3. Chad: tot

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Im einen Moment fühlte es sich noch so an, als würde ich ersticken, doch im nächsten durchflutete der Sauerstoff meine Lungen und ich spürte das Leben in mir. Meine Augen waren weit aufgerissen, daher sah ich den schockierten Mann im weißen Kittel neben mir genau. Er blickte mich aus großen Augen an, schluckte heftig und legte sein Skalpell zur Seite, während er mich anstarrte.

Ich sah mich um, da das letzte, woran ich mich erinnerte, die Straße vor meinem Haus war und der Typ, der mich abgestochen hatte. Wie war ich nun also hierhergekommen? In ein verdammtes Leichenschauhaus?!

Ich erhob mich von dem Tisch, auf dem ich bisher gelegen hatte, und musste feststellen, dass ich nackt war. Während ich mich mit dem Tuch bedeckte, das eben noch auf mir gelegen hatte, sah ich den Pathologen an, der gerade wohl dabei gewesen war, mich aufzuschneiden.

Er wich zurück, so als griff ich ihn alleine durch meinen Blick an.

„Was ist hier los?", fragte ich ihn verwirrt. Dass ich mich im Krankenhaus befand, konnte ich nachvollziehen, aber die Leichenhalle? Ich war offensichtlich noch am Leben, also war das eindeutig der falsche Platz für mich. Ich dachte nicht mal daran, dass ich von dem Angriff anscheinend keine Verletzung davon getragen hatte, da ich keine einzige Wunde auf dem Bauch mehr hatte.

„S-Sie waren t-tot", stotterte der Arzt und schob mir einen Leichenbefund zu.

Ich schaute nur kurz darüber, ehe ich den Kopf schüttelte. Ich wusste, dass es möglich war. Ich fragte mich nur, wieso. Wieso ich? Wieso sollte ausgerechnet ich als Vampir auferstehen, nachdem ich getötet worden war? Wieso sollte mich jemand umbringen? Und wieso hatte ich solch einen Hunger?

Viele Dinge schossen mir durch den Kopf. So viele, dass ich vernachlässigte, dass ich kaum bekleidet war und einfach mit dem Tuch um die Hüften aus dem Krankenhaus marschierte. Sobald ich aber erstmal draußen auf der Straße stand, wollte ich nichts lieber, als zurück ins Leichenschauhaus. Dort war es ruhig gewesen, nicht so hell, es hatte primär nur einen Geruch gegeben: Tod. Hier draußen, hier fand das Leben statt und das mir im Moment viel zu viel. Es war zu hell, es brannte in den Augen und juckte, so als habe man mit Sand hineingeschüttet. Meine Nase fühlte sich wund an, so als habe man mir Parfüm direkt hinein gesprüht, es drangen so viele Töne an meine Ohren, dass ich die Hände von dem Tuch nehmen musste, um sie mir zuzuhalten. Es war mir zu viel, einfach alles. Mein Körper fühlte sich an, als würde er unglaublich unter Spannung stehen, so als sei er kurz davor zu explodieren.

Schmerzerfüllt ging ich auf die Knie und wollte einfach nur, dass es aufhörte. Ich war kurz davor, vor Verzweiflung zu schreien, doch plötzlich war da nichts mehr. Es war still, es war dunkler, allgemein waren die Reize um mich herum nun sehr stark abgeschwächt.

Vorsichtig öffnete ich die Augen und nahm die Hände von den Ohren, um mich umzusehen. Ich stand in einer Kirche, sie war komplett leer und wirkte auch so, als sei hier schon lange keiner mehr gewesen.

„Chester" Ich hörte jemanden meinen Namen hauchen, einen Namen, den ich gar nicht gerne hatte. Jedoch hatte er noch nie so liebevoll geklungen.

Mein Blick schoss zu dem Mann, der mich besorgt musterte.

„Wer bist du?" Natürlich hatte ich noch viel mehr Fragen. Woher kannte er mich? Wie waren wir hierhergekommen? Wo waren wir überhaupt? Was passierte mit mir? Doch diese war die Erste, die meinen Mund verließ.

„Du kennst mich nicht... noch nicht", sagte er ruhig und sah dabei so aus, als versuchte er, eine Bestie zu zähmen.

„Was soll das heißen?" Beim Sprechen biss ich mir irgendwie auf die Lippe, sodass diese kräftig zu bluten anfing. Ich bekam es jedoch kaum mit, sondern starrte nur den Fremden an, direkt auf die pochende Halsschlagader.

Er sagte irgendetwas, doch es ging komplett an mir vorbei. Ich roch kaum etwas mehr, nur noch ihn. Ich sah kaum etwas mehr, nur noch ihn. Ich wollte kaum etwas mehr, nur noch ihn. Und das sofort.

Er wiederholte meinen Namen unsicher und wich dabei einen Schritt zurück.

Ehe ich selbst verstand, was passierte, hatte ich ihn innerhalb nur einer Sekunde mit mir an die Wand 20 Meter hinter ihm gezerrt und rammte meine Zähne in seinen Hals. Ich musste es tun, es ging nicht anders, doch dennoch versuchte ich mich mit jedem Gedanken zum Stoppen zu bewegen. Es klappte nicht. Ich wusste, dass es falsch war, dass es unmenschlich war, doch ich konnte einfach nicht aufhören. Es war, als bestünde ich in diesem Moment nur noch aus der Gier nach seinem Blut.

Erst, nachdem ich dieses eine Weile lang zu mir genommen hatte, ohne, dass er Gegenwehr geleistet hatte, ließ ich lockerer, so locker, dass er mich webschieben konnte. Seine sanfte Art, dies zu tun, stand im kompletten Kontrast zu meiner Gewalttat.

Entsetzt starrte ich auf die Stelle, in die ich eben noch gebissen hatte, und stolperte drei Schritte zurück. Sie schloss sich von alleine, sogar das Blut ging weg. Ich fasste mir zitternd an den Mund und sah auf meine blutigen Fingerspitzen. Als ich zudem noch die Krallen erkannte, wich ich erschrocken von mir selbst weiter zurück.

„Es... i-ich...", stotterte ich und sah den Fremden verzweifelt an.

Er hob beschwichtigend die Hände. „Es ist okay, Chester. Es wird alles wieder gut. Ich werde dir helfen, okay?"

Ich sah von ihm zu meiner Hand, an der die Krallen nun verschwunden waren. Das Blut war noch vorhanden und außerdem die Erinnerungen daran, was ich eben getan hatte. Ich hatte einen Menschen angefallen wie ein Tier... Wie ein Vampir.

„Was ist los mit mir?", hauchte ich schockiert.

Natürlich wusste ich es, doch alles in mir weigerte sich, es zu glauben. Ich wollte, nein ich konnte nicht akzeptieren, dass ich von nun an ein Vampir war.

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