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Ich hörte eine Art Trommeln. Langsam öffnete ich meine Augen auf. Es war noch früh am Morgen. Ich richtete mich auf und schaute aus dem Fenster. Es regnete. Ich war immer noch völlig verstört wegen des gestrigen Gesprächs. Ich konnte es einfach nicht glauben! Aber warum sollten sie mich anlügen?Gestern Abend konnte ich überhaupt nicht einschlafen. Ich wollte sogar schon weglaufen. Ständig habe ich über den Fluch nachgedacht. Es war einfach unmöglich und ich konnte es erst glauben, wenn ich mich anscheinend verwandelte. Dad und Mum enttäuschten mich gestern sehr, egal ob es stimmte oder nicht. Sie haben mich mein ganzes Leben lang belogen und das tat weh! Wie konnten sie das nur tun und dann auch noch sagen, es sei zu meinem besten? Ich wusste nicht, wie ich mich fühlte. Oder wie ich mich fühlen sollte. Vielleicht ängstlich, weil ich mich jeden Moment in einen Raben verwandeln könnte (wie lächerlich das schon klang), wütend weil Dad mich mein ganzes Leben lang belogen hatte oder fertig mit der Welt und all der Wissenschaft. Ich wusste es nicht.

Als erstes kam mir der Gedanke, das Mr Haddington und Dad vielleicht krank wären? Ich meinte, wer wäre schon auf diese Geschichte gestoßen, wenn man nicht die beste Fantasie und die völlige Überzeugung von sich hätte?

Ich stand auf und warf einen kurzen Blick zur Türe. Gestern dachte ich zu hören, wie das Schloss der Türe sich umdrehte. Aber ich wollte nicht nachgucken, sonst würde ich mich noch mehr eingesperrt fühlen, als ich es ohnehin schon war.

Ich lief an den protzigen Schreibtisch. Darauf war eine wunderschöne Feder mit einem Tintenfass. Daneben waren verschiedene Bleistifte und alte schwere Kullis. Sonst lagen ein paar Skizzen herum, als hätte man das Zimmer unberührt gelassen. Ich nahm sie in die Hand. Die Papiere waren alt, verwelkt und braun. Mit schwarzer Tusche hatte jemand einen Raben gemalt. Mit funkelnd roten Augen... Er hatte eine ziemliche Ähnlichkeit mit dem Raben, den Mr Haddington angeblich zu mir schickte, um mir den Brief zu überreichen. Ich hatte mir übrigens ausgemalt, dass es vielleicht ein trainierter Rabe vom Zirkus oder so war. Stopp - vielleicht war ich die Person, die noch verrückt wird! Keine Gedanken mehr an all das! Ich hatte damit schon abgeschlossen. Der Rabe war eine eindeutige Halluzination!

Ich fuhr über die tiefschwarzen Federn und drehte das Blatt herum. Dort stand eine Botschaft:

Versuche etwas über das Haddingtonbuch herauszufinden. Ich beobachte dich und höre alles. Ich weiß, dass du diese Botschaft ignorieren wirst Jolina, weil du denkst sie ist an jemand anderen adressiert. Aber nein, sie ist an dich gerichtet und versuche gar nicht erst jemanden davon zu erzählen. Sonst siehst du das Leid in allen Menschen, die dir je etwas bedeutet haben. Ist das eine Drohung Jolina? Ja, es ist eine und zwar eine gewaltige. -G

Ich erschreckte. Diese oder dieser G wollte mich tatsächlich erpressen? Mir wurde heiß und Schweiß stieg mir an der Stirn auf. Vor Schreck fasste ich mir an meine Kette. Was sollte ich bloß tun oder denken? Und was meinte G mit beobachten? Folgte er mir etwa? Oh Gott! Was passierte mir denn noch in dieser Irrenanstalt? Ich fuhr mir durch die Haare und schlug mir gegen die Stirn. Was sollte ich bloß machen? Etwa das machen was G von mir verlangte? Es schien mir die beste Option, auch wenn ich keine Wahl hatte. Ich wusste ja nicht einmal, was das Haddingtonbuch war oder was es für eine Art von Buch war. G meinte es wirklich ernst... keine Ahnung warum, aber das spürte ich...

Langsam schaute ich hinter mich. Ich hatte das starke Gefühl beobachtet zu werden. Es kam vom Fenster. Ein Instinkt flammte in mir auf, sodass ich wie der Blitz zum Fenster rannte und es aufriss.

Ich schaute in das Morgenlicht der aufgehenden Sonne.

Auf dem Fenstersims blieb eine schwarze Feder liegen...

Mein Herz gefror und ich starrte für ewige lange Sekunden die Feder einfach nur an.

Dann wurde sie mit dem Wind davongetragen...

Ich blickte ihr nach, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwand...

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Ich schüttelte mich nach einer Weile und schloss das Fenster knallend. War das der Rabe? Ich schob den Gedanken beiseite. Was könnte ich auch sonst tun?

Mit schwankenden Schritten ging ich zum Schreibtisch und nahm das nächste Blatt. Eine wunderschöne junge Frau war darauf zu erkennen, die ängstlich ausschaute. Ihre Schönheit war atemberaubend. Um sie herum flogen schwarze Federn.

Ich versuchte mich damit abzulenken und auch wenn ich schweißgebadet war, nahm ich die nächste Zeichnung in die Hand. Etwas Komisches war dargestellt, was ich nicht genau deuten konnte. Erst nach genauerem hinsehen, erkannte ich einen halben Kopf von der hübschen Frau. Die andere Hälfte war ein Rabenkopf. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Sollte das eine Andeutung auf meine angebliche Verwandlung sein? Schnell schaute ich mir die Frau genauer an. Von irgendwo her kannte ich sie. Mir lief es kalt über den Rücken. Ich wollte es mir nicht eingestehen, sogar versuchte ich nicht daran zu denken. War war ich das etwa? Ich mit 18 Jahren? Nein, das war völlig unmöglich! Das konnte nicht sein! Ich drehte hastig die zweite Zeichnungen um. Auf der Rückseite stand:

Grace Lockwood, 1863.

Ich bekam einen Schreck! Kam Grace Lockwood etwa aus meiner Familie? Wer war diese Grace und wieso sahen wir gleich aus? Und warum wollte mir niemand etwas über sie sagen?

Dann durchzuckte ein Schlag meinen Körper. War Grace Lockwood G? Aber wenn sie 1863 lebte, war sie doch schon tot.

Der Rubin gegen den Smaragd Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt