49: Chad: Abschied

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Nachdem ich erfahren hatte, dass Luzifer vorhatte, uns heute Abend zu verlassen, hatte ich dies den anderen mitgeteilt. Das Training war sofort vergessen gewesen und Boris beschloss, dass wir zusammen in seinem Club feiern gehen sollten. Er war zwar noch nicht ganz fertig, doch schon seit einem Jahr geöffnet. Sein Konzept schien die meisten der Vampir- als auch der Menschengesellschaft anzusprechen. Sein Club war für diejenigen, die nichts auf Rassen und Definitionen gaben. Dort konnte man einfach zusammen sein und abfeiern, genau das, was wir heute tun wollten. Das hatten wir uns redlich verdient, fand ich.

Boris erklärte uns, auf welchem Stockwerk in seinem Club wir was erhalten konnten und, dass eigentlich nur unten wirklich getanzt wurde. Er schnappte sich sofort Charlie und drückte ihm eine Art Schutzklappen auf die Ohren. Er erklärte uns, diese seien dazu da, um sein Gehör zu schützen, jedoch waren sie noch nicht wirklich so, wie er es haben wollte, daher hatte er noch nicht mehr davon produzieren lassen. Das hätte er aber definitiv noch vor, sobald das Produkt seiner Vorstellung entsprach.

Durch die Feiern, zu denen Anni mich geschleift hatte, war ich die Lautstärke gewohnt und machte nicht wirklich einen großen Unterschied zu meinem Gehör in meinen Zeiten als Mensch aus.

Charlie und Boris blieben gleich unten, weil Boris tanzen wollte, Briana überzeugte Michael durch einen süßen Hundeblick ebenfalls dazu, während wir anderen uns erstmal den Stammplatz der Gruppe zeigen ließen. Dale sah immer wieder zur Tanzfläche, als wir am Tisch saßen und ich folgte seinem Blick zu Briana und Michael.

Michael wirkte mehr als nur überfordert, doch hatte sichtlich Spaß dabei, sich von Briana antanzen zu lassen. Sie zog viele hungrige oder neidische Blicke auf sich, doch hatte selbst nur Augen für Michael.

Ich klopfte Dale leicht auf die Schulter. Er sah mich sofort an und wirkte ertappt dabei. Dann zuckte er mit den Schultern und meinte: „Die Richtige hüpft schon noch vorbei"

Es machte mich stolz, dass er sich nie, wirklich niemals unterkriegen ließ. Mein Bruder war ein Kämpfer, in allen möglichen Bedeutungen. Er ließ sich niemals unterkriegen, er war nie breit, aufzugeben und was bewunderte ich sehr an ihm. Schmunzelnd wuschelte ich ihm durch die Haare. Er schlug sofort meine Hand weg und strich sich durch die Locken, so als versuche er eine Frisur zu retten, die niemals vorhanden gewesen war. Ich lachte darüber.

Silas und Raphael stellten Getränke auf dem Tisch ab und gingen dann ebenfalls runter zum Tanzen. Ich saß noch hier, zu meiner linken Luzifer, zu meiner rechten Dale und mir gegenüber Austin und Jay. Die beiden waren hitzig am diskutieren, jedoch konnte ich akustisch nicht verstehen, worum es ging. Ich erkannte lediglich, dass beide sehr wütend wurden, bis Austin sich schließlich erhob und uns fragte, ob einer von uns mit ihm tanzen gehen wollte.

„Klar, warum denn nicht?", Dale lächelte Austin an, doch warf Jay noch ein ziemlich zynisches Grinsen zu, ehe er mit ihm ging. „Arschloch", brummte Jay bloß, doch da war Dale schon lange weg. Ich fragte mich ohnehin, ob das an Dale oder Austin gerichtet gewesen war. Vermutlich beide...

Jay bemerkte meinen Blick und sah mich dann auffordernd an. „Was?!"

„Nichts. Ich will keinen Streit provozieren"

Jay sah mich weiterhin auffordernd an, nur, dass er jetzt von Sekunde zu Sekunde angespannter wurde. Er war merklich auf Konfrontation aus, und war sehr frustriert, weil ich nicht darauf einging. Schließlich zischte er: „Ach leck mich doch", stand ebenfalls auf und stampfte weg.

Sobald er außer Sichtweite war, spürte ich Luzifers Arm um meine Schultern. „Endlich"

Als ich den Kopf zu ihm drehte, erkannte ich, dass er mich angrinste und meine Gedanken um Jays unreife Art, sich zu benehmen, stoppten sofort.

„Du hast nur darauf gewartet, dass wir alleine sind? Wieso hast du nichts gesagt?", schmunzelte ich.

„Wäre doch total auffällig gewesen" Er zuckte leicht mit den Schultern und lächelte mich weiterhin an. „Ich würde gerne mit dir tanzen"

Leicht lachte ich. „Das hättest du auch gleich sagen können" Amüsiert den Kopf schüttelnd stand ich auf und wollte in Richtung Lift gehen, aber Luzifer hielt mich an der Hand sanft fest. „Hier oben. Dann haben wir unsere Ruhe"

Ich stellte es mir affig vor, hier oben alleine mit ihm zu tanzen, sowie die Leute dort unten, doch ich begriff schnell, dass Luzifer nicht vorhatte, auf diese Art mit mir zu tanzen. Er wollte keine schnellen Bewegungen machten, herum hüpfen und/oder sich exzessiv an mir reiben. Er wollte mir einfach nur nahe sein. Dafür zog er mich eng an sich heran, legte die Hände auf meine Hüften und begann, sich leicht hin und her zu bewegen. Ich sah ihm lächelnd in die Augen, legte meine Hände auf seine Schultern und stieg mit ein.

Nach kurzer Zeit begann er leicht zu lachen, jedoch wurden seine Augen dabei feucht. „Wie soll ich denn jemals guten Gewissens gehen, wenn du mich so ansiehst, Chester?"

Etwas verdutzt, blinzelte ich schnell, mein Lächeln fiel. „I-ich wollte nicht... Tut mir leid..."

„Nein, das sollte kein Vorwurf sein", erklärte Luzifer schnell, er zog mich dabei näher zu sich, da ich etwas zurückgewichen war. „Ich glaube, ich mache mir den Abschied selbst schwer. Ich will ja gehen, aber ich will auch hierbleiben, bei dir" Er lächelte mich traurig an.

Ich erwiderte es, lehnte meine Stirn an seine und flüsterte: „So lass uns Abschied nehmen wie zwei Sterne, durch jedes Übermaß von Nacht getrennt, das eine Nähe ist, die sich an Ferne erprobt und an dem Fernsten sich erkennt"

Luzifer schloss die Augen und lächelte, während er seine Arme fest um mich schloss. Ich schlang ebenfalls die Arme um seinen Nacken und umarmte ihn, presste mich an ihn, wollte am liebsten mit ihm eins werden.

Zu wissen, dass Luzifer bei mir war, war irgendwie selbstverständlich für mich. Dass ich ihn jederzeit umarmen konnte. Jederzeit bei ihm Rat und Schutz suchen. Jederzeit diese Wärme spüren, die er in mir auslöste. Doch jetzt, wo wir so kurz vor dem Abschied standen, spürte ich, wie sehr ich ihn wirklich brauchte. Die Vorstellung, mich heute Nacht in mein Bett zu legen und ohne ihn einschlafen zu müssen, beängstigte mich. Sie quälte mich. Leider ich wusste aber, dass es Zeit war für Luzifer zu gehen, dass er das brauchte und wollte. Ich war stolz auf ihn, weil er den Mut und die Stärke besaß, das zu tun. Das einzige, was ich tun konnte, war ihm den Abschied so einfach wie möglich zu machen. Er wusste, was ich für ihn empfand, er musste es einfach wissen. Und falls nicht, wäre dies gewiss der falsche Zeitpunkt, es ihm mitzuteilen.

Es war nicht wirklich der Abschied, der mir so schwerfiel. Es war eher die Ungewissheit, wann er wiederkommen würde. Die unmögliche Vorstellung, wie es ohne ihn weitergehen sollte.

Zwar war er noch hier, für den Moment, jedoch freute ich mich darauf, wenn er wiederkam und bleiben würde. Am besten für immer.

Es gab viel zu viele unnötige, schmerzhafte Abschiede auf dieser Welt. Menschen verließen einander, oder sie starben. Doch dieser Abschied hatte auch etwas Schönes, denn ich wusste, Luzifer ging als Lichtbringer, doch er würde wiederkommen, wenn er das Licht bei sich trug und somit vollständig war. Es war seine Reise zu sich selbst. Ich hoffte einfach nur, er würde mich dabei nicht vollkommen vergessen.

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