Zehn

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„Lasst ihn gehen", befahl ich schließlich ernst und entschlossen nach einem tiefen Atemzug, was für verwirrte Gesichter sorgte.
„Boss?"
„Ich wiederhole mich nicht gerne."
Kurzes Zögern trat auf Azats dunklen Zügen. Auch er dachte wohl an Georgios' Reaktion auf diese Entscheidung aber ich würde ihm das erklären können. Er würde diesen Mann bestimmt verstehen und verschonen, der ihn nur für das Überleben seiner Tochter  hintergangen hatte.
„Aber...Bo-"
„Azat!"
Er atmete zischend aus und konnte nichts erwidern.
„Oh, danke, danke ich weiß nicht, was ich... ich wusste schon immer du hast ein gutes Herz, Arian", ertönte seine erleichterte Stimme hinter mir, woraufhin ich mich ruckartig umdrehte.

„Dass ich dich gehen lasse bedeutet nicht, du hast keine Probleme mit uns."
Ich Schritt auf ihn zu und zog ihn am Kragen wieder hoch.
„Du hast immer noch Georgios hintergangen, Freundchen. Das wird noch Konsequenzen tragen", brummte ich nah an sein Gesicht und durchbohrte ihn mit dem glühenden Blick, der mir beigebracht worden war.
„Ich... ich mache alles. Ich bezahle euch alles zurück."
Ich guckte einmal kurz über sein ängstliches Gesicht und ließ ihn dann auf die modrige Erde fallen.

Aufgerichtet drehte ich mich um und setzte an zurückzugehen.
„Bringt ihn weg", befahl Azat hinter mir den anderen Jungs und ich hörte, wie er mir folgte.
„Boss."
Ich hasste es ‚Boss' aus ihren Mündern, am meisten aus seinem, für mich zu hören, wenn sie eigentlich viel älter waren als ich. Doch Georgios bestand darauf und ich war daran gewöhnt.
„Azat."
„Und wie erklären Sie das G? "
„Das lass du mal meine Sorge sein."
Ich drängte mich durch die Bäume zu meinem Auto und hoffte wirklich ich würde es ihm erklären können.
„Lass dich von ihm zu seiner Tochter führen und sag mir wie ihr Zustand ist. Und wenn es da keine sterbende Tochter gibt, weißt du auch Bescheid."
Er nickte mir verstehend zu und ich setzte mich ins Auto, um schnellst möglich hier wegzukommen.

Ich wollte gerade das Auto starten, wo mich das Glänzen eines Gegenstandes auf dem Beifahrersitz blendete. Es war ihr Armband. Ich nahm es in die Finger und hielt es mir hängend vor die Augen. Sofort erinnerte ich mich an das Leuchten in ihren Augen, als ich ihr gesagt hatte, dass ich Arian bin. Wie gern hätte ich auch meine Arme um sie geschlungen und das wohlige Gefühl dabei genossen, ihr all meine Sorgen erzählt und gesagt, wie sehr ich sie vermisst hatte und wie sehr ich mich nach ihrer Nähe sehnte. Dann wurde mein Blick auf das düstere Durcheinander des Waldes gelenkt und ich seufzte tief bei der Erkenntnis, dass ich es nicht zulassen durfte. Ich steckte das klirrende, silberne Schmuckstück in meine Hosentasche und dachte gar nicht darüber nach es ihr zurückzugeben.

Ich fuhr wild durch die Gegend, um genug Zeit vertreiben zu können und nicht nach Hause zu müssen, wo die kahlen Wände und die hallende Stille mich immer erdrückte. Ganz alleine in solch einer großen Villa zu wohnen war als siebzehnjähriger nicht das Schönste. Schließlich hielt ich an der gegenüberliegenden Straßenseite des Cafés, wo Annabella arbeitete und wartete gebannt darauf, sie irgendwie zu sehen.
Das Klingeln meines Handys jedoch lenkte mich von dem ungeduldigen Warten ab. Nach dem Blicken auf das Display kratzte ich kurz an dem Leder des Sitzes und nahm widerwillig ab.
„Arian, mein Kind", ertönte die gewohnt bedrohliche aber erfreute Stimme von Georgios.
„Sag mir, dass dieser Verräter büßen musste", lachte er schadenfreudig, ganz genau wissend, dass ich ihn hatte verprügeln lassen. Ich tat immer, was er wollte.
„Ich...Georgios, ich habe ihn gehen lassen."
Stille verteilte sich nach meinem Geständnis und ich wusste jetzt schon, er würde es nicht durchgehen lassen.

„Du hast was?!"
„Ich weiß, was du von Verrätern und alles hälst aber er hat das Geld für die Operation seiner Tochter gebraucht, Georgios. Ich werde schon dafür sorgen, dass er es uns zurückzahlt oder sonst was aber seine To-"
„Arian!", grollte er wütend und ließ mich verstummen. Gegen ihn durfte ich nicht viel sprechen.
„Mitgefühl hat in diesem Geschäft nichts verloren, wie oft noch?! Das habe ich dir doch die ganzen zehn Jahre versucht beizubringen!"
Zahn Jahre...zehn Jahre hatte er an mich gearbeitet.
„Seine Tochter braucht ihn."
„Das ist mir scheißegal! Wenn wir einmal jemanden durchgehen lassen, ist es mit meinem Ruf auch geschehen, Arian! Dann wird jeder plötzlich eine kranke Tochter haben. Verdammt, lass diesen Mann leiden! Er soll leiden!"

Smile With MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt