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~Luke~

Ich bin der größte Angsthase auf der ganzen Welt!
Jenny hat mir vor ungefähr ner halben Stunde gesagt, dass Ella und Magda vorbeikommen würden. Meine äußerliche Reaktion war ruhig und gelassen, aber mein Herz hat in der selben Sekunde angefangen seine Frequenz zu verdreifachen.

Warum zur Hölle tut mir die Welt das an?
Klar, irgendwo bin ich selber Schuld. Aber warum gleich so harte Konsequenzen? Ich habe Ella und Alex draußen vor der Haustür gesehen und niemand muss mir erklären, warum er sich zu ihr vorgebeugt hat.
Alex war schon immer der Attraktivere, Coolere und Selbstbewusstere von uns beiden.
Alle Mädchen im Dorf rannten ihm nach. Da er ein Jahr älter ist als ich, hatte er seinen schwarzen BMW E30 bereits ein Jahr, bevor ich überhaupt mit einem Erwachsenen dabei Auto fahren durfte.
Schon alleine deswegen hatte er viel mehr Möglichkeiten seine weiblichen Begleitungen auszuführen.
Aber warum ausgerechnet Ella, frage ich mich.

Sie ist das erste Mädchen, dass mir auf Anhieb gefallen hat und mit der ich super klargekommen bin. Diese drei Tage vor der Feier waren so intensiv und wunderschön.
Scheiße, warum habe ich mir nur so in sie verknallt?

Während des ganzen Gedankenschwarms sitze ich an meinem Schreibtisch und bemerke garnicht, wie ich Ellas Gesicht auf ein Blatt Papier vor mir kritzle. Plötzlich habe ich sie bildlich vor Augen. Die Zeichnung vermischt sich in meinem Kopf mit ihrem echten Gesicht.
Ihre vollen Lippen, ihre unschuldigen Augen, die kleinen Lachfalten wenn sie grinst. All das macht mich fertig.
Niemals hätte ich gedacht, dass es so ein wunderschönes Wesen gibt wie sie es ist.
Verdammt, ich darf sie nicht verlieren!

In diesem Moment höre ich, wie meine Mutter unten die Haustür aufreißt und Magda fröhlich begrüßt. Ohne ihre Stimme zu hören weiß ich, dass Ella auch mit dabei ist.
Mein Blick gleitet wieder auf die Zeichnung zurück. Ohne darüber nachzudenken ziehe ich zwei Striche über das Blatt. Immer und immer mehr kommen dazu.

Niemand soll mitbekommen, dass ich ihr so nachtrauer.
Niemand soll merken, dass ich so sehr an ihr hänge.
Niemand darf wissen, dass ich immer noch an sie denke.

Plötzlich höre ich Schritte auf der Treppe. Irgendjemand kommt hoch. Leonie kann ich ausschließen, da diese beschäftig genug ist.
Mein Vater ist im Stall und Jenny bricht unten gerade mit Magda in ein lautes Gelächter aus.
Also bleibt nur noch eine Person übrig. Ella. Panik übermannt mich. Ich bin auf keinen Fall bereit sie nach dem Vorfall am Montag jetzt zu sehen. Ich brauche mehr Zeit.
Du hast einfach nur Schiss und willst vor der Konfrontation davonrennen, sagt mir meine innere Stimme.

Und genau das beschließe ich auch zu machen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mein Fenster als Notausstieg benutze. Draußen auf dem Dach befindet sich in unmittelbarer Nähe eine Feuerleiter an der ich mich auf dem Weg zu unserem Vordach festhalten kann. Die Überdachung über der Tür ist etwas niedriger als das eigentliche Dach und so kann ich locker von dort runterspringen.

Unten angekommen werfe ich noch einen kurzen Blick ins Küchenfenster. Wie erwartet sitzen die beiden Mütter am Esstisch und quatschen. Unbemerkt schnappe ich mir mein Fahrrad und lasse den Hof hinter mir.

Erst jetzt fällt mir das Blatt mit der Zeichnung wieder ein. Tief in mir drin hoffe ich, dass sie es findet. Das sie versteht, was für ein Chaos in mir vor sich geht.

Und das sie mir Gott verdammt nochmal so unendlich viel bedeutet.

The boy next doorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt