Skull-Infiltration-Kapitel: Die Wahrheit über Taji

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Am nächsten Morgen stand Laslow schon früh am Pier von Hauholi und lehnte am Geländer. Sein Blick wanderte über die nahe Strandpromenade, während er auf Taji wartete. Plötzlich erweckte etwas am Ufer seine Aufmerksamkeit. Er stieß sich vom Geländer ab und ging zum nahe gelegenen Strand. Er bückte sich und hob einen Gegenstand vom Sand auf- einen Zahn. „...Was ist das denn?" Er betrachtete das Stück etwas fasziniert. „...ist das ein Abysszahn? Whoa..." Er schloss seine Hand um das Fundstück. „Hm... ich werde ihn Jacky schenken, sobald sich die Gelegenheit ergibt... Sie freut sich bestimmt." Dann blickte er auf die Uhr. „Das Boot legt in einer Stunde ab... Ich sollte zurück." Schnell ging er zum Hafen zurück. Seine Haare waren wieder ungebunden und fielen über sein rotes Auge. Er trug ein weißes, lockeres Shirt und darüber seine aschgraue Jacke, die leicht im Wind schlug. „Neun Uhr zehn..." murmelte er auf dem Rückweg. „Hmmh... Um zehn ungefähr kommt das Boot... die Fahrt dauert ca. eine Dreiviertelstunde... dann sind wir also ungefähr um elf im Æther-Paradies... das ist eine gute Zeit, denke ich." Er lehnte sich wieder locker ans Geländer. Übereifrige Touristen tummelten sich am Hafen, Kameras und Tickets blitzten unter dem Gewimmel aus Sonnenhüten auf. In der Masse schaffte es Taji ohne Probleme, zu Laslow zu gelangen. Seine Schultern waren gesenkt, wie auch sein Blick und seine Hände waren Halt suchend um den Gurt seiner breiten Sporttasche gelegt, die über seiner Schulter hing. Er verhielt sich auf dem ersten Blick normal. In seinem weißen Hemd, über dem eine graue Stoffjacke mit leichtem Kragen lag, der marineblauen Hose und dem schwarzen Gürtel, der im Kreuz über sie geschlungen war, wirkte er fast wie einer der Touristen. Doch keiner der Menschen um ihn herum bemerkte den Schüler, als hätte er es sich selbst beigebracht, nie wahrgenommen zu werden. „Konnichiwa." Seine blauen Augen zuckten in Laslows Richtung. Er hielt seine Stimme leise und trotzdem hörbar. „Wartest du lange?", „Nicht wirklich", antwortete der Silberhaarige. „Uff, hier sind so viele Menschen... man kann ja kaum noch treten.", „Findest du?", „Du nicht?" Taji blickte sich um, noch immer war seine Haltung den Menschen gegenüber resigniert. „...Es ist viel los.", „Was du nicht sagst." Laslow fuhr sich durchs Haar. „Hör mal... die Sache von gestern tut mir Leid. Ich hätte dich nicht so bedrängen sollen. Sorry." Taji wollte antworten und öffnete den Mund, aber nichts kam heraus. Ein Pärchen stand in der Nähe der Jungs, die Frau hatte Taji dabei im Blick und flüsterte ihrem Freund etwas zu. Erst jetzt schien ihm zu dämmern, dass er mitten in einer Menschenmasse stand. Abrupt wurde er blass im Gesicht und seine Hände begannen, zu zittern. Still kramte er eilig in seiner Tasche und hielt Laslow kurz darauf ein beschriebenes Blatt Papier hin. „Lass uns ins Schiff gehen. Sobald wie möglich.", „Das Schiff kommt erst in knapp einer Stunde. Wenn du aus der Masse raus willst, können wir zum Strand gehen, da ist noch niemand. Solange wir mindestens zehn Minuten vor Ankunft des Bootes wieder am Hafen sind." Ein Nicken war die Antwort. Seine Miene war ruhig, aber seine Augen fast schon flehend. Laslow wandte sich ab und ging mit dem Gezeichneten zum Strand. Die Wellen rauschten ruhig vor sich hin. Der Schüler stieß einen lange zurückgehaltenen Atemzug aus und fasste sich bebend an den Hals. Er hatte die Augen fest zusammengekniffen, seine Brust hob und senkte sich schnell. „Alles in Ordnung? Pass auf, dass du nicht hyperventilierst.", „Das ist das erste Mal seit sehr langer Zeit, seitdem ich in einer Menschenmenge geredet habe. Draußen. Nicht in meinem Zimmer." Als er sich mühsam wieder fassen konnte, schrieb er Laslow eine Antwort. Er hielt die Augen gen Boden gerichtet und blickte ihn dabei nicht einmal an. „Es tut mir leid. Ich habe Panik bekommen", stand dort weiter. Ich möchte, dass meine Stimme nie wieder gehört wird.", „O...kay?" Laslow nahm es mit einem Nicken hin und entschied sich dafür, nicht weiter nachzuhaken. Er setzte sich in den Sand und stützte sich auf die Arme, als er aufs Meer hinausblickte. „Ich will lieber nicht weiter nachfragen. Du hast sicher deine Gründe und sie gehen mich nichts an." Neben Laslow knirschte der Sand, als sich Taji kurze Zeit später ebenfalls niederließ. Wieder hielt er Laslow ein Blatt Papier hin. „Du kennst meine Vorgeschichte?", „Nicht viel", murmelte er. „Nur Kram, den ich mir denken kann und einige grobe Dinge, die ich weiß. Ist im Grunde kaum was." Die Miene des Kugelschreibers kratzte über das Papier. „Willst du sie hören?", „Wenn's dir nicht zu viel zum Schreiben ist... Und wenn du willst. Ich zwinge dich nicht." Taji nickte und gab einen leisen, zustimmenden Ton von sich. Ich kenne meine wahren Eltern und meinen wahren Namen nicht. Ich wurde mit neun Jahren in diese Welt gerissen. Ein Mitglied der Æther-Foundation hatte mich am Strand von Poni gefunden und schien sofort zu wissen, was ich bin. Zwei Jahre lang stand ich unter Æthers Überwachung... Ich trug nicht einmal einen Namen. Ich war ein Objekt für ihre Experimente. Weiße Wände, überall, weiße Kittel, goldene Masken... Ich weiß nicht mehr viel, aber die Schreie der anderen Objekte begleiten mich bis heute. Irgendwann schaffte ich es, an die Oberfläche der Insel zu gelangen und rannte panisch einem Polizisten in die Arme, der sich zu der Zeit auf der Insel aufhielt. Er nahm mich mit in die Polizeistation, ohne zu fragen, woher ich komme oder warum ich bei Æther bin. Doch die Polizei selbst war machtlos. Als sie nichts über meine Identität fanden und selbst das Jugendamt der Region nichts herausfinden konnte, gab man mir übergangsweise den Namen Akoni und suchte nach einer Pflegefamilie für mich. Ein Mann und eine Frau aus Johto nahmen mich auf und ließen meinen Namen ändern, sodass ich in ihre Familie passte und gaben mir die Möglichkeit, in die Schule zu gehen. Ich brachte gute Noten zurück und lernte dabei alles, was Menschen ausmacht: Sprache, Etikette, Traditionen und die Kultur von Johto. Doch als endgültig klar wurde, dass ich nicht so klar und deutlich sprechen kann wie normale Menschen, nahm die Hölle seinen Lauf." Wieder zitterte Tajis Hand auf, doch er schrieb unbeirrt weiter. „Mein Vater akzeptierte das nicht und zwang mich immer wieder dazu, mit sich und mit anderen zu sprechen, obwohl meine Stimme geschont werden sollte, bis eine Lösung gefunden war. Mein Zustand verschlechterte sich rasant, körperlich und seelisch. Meine Stimme wurde leiser, der Spott und die Drohungen meines Vaters immer lauter. Meine Mutter versuchte ständig, mich zu verteidigen, doch mein Vater war zu fixiert auf mich. Für ihn gab es nur Höchstleistungen in jedem Gebiet des Lebens. Nichts sollte mich aufhalten, besonders nicht etwas so Niederes wie meine eigene Stimme. Es wurde immer schlimmer, als die ersten Schläge folgten." Taji schluckte schwer, atmete tief durch und führte seine Erklärung dann fort. „Gerüchte wurden laut, als ich mit blauen Flecken und Schwellungen die Schule besuchte und immer stiller wurde. Viele dachten, meine Ruhe wäre in Wahrheit nur eine Fassade und ich würde mich außerhalb der Schule in Schlägereien verwickeln, um meiner Wut freien Lauf zu lassen. Mein Vater tat nichts gegen diese Gerüchte. Stattdessen schämte er sich in der Öffentlichkeit für mich und spielte den Betroffenen, während er im Hintergrund mit erhobenen Fäusten auf mich wartete. Inzwischen litt auch meine Mutter unter den Wutausbrüchen meines Vaters, trotzdem stellte sie sich jedes Mal vor mich und nahm die Schläge hin, bis ich es irgendwann nicht mehr ausgehalten habe. Als meine Stimme so gut wie für immer verloren war, stellte ich mich vor meine Mutter und sagte ihm mit der Kraft, die ich aus meinen Stimmbändern hervorbringen konnte, dass ich mich nie wieder von ihm unterdrücken lassen würde. Er ging auf mich los und ich auf ihn, aber er war zu stark." Die Augen des Gezeichneten glänzten auf, sein Kiefer war angespannt. „Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist die Gerichtsverhandlung. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte meine Mutter im Wahn fast zur Bewusstlosigkeit geschlagen und mein Vater hätte mich im letzten Moment aufgehalten. In Wahrheit bedrohte er sie... Wenn sie wollen würde, dass mir nichts Schlimmeres passiert, sollte sie tun, was er sagt... Er zwang sie dazu, sich gegen mich zu stellen und zuzusehen, wie ich für etwas verurteilt wurde, das ich nie begangen hatte. Meine Stimme gab es nicht mehr. Mein Vater hatte sie mir in seinem Höhenwahn bis zur letzten Stunde in seinem Heim geraubt. So kam ich an ein Probejahr gefesselt hierher. Ich schwor mir, nie wieder die Stimme zu erheben. Sie ist der Grund für alles, das passiert ist." Etwas Durchsichtiges fiel neben den letzten Satz und floss in das Papier. Der Blauhaarige zitterte am ganzen Leib, verbitterte Tränen hatten sich in seinen Augenwinkeln gesammelt. Er hielt Laslow mit zitternder Hand den Zettel hin. Laslow las ihn sich durch. Mit jeder Zeile loderte der Zorn in ihm stärker. Er schwieg, doch seine eigene Hand zitterte von der unterdrückten Wut. Er biss sie krampfhaft zurück und legte sie dann auf Tajis Schulter. Der Gezeichnete sah ihn mit großen Augen an. „...dieser Bastard..." murmelte Laslow gerade noch laut genug. Taji klappte den Mund auf, schloss ihn dann aber gleich wieder. Er zog einen neuen Zettel heraus. „Du... glaubst mir?", „Natürlich glaube ich dir. Was ist das denn für eine Frage?" Laslow schüttelte den Kopf. „Manchmal können Menschen die schlimmsten Kreaturen auf dieser Erde sein. Es liegt in ihrer Natur. Dieses ekelhafte Bedürfnis, andere niederzumachen, nur um sich mächtig zu fühlen. Sie sprechen von monströser Gemeinheit, aber es gibt kein anderes Wesen, außer dem Menschen, dass so ein Monster sein kann." Taji gab keine Antwort von sich. Sein Blick war auf das inzwischen von oben bis unten gefüllte Papier geheftet, das Laslow immer noch in der Hand hielt. Laslow gab ihm das Blatt zurück und hob den Blick gen Himmel. „...Nun... bin ich wohl an der Reihe, hm? Du hast mir von dir erzählt. Also... erzähle ich dir im Gegenzug etwas über mich. Das ist nur fair." Taji nickte kaum merklich. Laslow schloss die Augen. „...ich war als Kind schon immer ziemlich begeistert von Pokémon. Meine Mutter hatte ein Felilou und ich habe oft mit ihm gespielt... als ich dann in Orion City in der Trainer-Schule eingeschult wurde, habe ich mein eigenes Pokemon bekommen. Ein Mollimorba. ...Zugegeben, ich war in der Schule nicht... der Fleißigste, aber dafür der beste in jeglicher Form von praktischen Übungen. In unserer Schule wurde einmal im Jahr ein Turnier für die besten Schüler organisiert und ich wollte unbedingt an einem teilnehmen. Mein Notendurchschnitt war allerdings nicht hoch genug... mein Lehrer hat aber versprochen, mit dem Rektor zu sprechen und mich zuzulassen, wenn ich mich anstrenge. Ich war wegen meines herausragenden Talents in Kampf-Praxis eine Ausnahme. Also habe ich mir Mühe gegeben. Sehr viel sogar. Naja, am Ende habe ich die Zulassung bekommen. Am Tag, an dem das Turnier stattfand allerdings war es sehr stürmisch. Meine Mutter wollte nicht, dass ich hinfahre, aber ich hatte so hart gearbeitet, dass sie mich auch nicht enttäuschen wollte. Also hat sie mich mit dem Auto zur Schule gefahren. Oder zumindest... wollte sie es. Auf dem Weg dahin hat der Sturm einen Baum umgerissen, der auf unser Auto gefallen ist. Mein Mollimorba hat mich rechtzeitig raus teleportiert, aber... naja... meine Mutter ist gestorben. ....ich dachte damals, dass es meine Schuld war. Dass ich auf sie hätte hören sollen. Ich habe mich selbst dafür fertig gemacht. Diese Schuld hat mich ertrinken lassen. So sehr, dass ich an Depressionen litt. Jahrelang. Mein Vater hat alles dafür getan, dass es mir besser gehen würde, aber... es war schwer. Ich habe Medikamente bekommen und war in Therapie und irgendwann... hat es dann was gebracht. Danach habe ich mich dazu entschieden, auf Reisen zu gehen, um meine Mutter stolz zu machen. Sodass ihr Tod nicht sinnlos war... Mein Vater fand das nicht so toll, aber ich habe mich von ihm nicht aufhalten lassen. Ein Jahr lang und länger bin ich durch Einall gestreift... bis zur Liga. Dank meines Starter-Pokémon bin ich noch am Leben....", „Ich kannte deine zwar Mutter nie, aber es macht sie bestimmt stolz, dich heute zu sehen." Taji schob ihm die Antwort zu. „Vielleicht..." Ein leichtes Lächeln huschte über Laslows Gesicht. „Ich hoffe es."  

Saviors of Tomorrow 5 (Pokémon-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt