62. Was wirklich zählt

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Magnus' Körper wurde von heftigen Schüttelfrost-Attacken heimgesucht. Er hatte sich bereits in zwei Decken eingemurmelt, aber er wusste, dass auch das nicht helfen würde, denn das Wichtigste fehlte. Körperliche Wärme. Alexanders Wärme.
Mit letzter Kraft hievte sich Magnus ins Badezimmer und stellte sich mit klappernden Zähnen unter die Dusche, nachdem er sich seiner Kleidung entledigt hatte. Das heiße Wasser strömte unaufhörlich über seinen abgemagerten Körper. Magnus musste die Temperatur etwas herunter regeln, um ernsthafte Verbrennungen zu vermeiden. Erschöpft und entkräftet lehnte er seine Stirn gegen die kühle Duschwand. Magnus hatte inzwischen die Hoffnung verloren, dass sich alles wieder zum Guten wenden würde, Alexander hatte nicht auf seine Erklärungen und Entschuldigungen reagiert. Schließlich ließ er seinen Tränen freien Lauf, Magnus hatte einfach keine Kraft mehr, sie zurückzuhalten.

Auf wackeligen Beinen verließ Magnus sein Zimmer, um nach seiner Kuscheldecke zu suchen. Vermutlich hatte er sie wieder auf der Couch liegen gelassen. Alexander liebte diese Decke und Magnus hatte sie daher immer auf Alecs Bettseite gelegt.
Kurz linste er zu Alecs Zimmertür rüber, als er im Flur stand und sich am Treppengeländer festhielt. Ein leichter Schwindel überkam ihn. Er musste dringend etwas in seinen Magen bekommen, das auch längerfristig drin blieb. Wenn das so weiter ging, würde er die nächste Woche auch noch zu Hause bleiben und zwangsernährt werden müssen.

Zu Magnus' Überraschung stand Alecs Zimmertür einen Spalt offen. Unschlüssig was er tun sollte, haderte er mit seinen Gedanken und biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe.
Alexander wollte ihn nicht sehen, geschweige denn mit ihm sprechen. Doch Magnus hielt es nicht mehr aus, notfalls würde er Alexander zwingen, ihm zuzuhören.
Vorsichtig und mit einem schwerem Kloß im Hals drückte Magnus die Tür zu Alecs Zimmer auf. Es war leer. Das Bett war zerwühlt und auf dem Nachtisch stand die Hühnersuppe, die Maryse für ihren Sohn am Vorabend gekocht hatte. Sie schien unberührt. Auf dem Boden neben dem Bett lagen Fotos verstreut. Magnus ahnte bereits, um welche Schnappschüsse es sich handelte und ging zögerlich zu der Stelle. Mit traurigem Blick ließ er sich auf seine Knie sinken und sammelte die Fotos zusammen, um sich eins nach dem anderen anzuschauen. Es waren tatsächlich die Bilder von dem Grillabend. Einige zeigten eindrucksvolle Naturaufnahmen, die Alec wohl an einem anderen Tag gemacht hatte. Bei den Bildern vom Barbecue schmerzte Magnus' Brust und er fragte sich, ob Izzy die Bilder wohl schon gesehen hatte, denn für Magnus waren sie eindeutig. Die Art, wie er Alec ansah, sein Lächeln, seine funkelnden Augen und Alexanders gerötete Wangen, die er so liebte..

Auf dem Weg zum Wohnzimmer lugste Magnus in jedes Zimmer, um nach Alexander Ausschau zu halten. Im Wohnzimmer angekommen blieb Magnus abrupt vor der Couch stehen.
Alexander schlief dort, eingehüllt in Magnus' Decke.
Unfähig sich zu bewegen, starrte er Alexander einfach nur an. Sein Gesicht hatte wieder an Farbe gewonnen, seine Haare waren wie üblich zerzaust und seine Atmung war ruhig und gleichmäßig. Sein linker Arm hing von der Couch und berührte den weichen Teppichboden. Ein mildes Lächeln schlich über Magnus' Lippen. Alexander hatte endlich zu seinem wohlverdienten Schlaf gefunden und vielleicht könnte auch Magnus seinem Körper mal wieder etwas Gutes tun. Vermutlich würde es nämlich nicht mehr lange dauern, bis er vor Erschöpfung und Übermüdung zusammenbrach.
Suchend schaute er sich im Wohnzimmer um, schnappte sich ein Dekokissen vom Sessel und legte sich vor das Sofa. Er hatte zwar keine Decke und fror wieder leicht, aber das war Magnus egal. Er wollte einfach nur bei Alexander sein.

Zitternd streckte er seine Hand nach Alecs aus, Magnus wollte ihn keinesfalls wecken, er brauchte jetzt diese kleine Berührung. Alecs Hand war warm und weich. Wie immer. Mit seinem Daumen streichelte er sanft über Alexanders Handrücken und seufzte dabei sehnsüchtig. Seine Lider wurden schwerer, aber er zwang sich weiter, sie aufzubehalten, nur um Alexander noch ein bisschen länger anzusehen. Eine Träne schlich sich aus Magnus' Augenwinkel und er spürte sein Herz wild in seiner Brust schlagen. Obwohl er sich hundeelend und schlapp fühlte, war sein Herz stark und kämpferisch. Magnus hatte es bereits vor geraumer Zeit verschenkt..
"Ich liebe dich, Alexander. Ich liebe dich so sehr." flüsterte Magnus, drückte Alecs Hand noch fester und schmiegte sein eigenes Gesicht daran. Er sog Alexanders unverkennbaren Geruch ein und genoss einfach das Gefühl dieser simplen Berührung. Magnus' Atmung wurde flacher und er spürte den nahenden Schlaf seinen Körper ereilen. ,Endlich.' dachte er sich.

Alecs Augen öffneten sich träge. Hatte er tatsächlich geschlafen? Er hatte das Gefühl fast vergessen. Die letzte halbe Stunde hatte Alec nur noch gedöst und Magnus' Anwesenheit gespürt, seinen Geruch, seine gebrochene Stimme, die die Worte sagten, von denen er inzwischen glaubte, sie nie von Magnus zu hören. Er hatte es einfach gesagt, mit der Vermutung, dass Alec schlief.
Vorsichtig zog Alec seine Hand von Magnus' zurück, um sie an dessen Wange zu legen. Zärtlich streichelte er mit dem Daumen über Magnus' Wangenknochen. Sein Gesicht war kalt und blass. Sie hatten beide nicht auf sich Acht gegeben und zahlten nun den Preis dafür.

Alec ließ die vergangenen Monate in seinem Kopf Revue passieren. Der Umzug von Boston nach L. A., der neue Partner seiner Mom und dessen extravaganter Sohn, Jace und Simon, die inzwischen zu seinen besten Freunden gehörten, seine Schwester, die langsam ihr Herz öffnete und er selbst, wie er langsam zu seinem wahren Ich fand. Vermutlich hatte Alec die größte Veränderung durchgemacht. Sie kam schleichend und still, so wie die Gefühle für Magnus. Er war der Grund, warum er in der vergangenen Zeit ausgelassen und unbeschwert sein konnte. Magnus hatte ihn an seine Grenzen gebracht, alle erdenklichen intensiven Gefühle in ihm hervorgerufen, anfänglich nicht immer positiver Natur, aber sie waren echt. Genauso echt wie seine Liebe zu Magnus.
"Ich liebe dich auch." flüsterte Alec Magnus zu und streichelte sanft über dessen Gesicht.

Kurz bevor Magnus endgültig in den von ihm ersehnten Schlaf abdriftete, hörte er Alexanders Stimme, spürte dessen warme Hand auf seiner Wange. Es musste ein Traum sein. Magnus traute sich nicht seine Augen zu öffnen, zu groß wäre die Enttäuschung, aus diesem wunderschönen Traum aufzuwachen und wieder vom Schmerz übermannt zu werden. Doch die Worte, die er hörte, ließen ihn schließlich trotzdem seine müden Augen aufschlagen.
"Ich liebe dich auch." hallte es in seinem Kopf nach.
Mit glasigem Blick schaute er hoch in Alexanders blaue Augen.

"Alexander?"
"Was machst du da auf dem Boden?" fragte Alec mit sanfter Stimme.
"Ich hab meine Kuscheldecke gesucht und hab dich hier auf der Couch vorgefunden, mit meiner Decke." erklärte sich Magnus mit rauer Stimme.
"Oh." Alec lächelte entschuldigend. „Das erklärt aber nicht, warum du auf dem Boden liegst." hakte er nach.
"Ich wollte einfach in deiner Nähe sein und es hat mich gefreut, dass meine Decke ihren Zweck erfüllt hat, du hast endlich geschlafen."
"Ja." seufzte Alec. „Das, was mir den Schlaf schenkt und gleichzeitig nimmt, bist du. Ist das nicht ulkig?"
Magnus schwieg kurz. Er wusste nicht, was er daraufhin erwidern sollte. „Es tut mir so leid, Alexander."
"Nicht.. Komm her." Alec hielt ihm den Arm hin und zog Magnus zu sich nach oben, auf seinen Schoß und in eine innige Umarmung. Magnus hatte sein Gesicht in Alecs Halsbeuge vergraben und sog tief seinen Geruch ein. Er wollte ihn nie wieder loslassen. Nach einer halben Ewigkeit löste sich Magnus von Alec, sein Blick war gesenkt, seine Wangen gerötet und seine Hände hatten sich auf Alecs Brust gelegt, die sich langsam hob und senkte. Alexander strahlte eine unglaubliche Ruhe aus, seine Stimme war sanft, sein Blick liebevoll. Mit beiden Händen zog er Magnus' Gesicht noch näher zu sich.

"Du hörst mir jetzt zu." setzte Alec an. „Wenn du wieder in einer ähnlichen Situation bist, wenn es dir schlecht geht, du keinen Ausweg mehr siehst, wenn die Last zu schwer wird, kommst du zu mir, hast du mich verstanden?"
"Okay." flüsterte Magnus. Sein Blick wurde wieder verschwommen, doch er kämpfte gegen die Tränen.
"Du kommst zu mir, du sprichst mit mir darüber und wir finden gemeinsam einen Weg." fuhr Alec weiter fort.
"Gemeinsam." wiederholte Magnus und erinnerte sich gleichzeitig an seine eigenen Worte.
"Ja. Denn so funktioniert eine Beziehung, richtig?" fragte ihn Alec und lehnte seine Stirn an Magnus'.
"Richtig. Dann nimmst du mich zurück?" fragte Magnus zögerlich.
"Ich habe dich doch nie gehen lassen, du Idiot." lächelte Alec.

Another Malec Story - Modern FamilyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt