Der Rubin gegen den Smaragd

London, Villa Gardon, 18. 2. 1863

Nach langer Zeit hielt die Kutsche ruckartig an, nachdem sie schmale und schlammige Waldpfade des Forest of Curses überquerten. Mr Robinson und Grace wurden nach vorne geschleudert. Der Kutscher öffnete die Türe. Er war außer Atem und Schweiß lief über seine Stirn. Er nahm ehrwürdig seinen Kutschierhut ab und streckte seine Hand aus.

"Nicht nötig", sagte Grace und stieg alleine aus. Sie hasste es von allen so behandelt zu werden, als wäre sie eine kleine zerbrechliche Porzellantasse, die nicht alleine aus einer Kutsche aussteigen konnte! Der Kutscher war verwirrt, wie alle anderen es immer waren. Grace verdrehte genervt ihre Augen. Verstand das wirklich keiner?

Sie rannte mit Mr Jorge Robinson die breiten Stufen zum Haddingtonschloss empor. Grace war überrascht, dass der Oberbutler trotz seines Alters noch so gut in Form war. Grace fror, wegen ihres dünnen Nachthemdes und ihren nackten Füßen, die ihr vor Kälte brannten. Sie rieb sich verfroren die Arme. Es war eisig kalt.

Grace hatte Angst. Angst davor sich jeden Moment in einen Raben verwandeln zu können. Sie wusste nicht, wie sie sich das vorstellen sollte. Warum passierte ihr so etwas? Wie konnte es möglich sein? Warum ausgerechnet jetzt? Warum hatte ihr Dad sie ihr ganzes Leben lang belogen? So viele Fragen, die plötzlich in Grace hinein donnerten, als sie vor der großen Eingangstüre stehen blieben.

"Guten Abend, Miss Lockwood", sagten ein paar Wachen erfreut. Sie freute es eine so außergewöhnliche, wunderschöne, junge Frau in einem knappen Nachthemd zu sehen.

Grace nickte ihnen freundlich mit klappernden Zähnen zu, während sie einen kurzen Blick auf den Fogforest warf. Er lag gruselig in seinen Schatten, während sich die Nebelschweden um die Baumstämme schlängelten. Sie hörte ein paar Raben krächzten und etwas im Unterholz knacken. Schnell wendete sie sich an die Türe, die auch gleich von der Angestellten Mrs Sally Robinson, Mr Jorge Robinson's Frau, aufgemacht wurde.

"Miss, ich habe mir schon solche Sorgen um Sie gemacht! Ich dachte es es wäre zu spät. Ein Glück, das Sie hier sind Miss Lockwood!", sagte sie mit euphorischer Stimme und besorgter Miene.

"Was meint sie damit, dass sie dachte es sei zu spät?", fragte Grace zu Mr Jorge Robinson gewandt.

"Sie dachte Sie hätten sich jetzt schon verwandelt", sagte der Oberbutler, während sie eintraten. "Wie gesagt: Sie können sich jeder Zeit verwandeln Miss."

Grace nickte langsam. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Sie hatte Angst, auch wenn sie das nur schwer vor sich selbst zugeben konnte.

"Kommen Sie." Mr Robinson schleifte sie in den nächsten Wohnsaal.

"Was machen wir denn jetzt?", fragte Grace ängstlich. Sie hatte so viele Fragen.

"Das fragen Sie am besten ihn." Er zeigte auf einen jungen Mann, der in den Kamin starrte. Von hinten konnte Grace schwarzes Haar erkennen und einen muskulösen Körper.

Dann drehte er sich um...

Es war ein Schlag für Grace. Wer war das? Eine Welle voller Emotionen rauschte in Grace, als sie den jungen Mann erblickte. Von irgendwoher kannte sie ihn, aber ihr fiel es nicht ein. Er hatte dunkelblaue Augen, die wie ein geheimnisvoller Ozean aussahen. Die dunkelblauen Augen hatte sich Grace irgendwo in ihrem Gedächtnis eingeprägt, aber sie wusste nicht woher. Der Mann sah verboten gut aus. Er hatte ein kantiges Gesicht und perfekt geschwungenen Augenbrauen. Er war sehr muskulös und groß. Grace war sich sicher, dass sie ihm schon einmal begegnet war. Sie schätzte ihn auf 20. Sein Blick war fesselnd und charmant. Diese charmante Art kam ihr so bekannt vor! Er zog Grace geradezu in seinen Bann.

Er selbst schien auch von Grace angetan zu sein. Er starrte sie wie verzaubert an. Für ihn war es selbst ein Schlag. Als wäre ihre Begegnung Schicksal. Er konnte nicht widerstehen einen kurzen Blick auf Grace knappes Nachthemd zu werfen. Er war von ihrer Schönheit geradezu geblendet. Er räusperte sich und ging mit selbstbewussten Schritten auf Grace zu. "Guten Abend, Miss Lockwood." Er küsste ihr die Hand.