, um mir schnell eine und dann ganz hinterhältig doch zwei zu nehmen und weiterzueilen.
„Danke."
„Das sind aber zwei, liebe Bel", hörte ich ihn mir spaßig nachrufen und hopste davon.Ich sog den natürlichen Duft der Rosen ein und spürte mich etwas in meine Kindheit zurückgeholt. Zwar hatte ich auch nach meiner Kindheit oft Rosen gesehen aber sie waren dann am besondersten gewesen, als ich immer als fünfjähriges Mädchen erschüttert wegen den starken Schmerzen meiner Mutter gewesen war. Doch sie hasste Rosen über alles. Sie hasste nichts und niemanden und hatte mir das auch immer beigebracht selber nicht zu tun aber Rosen...da machte sie eine Ausnahme. Naja. Doch der eigentliche Grund dafür, dass Rosen mir ganz besonders am Herzen lagen, war ein alter Freund aus meiner Kindheit. Ein Freund, den ich würde nie vergessen können. Der einzige Freund, der mir nach zehn Jahren immer noch am Herzen lag.
Ich entschied mich heute wieder für die Treppen und flitzte mit kontrollierten Atemzügen hoch.
„Wieder Fitness-bewusst?", lachte mir Magritte, die süße Krankenschwester entgegen, als ich schwer atmend im achten Stock ankam. Ich konnte nur erstickt nicken und nahm für den Rest doch den Aufzug. Letzte Woche hatte ich es immer nur bis zum siebten Stock geschafft.
Der Flur empfing mich wie jeden Tag der letzten vier Wochen mit seinem sterilen Geruch, von dem ich langsam die Nase voll hatte. Ich war nur froh, wenn meine Mutter endlich wieder hier raus konnte.Mehr als acht Jahre war sie jetzt tumorfrei gewesen. Aber anscheinend fand die Krankheit Krebs meine Mutter ja so toll, dass sie unbedingt zurückkehren musste. Ich hoffte bloß, die Chemotherapie würde sie wieder gesund machen. Ich hoffte es so sehr. Schon damals, vor ungefähr elf Jahren, als ich noch sechs war, war das Krankenhaus mein zweites Zuhause geworden. Ich war immer dabei gewesen, als meine Mutter an ihren Schmerzen gelitten hatte und dabei stets lächelte. Sie war mein Vorbild und meine beste Freundin.
An ihrer Tür angekommen versteckte ich erstmal die Rosen hinter meinem Rücken und klopfte mit meinem persönlichen Rhythmus an ehe ich meinen Kopf reinsteckte.
„Guten Tahag."
„Komm rein, Schatz."
In den hereinströmenden Sonnnstrahlen sah ihr erblasstes Gesicht viel frischer und erholter aus als noch vor ein paar Wochen, was mich umgehend aufmunterte. Ich hüpfte in ihr Zimmer, legte meinen Kopf schief und setzte einen interessiert musternden Blick auf.
„Welches Tier hat Sie diese Nacht belästigt, meine Liebe?", fragte ich gespielt ernst.
„Nur eine kleine Fliege, fand ich nicht sehr belästigend", antwortete sie ebenfalls mit demselben Humor. Das war unser tägliches Spiel, womit ich sie nach der Stärke ihrer Schmerzen fragte. Eine Fliege bedeutete, dass sie ziemlich wenige hatte.
„Echt?!"
Ich war total erfreut, dass ihre Schmerzen nicht so stark waren. Das konnte ja nur ein positives Zeichen sein. Ich sah schon den Tag, an dem wir endlich zusammen aus diesem abstrusen Gebäude gehen konnten, zusammen lachten und durch die vielen Kleiderläden bummelten oder Witze reißend in einem hochnäsigen Restaurant aßen. Wie früher.„Morgen fängt Schule wieder an", sagte sie erleichtert. Ich hatte mich schon an den Anblick gewöhnt, wie sie mager und reglos dalag und nur ihre Mimik bewegte. Doch ich konnte nicht behaupten, dass es nicht Momente gab, wo es für mich schwer wurde meine Trauer zurückzuhalten. Manchmal erdrückte es meine Brust doch und mein übliches Lächeln musste ich dann immer nur vortäuschen.
„Ja, stimmt."
„Endlich wirst du mal was besseres zu tun haben, als mich zu bemuttern", scherzte sie mit ihrem schönen aber müden Lächeln.
„Bild' dir ja nicht ein, dass ich dich nicht trotzdem täglich bemuttern komme. Das ist mein einziges Hobby."
Ich hob gespielt ernst meine Augenbraue. Ich war tatsächlich die letzten sechs Wochen täglich im Krankenhaus gewesen, seitdem ihr Blutkrebs, das vor sechs Monaten aus heiterem Himmel aufgetaucht ist, ernst wurde.
„Ach Bel, ich hab deine ganzen Sommerferien ruiniert. Jetzt mach dir ja keinen Stress mit der Schule und dann auch noch mit mir."
„Mamaaa."
Ich verdrehte meine Augen.
„Wie oft soll ich dir das noch sagen? Du hast meine Sommerferien nicht ruiniert. Wirklich nicht. Hör bitte auf damit."Ich drückte ihr einen Kuss auf die blasse Stirn und lächelte sie warm an. Doch sie guckte weiterhin schuldbewusst. Jetzt wo ich ihr so nah war konnte ich die tiefen Ringe unter ihren Augen noch besser schimmern sehen. Sie wirkte so erschöpft. Ich wünschte ich könnte ihr ganzes Leid irgendwie nehmen. Ihre so verarmte Haut wieder mit Farben füllen, ihre immer weiter rissig werdenden vollen Lippen wieder geschmeidig aussehen lassen.
„Wie? Bist du nicht diejenige die mir seit meinem ersten Atemzug nur einen Satz zugesungen hat?: Immer lächeln", erinnerte ich sie an ihr eigenes Mantra, das ich selber in meinem Blut fließen ließ.
Und dann trat wieder ihr bezauberndes Lächeln zum Vorschein.Es war wirklich wunderschön, auch wenn ihr derzeitiges Aussehen nicht wie üblich war. Ein Lächeln, das jeden anderen ebenfalls zum Lächeln brachte. Jeder meinte, dass ich dasselbe atemberaubende ansteckende Lächeln hätte und eine noch schönere Lache. Doch für mich war nur die Lache meiner Mutter am wertvollsten und schönsten.
„Was hast du denn hinter deinem Rücken?"
„Oh."
Ich holte die Rosen hervor und musste kichern, als ich ihren nicht sehr erfreuten Gesichtsausdruck sah.
„Nicht du auch noch", murmelte sie.
„Hat dir sonst noch jemand Rosen geschenkt oder was?"
Ich tat so, als wäre ich beleidigt und legte erschüttert meine Hand auf die Brust. Sie deutete hinter mir auf den Tisch und erst jetzt sah ich die Vase, die wie an der Rezeption, mit unglaublich schönen Rosen gefüllt war. Wieder spürte ich etwas besonderes gegenüber diesen Rosen. Etwas, was mich anzog.„Hat jemand unbekanntes abgegeben. Keine Sorge, kein heimlicher Verehrer oder so. Ist jemand, der jeden Sonntag, jedem Krebspatienten Rosen schenkt. Von mir hat er erst letztens erfahren", hörte ich meine Mutter im Hintergrund, während meine Füße mich automatisch zu den rot strahlenden Blumen trugen.
„Bitte nimm du sie mit, Bel, du liebst sie ja."•
Auf dem Weg nach Hause brannte die Sonne auf meinen nackten Armen, obwohl es schon spät war. Ich liebte die warmen Farben des Sommers und das Lachen aller Menschen aufgrund des schönen Wetters. Ich betrachtete nochmal die vielen Rosen in meinen Händen und fragte mich, wer diese Person war, die jeden Sonntag allen Krebspatienten Rosen schenkte. Rosen waren nicht billig und diese sahen auch nicht danach aus, so frisch und schön sie waren. Es musste jemand mit einem großen Herz sein und ich mochte diese Person jetzt schon.
Ich griff alle Rosen gut gepackt an den langen harten Stielen und legte meine Wange oben an die weichen Blüten, während ich weiterhin blind die Straße herunterlief. Ich war so vernarrt und konzentriert in das Gefühl der Blüten an meiner Haut, dass ich total hart mit meiner Schulter gegen die einer anderen Person knallte und sofort den Schmerz spürte. Der unerwartete Zusammenstoß erschreckte mich, sodass alle Rosen zu Boden fielen und ich fing an lachend meine Schulter zu reiben und mich hopsend im Kreis zu drehen.
„Sorry", hörte ich eine tiefe männliche Stimme murmeln und hörte auf mich um meine eigene Achse zu drehen.
„Schon gut", sagte ich aber konnte niemanden vor mir sehen und musste losprusten, als ich bemerkte, dass ich wohl mit dem Rücken zu ihm stand.
„Oh."
Ich drehte mich etwas gekrümmt vor Lachen um und musste mir die Haare aus den Gesicht streichen, als urplötzlich ein starker Wind aus dem Nichts kam.Und dann hörte mein Lachen auf. Es erstickte irgendwie und erblasste in ein schwaches Lächeln, als ich ihn sah. Als ich das leuchtende Grün sah, das mich mit einer harten Intensität durchdrang. Ein Grün, bei dem ich aus irgendeinem Grund wusste, dass es mit besonderen grauen Punkten geschmückt wurde, ohne diese grauen Punkte, wegen der Distanz, genau sehen zu können. Ich wusste es irgendwie. Als würde ich diese Augen kennen und das Gefühl, das sie in mir auslösten schon mal gehabt zu haben. Als würde ich es schon einmal erlebt haben, in diese Augen zum ersten Mal zu gucken und direkt wie Eis zu erstarren.
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Smile With Me
RomanceIch konnte die Hitze seiner Lippen an meinen spüren und hätte am liebsten die wenigen Millimeter zwischen uns sofort geschlossen. „Ich bin nicht gut für dich, Annabella", flüsterte er und strich brennend mit seinem Daumen über meine Lippe wobei sein...