Sobald sich die Tür hinter Briana schloss, begann meine harte Fassade zu bröckeln. Ich sah seufzend auf meinen Schoß und versuchte mich vor mir selbst dafür zu rechtfertigen was für ein Arschloch ich war. Klar war das nichts Neues, aber eigentlich sollte ich die wenigen Freunde, die mir noch geblieben waren, nicht auch noch von mir stoßen. Zu meiner früheren Clique hatte ich keinen Kontakt mehr, da ich ihnen ziemlich deutlich gemacht hatte, dass ich mit ihnen nichts mehr zu tun haben wollte, als ich meine Zeit lieber mit Austin und seinen Leuten verbracht hatte. Die anderen wies ich jetzt hinterher ab, nach meinem „Unfall".
Keiner, der nicht dabei gewesen war, wusste so wirklich, was mit mir passiert war und die, die es waren, wussten nichts von meinem jetzigen Zustand.
In der Schule hatten meine Eltern mein Fehlen nur mit einem „Unfall" begründen können, denn die Wahrheit kannten sie selbst nicht. Von den Ärzten wussten sie, dass ich eine Schussverletzung erlitten hatte; sie wussten, dass es keine normale Kugel gewesen war, sondern eine modifizierte, die eher einer Granate gleichkam, da sie in meinem Körper nicht vollständig geblieben war, sondern quasi leicht explodiert war, sodass sich alle möglichen Giftstoffe in mir ausgebreitet hatten und die Splitter sich in einige meiner Organe gedrückt hatten. Für mich war es kaum wichtig, dass die Ärzte nach wie vor damit zu kämpfen hatten, meinen Körper zu entgiften, das Schlimmste war für mich die Lähmung durch Splitter in der Wirbelsäule und den Nerven, mal ganz abgesehen von dem psychischen Trauma.
Im Großen und Ganzen ließ sich zusammenfassen, dass ich einfach im Arsch war – und das nicht im angenehmen Sinne. Ich war fertig, doch aus was für einem Grund auch immer hatte ich meinen Kampfgeist noch nicht verloren. Ich weigerte mich, hier herumzusitzen und zu hoffen, andere würden eine Lösung für meine Probleme finden; die Lähmung oder die Vergiftung, die mich nach und nach umbrachte.
Ich konnte und wollte nicht Zuschauer in meinem eigenen Leben sein, es von anderen abhängig machen, denn das machte mich zu dem, das ich auf keinen Fall sein wollte: Ein Opfer.
„Du hast wirklich einen Hang zum Drama" Schmunzelnd trat Alvar auf mein Bett zu, die Hände dabei lässig in den Hosentaschen vergraben, so als würde er hier einen alten Freund besuchen.
„Hast du die ganze Zeit zugehört?", fragte ich ihn vorwurfsvoll.
Er nickte und lachte dabei leicht. „Also ich muss echt sagen, ihr Menschen... Ihr seid faszinierend..."
Bevor er sich wieder in große Reden verstrickte, unterbrach ich ihn durch eine Handbewegung und verdrehte dabei die Augen. „Ich bin nicht wirklich in der Stimmung zu plaudern, Alvar, vor allem nicht mir dir. Lass es uns einfach durchziehen und dann unserer Wege gehen"
„Fein" Der Mann mit der Haut aus rostendem Stahl wirkte etwas enttäuscht, doch versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, als er sich zu mir aufs Bett setzte. „Ich kann aufhören zu reden, aber das ändert nichts daran, dass wir noch warten müssen..."
„Worauf?", wollte ich ungeduldig wissen.
Das konnte doch nicht sein! Als wäre ich nicht so schon nervös genug wegen dem, was ich vorhatte und weil ich sehr stark bezweifelte, dass ich Alvar vertrauen konnte, so sollte ich hier auch noch herumsitzen und abwarten. Das machte mich Irre!
„Wir haben noch nicht alles, was wir brauchen. Ich muss ein paar Dinge besorgen, sodass ich mit dir zwischen den Sphären reisen kann. Ohne dich werden die Engel mich nicht anhören und ohne mich wirst du keinen Kontakt zu ihnen aufbauen können, also beruhige dich etwas. Ich brauche dich, also werde ich dir nichts tun"
„Ich habe keine Angst vor dir", schnaubte ich.
Alvar musterte mich und nickte dann. „Ich weiß... nicht vor mir"
Ich war mir ziemlich sicher, dass er wusste, wovor ich mich so fürchtete und irgendwie bewies die Tatsache, dass er darüber schwieg, weil er spürte, dass mir das Thema nicht gefiel ja doch irgendwie wie einfühlsam er war.
Nach kurzem Schweigen, erhob er sich und teilte mir mit, dass er die Sachen besorgen würde, die wir brauchten, es könnte allerdings etwas dauern. „Wenn ich in zwei Tagen um diese Zeit nicht wieder hier bin oder mich nicht gemeldet habe, dann folge den Anweiseungen auf diesem Zettel" Er strecke mir ein beschriebenes Papier hin. „Dadurch beschwörst du mich, also zwingst mich quasi für einen bestimmten Zeitraum zu dir. Falls ich gerade auf der Erde bin, kann ich dem zwar widerstehen, aber ich merke zumindest, dass du versuchst, mich zu erreichen und es wird einfacher für mich, zu dir zu kommen, falls ich in der Klemme stecke..."
„Wie meinst du das?" Was er da erzählte, wirkte auf mich so, als ginge er davon aus, dass er mit Sicherheit in der Klemme stecken würde.
Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. „Deine Freunde suchen nach mir, Jaylin. Sie sind sehr mächtige Leute, da bin ich lieber vorbereitet"
Ich nickte stumm, er zwinkerte mir zu und verschwand dann einfach so. Das einzige, was er zurückließ, war ein wenig abgebröckelter Rost und der Zettel in meiner Hand.
Mit einem erschöpften Seufzend ließ in mich in die Kissen hinter mir sinken und sah äußerlich regungslos, aber innerlich komplett in Aufruhr an meine Decke. Ich wusste, was ich hier tat, konnte mir enorm zum Verhängnis werden. Nicht nur, weil ich meine Freunde hinterging, sondern auch, weil ich die Person hinterging, mit der ich meine Freunde hinterging.
Alvar hatte mir erklärt, was er war und was er wollte. Wir hatten lange darüber diskutiert, da er mich davon überzeugen wollte, ihm und mir selbst zu helfen, ich jedoch davon abgeneigt war, mich jemals wieder mit jemandem Übernatürlichen zu verbünden, der mir wahrscheinlich nur Schaden bringen würde und gegen den ich wehrlos war. Allerdings hatte Alvar gut daran getan, mich davon zu überzeugen, dass die menschliche Medizin mir nichts zu bieten hatte, das meine Lähmung heilen oder meinen qualvollen Tod in spätestens einem halben Jahr verhindern würde. Also hatte ich einen Deal mit dem Höllenkrieger gemacht: Er brachte uns beide so nah an den Himmel und die Engel heran wie er konnte und ich musste nichts weiter tun, als dabei zu sein, um ihre Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen und zu verhindern, dass sie Alvar sofort töteten, indem ich bei ihm war, quasi als Schutzschild. Ich wollte von den Engeln geheilt werden und Alvar wollte zu Luzifer. Mir war klar, dass es sehr böse für mich ausgehen würde, wenn Alvar erfuhr, dass ich bereits jetzt wusste, dass er Luzifer im Himmel nicht erreichen würde, aber mir blieb keine andere Wahl. Also hinterging ich ihn.
Das abstruse daran war, dass ich keine Angst davor hatte, er würde mich in seiner Wut umbringen, wenn er herausfand, dass ich ihn betrogen hatte, sondern eher, dass ich es als Erlösung sah, falls die Engel mir nicht helfen würden. Mir war klar, dass sie das nicht aus reiner Freundlichkeit tun würden, das war es, wovor ich mich fürchtete; ich hatte Angst davor, wozu ich bereit war, um nicht so weiterleben zu müssen, davor, wen oder was ich bereit war zu opfern.
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Only We
Fantasy-Ich erkannte in seinem Blick, dass da noch so viel mehr war. So viel mehr, das er mir sagen und bewusst machen wollte, doch er stand einfach nur knapp vor mir und sah mich intensiv an, sodass es sich so anfühlte, als entfachte er ein wärmendes Lage...