Lauschen

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Ich hielt mich an einer Säule fest, während Mme Durand mein Korsett zuschnürte. Ich zog den Bauch ein und versuchte halbwegs zu atmen. Ich hatte noch nie ein Korsett zugeschnürt bekommen. Woher auch? Mme Durand schnürte schnell und ruckartig, sodass ich immer wieder zurückzuckte, wenn sie die Schnüre zog.

"Reicht das Miss Lockwood?", fragte sie.

Ich nickte und musste auf einmal laut auflachen. Das alles war so komisch und unrealistisch! Jetzt kam ich mir nicht nur wie im flaschen Film vor, sondern wie in einem falschen Märchen!

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Nach einer gefühlten Ewigkeit war ich dann endlich in dem Kleid. Mme Durand war sehr perfektionistisch, was das anging. Es dauerte seine Zeit, bis sie mit dem Kleid zufrieden war.

Ich ging zum Spiegel. Mein Kleid war dunkelgrün und hatte den Schnitt wie des eines Prinzessinen Kleides. Meine Schultern waren mit großen Puffärmeln ausgestattet oder wie auch immer diese Dinger hießen. Es hatte viel Tüll und war groß. Wundervolle Muster rangelten sich an meinem Bauch hinunter. Ich wollte nicht wissen, wie viel es kostete.

Um das Schweigen zu unterbrechen, fragte ich: "Aus welchem Jahr stammt das Kleid?"

"1863." Sie betrachtete mich seufzend. "Ach, Sie sind eine so außerordentliche Schönheit Miss!"

Ich fuhr über den edlen Stoff und brachte es immer noch nicht fertig meine Mundwinkel für ein kurzes Lächeln zu heben. Ich fragte erst gar nicht nach, von wem das Kleid war, denn ich wusste, dass es von dieser Grace war. Aber darauf schien sie mir wohl keine Antwort zu geben.

"Ein Butler wartet vor der Türe auf Sie Miss", sagte Mme Durand.

"Ähm, okay. Vielen Dank Mme Durand." Ich ging in Richtung Tür, während ich Mme Durands Blick im Rücken spürte.

Ich drückte die Türklinke nach unten. Ein Butler mit schwarzem Pferdeschwanz schaute mich bezaubernd an. "Sie sind wunderschön Miss Lockwood."

"Danke", sagte ich trocken.

Es war ein komisches Gefühl hinter dem Butler, wie ein Hund herzulaufen, nachdem wir die endlosen Stufen des Turm bestritten. Das schwierigste bei der Sache war allerdings, nicht auf das Kleid zu treten. Da waren meine alten Faschingskleider nichts dagegen. Wobei ich sie früher total groß und toll fand. Aber so war das, wenn man älter wurde. Alles veränderte sich. Und die kleinsten unbedeutendsten Dinge, die man früher so toll fand, vergaß man.

Wir liefen durch Flure, die mit einem langen roten Teppich, wie in einem Thronsaal ausgelegt waren. Ich versuchte mir den Weg gut einzuprägen. Aber keine Chance! Das Schloss war einfach zu groß! Ich war gespannt, oder doch eher aufgeregt, was Dad und Mr Haddington mir sagen werden. Ich vermutete nichts Gutes, denn an Dad's Gesichtsausdruck hatte ich nur Traurigkeit feststellen können. In welcher Beziehung stand Dad zu Mr Haddington? Auch in meiner besten Fantasie konnte ich mir keine logische Antwort ausmalen, was wir Lockwoods mit dieser Milliardärsfamilie zu tun hatten. Ich hatte keine Antwort darauf, warum ich hier war.

Außerdem musste ich immer wieder an die Schmerzen denken. So grausam, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können! Ich wollte wissen, was das für schreckliche Stiche waren. Was war, wenn ich es noch einmal bekam, obwohl ich mich fast nicht daran erinnerte. Angst kroch mir den Rücken empor. Ich schüttelte mich.

"Alles in Ordnung Miss?", fragte der junge Butler, ohne mich anzusehen.

"Ja, ich verstehe bloß nicht, warum ich hier bin und warum dieser - " Ich stoppte. Ich glaubte, er wollte das gar nicht hören. Ich räusperte mich und konzentrierte mich auf das Kleid, um nicht hinzufallen, denn es war gar nicht so einfach in ihm zu laufen, auch wenn es in Filmen immer so leicht aussah.

Wir gelangten an eine große Flügeltüre, die einem ziemlich ins Auge stach.

"Hier ist der Hauptspeisesaal im Westflügel. Es gibt noch viele weitere, aber diesen bevorzugt Mr Haddington." Der Butler verschwand.

"Ich kann es ihr nicht sagen!", sagte eine laute Stimme im Speisesaal. Das waren Dad's Worte.

"Doch! Du musst!" Jetzt sprach Mr Haddington.

Ich beschloss zu lauschen und drückte mein Ohr an die Flügeltüre.

"Aber ich setze sie in so große Gefahr!", schrie Dad schon fast.

"Charles, wir können dagegen nichts tun und das weißt du!"

Sie klangen sehr vertraut. Sie nannten sich sogar bei Vornamen.

"Ich weiß. Aber, aber..." Dad seufzte.

"Diese Unterhaltung führten wir doch schon tausend Mal! Es ist unsere Pflicht Charles!", sagte Mr Haddington bestimmt. "Wenn du es ihr nicht sagen willst, werde ich das machen."

"Untersteh dich Armin!", fauchte Dad.

Der Rubin gegen den Smaragd Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt