57. Tiefe Abgründe Teil 1

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Magnus erwachte am nächsten Morgen mit einem mörderischen Kater. Schmerzerfüllt fasste er sich an den Kopf und stöhnte. Bacardi war ihm noch nie besonders gut bekommen. Er sah auf sein Smartphone, es war 11:47 Uhr. Schwerfällig stand er auf und ging ins Badezimmer, um sich zu erleichtern.

Er hatte keinen Filmriss, aber als er beim Händewaschen den gestrigen Abend in seinem Kopf Revue passieren ließ, wünschte er sich plötzlich, doch einen zu haben. Gedankenverloren fasste er sich an die Wange, wo ihn gestern Alecs Ohrfeige getroffen hatte. Was hatte er getan? Schnell ging er zu Alecs Badezimmertür und zögerte kurz bevor er zaghaft klopfte.
„Alexander?" rief er.
Keine Antwort.
Er öffnete die Tür und sah in Alecs Zimmer. Sein Bett war praktisch unberührt. Er war nicht da.

Magnus ging nach unten, wo Adam auf dem Sofa saß und Zeitung las.
„Hey Dad," versuchte Magnus relativ normal zu klingen. „Weißt du, wo Alec ist?"
Adam faltete die Zeitung zusammen und erwiderte: „Guten Morgen, hast du deinen Rausch ausgeschlafen?"
Magnus kniff die Augen zusammen, er konnte dieses Elternding gerade nicht ertragen. „Ja, habe ich. Tut mir wirklich leid, Dad. Wo ist Alec?"
Sein Vater wand sich etwas beleidigt seiner Zeitung zu. „Nicht da."
„Was soll das heißen ‚nicht da'?" In seinen Ohren klang seine eigene Stimme für Magnus leicht panisch, er musste unbedingt mit Alexander reden.
„Er hat einen Zettel hingelegt, dass er den ganzen Tag unterwegs ist."
Magnus fuhr sich nervös durch seine Haare und flitzte wieder nach oben, um sein Handy zu greifen und Alec eine Nachricht zu schreiben.

Wo bist du?

Nervös starrte er auf das Display. Nach zwei Minuten kam noch immer keine Antwort.

Alexander, können
wir bitte reden?

Nach weiteren zehn Minuten immer noch keine Reaktion.
„Fuck!" schrie Magnus und warf das Handy wütend auf sein Bett.
Wie von Zauberhand piepte es mit einer Nachricht und Magnus rannte hin, um das verdammte Telefon wieder zu finden.

1 Nachricht von Isabelle:

Ist bei euch alles ok?

Magnus grübelte kurz. Was sollte er antworten? Er wollte sie nicht alarmieren, sie war in letzter Zeit ohnehin schon so skeptisch, darum entschied Magnus sich für die Ausweichtaktik.

Ja, wieso?

Warum seid ihr gestern
nicht zurückgekommen?

Ich war viel zu betrunken,
hab gekotzt, das hättest
du nicht sehen wollen.

Igitt!

...

Alles ok mit Alec?

Ich denke schon.

Habt ihr euch wieder
vertragen?

Wieso vertragen?

Weil du gemein zu ihm
warst, Magnus!

Ich bin grad erst
aufgestanden. Hab ihn
noch gar nicht gesehen.

Dann entschuldige dich.
Ich hab keine Lust, dass
ihr euch gegenseitig die
Köpfe einschlagt.

Machen wir nicht.
Wann kommt ihr zurück?

Ich schätze, so in 3 Stunden.

Dann noch viel Spaß.

Seufzend ließ Magnus das Handy neben sich fallen, fuhr sich wieder durch die Haare und zog daran. Warum war er so ein Arschloch zu Alexander gewesen? Magnus wusste, dass Alec es hasste, als Feigling bezeichnet zu werden. Und als wäre das nicht genug, hielt Magnus ihm auch noch vor, dass er sich nicht geoutet hatte. Er musste das wieder gerade biegen.

Alec fuhr so lange bis er fast am Steuer einschlief. Vermutlich konnte das nicht so lange gewesen sein, denn er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Wieder einmal.
Plötzlich fühlte er sich um Monate zurück katapultiert. Magnus war zwar betrunken gewesen, aber wie hieß es doch? Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit.

Alec bog rechts in einen Waldweg ein und stellte das Auto am Straßenrand ab. Er nahm seine Kamera vom Beifahrersitz und ging einfach los. Schon immer hatten Bäume ihn beruhigt. Unter ihnen sitzen oder gehen, er fühlte sich im Wald immer irgendwie behütet. Wenn er nach oben sah, glitzerte das Sonnenlicht zwischen dem Blätterdach und weiter hinten sah man die Sonnenstrahlen vor dem Hintergrund der dicken Stämme. Komorebi nannten die Japaner das. Alec fand einen richtigen Winkel und schoss ein paar eindrucksvolle Bilder.

Sah Magnus ihn wirklich so? Als Feigling?
Er konnte nichts dagegen tun, seine Gedanken wanderten sofort zurück zu Magnus, sobald er sich nicht fest auf etwas konzentrierte.
Gestern hatte er seine Feigheit ja bestens unter Beweis gestellt. Er hätte es sich nie verzeihen können, wenn Magnus etwas zugestoßen wäre. Doch für Magnus war das alles nur ein dummer Spaß gewesen, um Alec aus der Reserve zu locken und bloßzustellen.
Alec wusste plötzlich nicht mehr, was er glauben sollte. Wenn Magnus gestern Abend die Wahrheit gesagt hatte, warum war er dann überhaupt mit ihm zusammen? Oder langweilte er sich schon mit Alec und provozierte ihn deshalb so? Hatte er das alles nur inszeniert, um sich mit Alec einen ganz besonders perfiden Streich zu erlauben? Zittrig fuhr Alec sich durch die Haare.

Immer, wenn er die Augen schloss, hörte er das Echo in seinem Kopf. „Vielleicht hatte dein Vater ja Recht damit."

Maryse brachte gerade das heiße Blech mit der selbstgemachten Pizza ins Esszimmer, als sie die Haustür hörte.
„Da bist du ja, Alec." rief sie. „Kommst du gleich essen?"
„Ja," rief Alec aus dem Flur zurück. „Ich gehe mir nur kurz die Hände waschen."
Magnus, der bereits mit Izzy und Adam am Tisch saß, stand kurz auf und entschuldigte sich: „Ich hole mir noch ein Getränk."
Schnell ging er durch die Küche und in den Flur, wo er das Rauschen des Wasserhahns aus dem kleinen Gästebadezimmer hörte. Die Tür war nur angelehnt.

Magnus stellte sich neben die Tür und sagte vorsichtig: „Alexander, ich.."
Doch Alec, der sich gerade die Hände abgetrocknet hatte, schob sich barsch an ihm vorbei und sah ihn nicht einmal an.
Magnus hielt ihn am Oberarm fest, doch Alec zuckte zusammen und riss seinen Arm weg. „Fass mich nicht an." zischte er.
Magnus schrak zurück, senkte seine Hand jedoch. Alec ging ins Esszimmer und setzte sich neben seine Schwester.
Magnus nahm den Umweg durch die Küche und stockte kurz als er sah, dass Alec sich nicht, wie in den letzten Wochen, auf den Platz neben seinem gesetzt hatte. Still ging er zum Tisch und ließ sich auf seinem Stuhl nieder, direkt gegenüber von Alec, der überall hinsah, nur nicht zu ihm.

„Die Pizza sieht super aus, Mom," lobte Izzy und verteilte Stücke an alle.
„Danke, mein Schatz. Ich dachte, ich mache mal was ganz Einfaches. Wie war denn jetzt euer Abend?"
Izzy blickte argwöhnisch zwischen Alec und Magnus hin und her und setzte ihr bestes Pokerface auf.
„Ganz witzig, Simon hat fünf Steaks verdrückt."
„Fünf?" fragte Adam verblüfft. „Wo hat er die denn hingesteckt?"
„Und wieso seid ihr hier mitten in der Nacht aufgeschlagen?" wand sich Maryse an die beiden Jungs.

Magnus schaute betreten zu Alec, der das unberührte Stück Pizza auf seinem Teller umher schob. Da Alec anscheinend nicht vorhatte, die Frage zu beantworten, sprang Magnus ein.
„Ich habe es leider etwas übertrieben mit dem Bacardi und Alec hat mich nach Hause gefahren." log er.
Izzy zog die Augenbrauen zusammen, denn sie wusste, dass die Geschichte etwas anders abgelaufen war.
„Magnus, ich dachte, diese Phase hätten wir hinter uns, wo du dich bei jeder Party abschießt." seufzte Adam.
„Es tut mir ja auch leid, Dad." sagte Magnus, sah aber dabei die ganze Zeit Alec an. „So dumme Sachen wie gestern Abend werde ich nicht nochmal tun. Versprochen."

Alec stand abrupt auf und nahm seinen Teller, um in die Küche zu gehen.
„Ist alles okay, Schatz?" fragte Maryse besorgt.
„Mir geht's nicht so gut, ich werd mich etwas hinlegen. Danke für die Pizza, Mom." murmelte Alec und zog sich in sein Zimmer zurück.

Another Malec Story - Modern FamilyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt