Unsicher blickte ich von meinen Händen auf. Sein Blick lag auf mir.
"Danke, für's Fahren.", flüsterte ich. Harry begann leicht zu lächeln, was ihn fünf bis zehn Jahre jünger wirken ließ.
"Nichts zu danken. Ich bringe dich lieber nach Hause, als dass ich dich um diese Uhrzeit alleine lasse. Wir wollen ja nicht, dass dir wieder etwas passiert." Ich wendete den Blick von seinen Augen zu seinen Lippen. Während er sprach waren sie wie hypnotisierend.
"Mary?", hauchte er. Ich blinzelte und sah peinlich berührt zu ihm auf.
"Es ist schwer, mich von dir fern zu halten, wenn du so anziehend aussiehst." Seine Ehrlichkeit berührte etwas tief in mir.
"Ich, äh, tut mir leid.", stotterte ich. Harry lachte und fuhr sich durch die Haare. Auch das sah sehr attraktiv aus...
"Du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich glaube du kannst nichts machen, was ich nicht anziehend an dir finde." Für einen Augenblick sahen wir uns an. Schweigend betrachtete ich sein Gesicht und ehe ich mich versah, fand ich meine Hand an seiner Wange wieder. Harry zog die Luft scharf ein, als meine Finger seine Haut berührten. Zögerlich lächelte er. Als sein Blick meinen dieses Mal traf, war er anders. Sanft und liebevoll und doch verzehrend. Dies war der erste Moment, in dem ich Harry berühren und sogar küssen wollte. Doch dieses Verlangen war etwas, mit dem ich jetzt noch nicht umgehen konnte...
"Ich sollte schlafen gehen. Danke noch mal für's Fahren. Ich ruf dann an, ok?" Harry schien etwas perplex zu sein, als er nickte und sich über die Wange fuhr.
"Bis dann.", sagte ich und stieg aus. Ohne zurückzublicken schloss ich die Autotür, kramte meinen Schlüssel heraus und steckte ihn in die Haustür. Als ich hörte, wie er an mir vorbei fuhr, wagte ich einen letzten Blick. Die Rücklichter verschwanden und ich betrat das Haus. In meiner Wohnung angekommen ließ ich meine Tasche fallen und seufzte. Erschöpft ging ich ins Wohnzimmer und warf mich auf die Couch.
"Anstrengender Abend?" Ich blickte erschrocken auf und entdeckte meine Mum auf dem Sessel in der Ecke. Sie las ein Buch.
"Eher verwirrend. Wieso schläfst du noch nicht?", fragte ich sie und warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb 3. Keine Uhrzeit für eine Mum.
"Ich habe auf dich gewartet und dann habe ich dieses fesselnde Buch gefunden.", sagte sie und lächelte, als sie merkte, dass ich das Buch erkannte.
"Was genau an deinem Abend war so verwirrend? Ich dachte Lya verbringt ihn mit dir."
"Das hat sie. Doch dann ist ihr schlecht geworden und ihr Freund hat sie nach Hause gebracht.", erklärte ich.
"Und mit wem hast du dann den Abend verbracht?", fragte meine Mum im Vorbeigehen. Ich sah über die Couch, wie sie begann Tee zu kochen. Erschöpft sank ich zurück in die Kissen.
"Liam war da und dann kam Harry."
"Wirklich?" Ich konnte das Lächeln in der Stimme meiner Mum hören, als sie das fragte. Es war, als hätte sie das bereits gewusst. Müde rappelte ich mich auf und sah sie misstrauisch an.
"Mum?" Mit zwei Tassen Tee in der Hand kam sie zu mir zurück und reichte mir eine. Dann setzte sie sich in den Sessel.
"Ich habe gesehen, wie er weggefahren ist. Hättest du mir früher erzählt, dass er so ein Gentleman ist...", sagte sie und lachte. Ich stimmte in ihr Lachen ein und nahm einen Schluck meines Tees.
"Du weißt, dass das nichts geändert hätte.", entgegnete ich.
"Nein, das hätte es vermutlich nicht. Du hast dir schon immer geholt, was du wolltest. Harry war da keine Ausnahme." Meine Mum klang stolz, als sie das sagte.
"War das mit Harry wirklich so?", fragte ich neugierig.
"Ich glaube, bei ihm war es eine Ausnahme. Anfangs wolltest du dir deine Gefühle für ihn nicht eingestehen.", sagte sie.
"Wieso nicht? Ich meine, ich kenne ihn nicht mehr wirklich, aber er sieht gut aus." Lachend legte meine Mum ihr Buch beiseite und setzte sich zu mir auf die Couch.
"Als du dich mit Harry angefreundet hast, warst du noch mit Lucas zusammen."
"Habe ich mich wegen Harry von ihm getrennt?", fragte ich überrascht, da ich mich nie für eine solche Person gehalten hatte.
"Nein, ich denke nicht. Du hast es mir damals so erklärt: als du Harry kennengelernt hast, hat er dir gezeigt, was du in deinem Leben vermisst. Er hat dein Leben verändert."
"Das klingt, als wäre ich wirklich verliebt gewesen.", seufzte ich. Immer, wenn jemand über Harry sprach, machte es mich traurig. Jeder pries unsere Liebe an und ich verstand nicht wieso. Das war frustrierend.
"Weinst du?", fragte meine Mum schockiert. Ich wischte die Träne von meiner Wange und schniefte.
"Es ist nur so schwer, wenn sich jeder an deine große Liebe erinnert, nur du nicht." Meine Mum zog mich an sich und drückte mich fest.
"Ich kann mir nicht vorstellen, wie es dir geht und was du durchmachst. Egal, was alle anderen sagen, du bist die einzige, die es fühlen kann. Erlaube dir, loszulassen und zu genießen. Niemand kann dich zwingen, dich zu erinnern. Vertrau deinem Herzen, nicht den Worten der anderen." Lächelnd kuschelte ich mich fester eine meine Mum und genoss einfach, dass sie für mich da war. Es tat gut, das ich nicht alles vergessen hatte.
„Ich werde bald wieder zurück nach Hause fahren." Ich setzte mich auf und sah zu meiner Mum.
„Das ist... schon ok, denke ich. Ich habe ja noch Lya und Liam.", sagte ich.
„Und Harry.", fügte sie hinzu. Grinsend machte ich mich auf den Weg in mein Schlafzimmer.
„Gute Nacht, Mum.", rief ich und verschwand in meinem Bad. Vor dem Spiegel versuchte ich tief durch zu atmen. Es war grausam, was dieser Mann mit mir machte. Während ich an ihn dachte, tauchten Bilder auf.
Bilder die verboten gehörten...
Harrys Hände, wie sie über meinen Körper fuhren. Seine Lippen, wie sie jeden Zentimeter meiner Haut küssten...
Seine Muskeln, seine großen, starken Hände und sein Rücken, angespannt vor Anstrengung...
Erschrocken riss ich die Augen auf und sah in mein Gesicht. Meine Wangen waren gerötet und meine Augen glasig.
Und das alles, obwohl Harry nicht mal hier war.
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Understand (III)
FanfictionEs wird einsam, wenn niemand da ist zum reden. Doch es ist gut zu wissen, dass es jemandem wichtig ist. Denn ich bin schon so lange auf diesem Zug. Menschen steigen ein und steigen aus. Ich bete, dass ich nicht vergesse, wo ich hingehöre. Und jed...