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Sowohl Magda, als auch Jenny ermutigen mich dann doch noch dazu hoch zu ihm zu gehen.
Voller Nervosität gehe ich den Flur entlang bis zu der Tür von Lukes Zimmer. Mir kommt es vor wie Stunden, doch bestimmt waren es nur ein paar Minuten, bis ich mich endlich traue zu klopfen. Dabei klingt es sehr zögerlich und zurückhaltend.
Als mir nach dem dritten Mal klopfen keiner die Tür aufmacht, will ich zunächst entmutigt zurück nach unten gehen, doch dann packt mich der Ehrgeiz.
Jetzt habe ich mich endlich getraut den ersten Schritt zu machen und keiner reagiert. Noch einmal werde ich garantiert nicht den Mut aufbringen um mit ihm in Kontakt zu treten.

Also drehe ich mich entschlossen um und steuere auf die Tür zu. Ohne noch einmal zu klopfen trete ich ein.
Doch zu meiner Überraschung ist Luke überhaupt nicht da.
Das Fenster steht halb offen, sein Bett sieht verwüstet aus und vor dem Schrank stapelt sich ein noch größerer Haufen Wäsche als beim letzten Mal. Auch der Schreibtisch wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Stifte liegen kreuz und quer herum und halb beschriebene Blätter scheinen bei einem kräftigen Windstoß durcheinandergewirbelt worden zu sein.
Ein Blatt sticht mir dabei besonders ins Auge.
Es zeigt ein wirres Gekritzel, doch darunter ist noch schwach zu erkennen, was eigentlich auf dem Papier zu sehen war.
Die Konturen einer menschlichen Person sind mit Bleistift mehrmals nachgezeichnet worden. Jedoch scheinen die Züge sehr weich und filigran zu sein. Die Augen der gezeichneten Person sind groß und die Haare fallen bis über die Schultern. Es dauert etwas bis ich verstehe was da vor mir liegt.
Luke hat mich gezeichnet. Und dann alles wieder übermalt.

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Messerstich ins Herz. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, wie sehr ich mich in dieser Zeit von Sonntag bis Mittwoch auf ihn eingelassen habe. Ich habe bei ihm eine Art "Safe House" gefunden. Als meine Mutter mich wegschickte war er der Erste dem ich hier begegnet bin. Ihm habe ich als erstes vertraut. Luke hat mich zum lachen gebracht und ein offenes Ohr gehabt.
So wenig ich es auch wahrhaben möchte.
Aber ich habe mich in Luke verliebt.

Wenn ich könnte, würde ich alles dafür geben, dass er jetzt hier wäre.

Ich will mit ihm reden.
Ich will ihm erklären wie es mir geht.
Ich will wissen, warum er so etwas gemacht hat.
Ich will wissen wie es mit uns weiter geht.

Unbemerkt habe ich währenddessen das Blatt mit dem Bild von mir total zusammengeknüllt. Erschrocken über die heftige Reaktion meines Körpers stecke ich das Papier schnell ein. Hoffentlich bemerkt Luke nicht, dass es fehlt.
Ohne möglichst viele Spuren zu hinterlassen gehe ich aus seinem Zimmer und schließe die Tür.

Magda und Jenny sind in der Küche schon am Werk. Nudeln kochen im Topf, während Jenny alle Zutaten aus dem Kühlschrank holt.
Als beide mich sehen schauen sie mich hoffnungsvoll an.

Jenny: Und, wie ist es gelaufen?

Ich zucke mit den Schultern.

Ella: Ich schätze garnicht. Er war nicht in seinem Zimmer.

Verwundert tauschen Magda und Jenny Blicke aus.

Jenny: Wenn du willst, dann kann ich auch nochmal gucken gehen? Der Junge kann sich ja nicht einfach in Luft aufgelöst haben.

Entmutigt schüttel ich den Kopf.

Die Sprache, die das Bild in meiner Hosentasche trägt ist unmissverständlich. Ich bin für Luke gestorben.
Und dass, wo ich mir doch jetzt so sicher bin.

The boy next doorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt