Chester und ich saßen auf meinem Bett. Er am Fußende und ich am Kopfende der Matratze. Er sah ungläubig auf den Boden vor sich und ich musterte ihn vorsichtig, um herauszufinden, was in ihm vor sich ging. Während es zwischen uns und um uns herum komplett still war, herrschte in Chester gerade das reinste Chaos. Ich hatte ihm von unserer Vergangenheit erzählt, einer Zukunft, die niemals stattfinden würde, doch es fiel ihm schwer, es zu glauben.
Schon damals war es nicht einfach für ihn zu akzeptieren gewesen, dass zwischen uns viel mehr war als bloß Sex. Nicht mal unsere körperliche Kompatibilität hatte er sich eingestehen wollen. Er hatte mich anfangs nur benutzt, natürlich wusste ich das.
Es hatte so wehgetan, jedes Mal, wenn er mich abgewiesen hatte, wenn er gesagt hatte: „Nur Sex, Luzifer, nicht mehr" Irgendwann hatte er mich zumindest als Kumpel gesehen, doch er hatte immer Angst davor gehabt, sich seine Gefühle für mich einzugestehen. Er hatte Angst, dass ich ihm etwas vormachte, er hatte Angst, da er Gefühle in dieser Intensität bisher nicht kannte und er hatte Angst, dass seine Liebe nicht ausreichen würde, um mich von meinem Fluch zu befreien. Also hatte er es verdrängt und mich von sich gestoßen. Trotzdem hatten wir zuletzt Seite an Seite gekämpft. Er war bereit gewesen, sein Leben für mich zu geben und ich hatte dasselbe für ihn getan. Sein Wunsch hatte mich schließlich nicht nur wiedererweckt, sondern auch wieder zum Engel gemacht, das, was ich immer gewollt hatte.
Ich war damals im Himmel wieder zu mir gekommen. Vater hatte mich empfangen, er hatte mir mitgeteilt, wie stolz er auf mich sei, dass mein Mensch etwas ganz Besonderes war und ich ihn niemals gehen lassen sollte. Er würde meine einzige Zuflucht sein. Er bat mich, Michael zu ihm zu schicken und versprach mir, dafür zu sorgen, dass er seine gerechte Strafe erfuhr.
Für mich hatte das damals nach Versöhnung zwischen Vater und mir geklungen, doch jetzt, wo ich Michaels Seite kannte, wusste ich nicht mehr so Recht, was ich glauben sollte. Meine Erfahrungen hatten mich gelehrt, dass ich die einzige Person war, der ich vertrauen konnte, und selbst das war nicht immer so leicht. Manchmal überfiel mich meine dunkle Seite einfach, sowie damals, als ich Chester beinahe zum Sex mit mir gezwungen hatte. Es war mein Selbstschutz, anderen wehzutun. Das war es schon immer gewesen. Doch mit Chester hatte ich irgendwie jemanden gehabt, der mir das Gefühl gegeben hatte, das sei nicht nötig. Bei ihm hatte ich mich sicher gefühlt, ohne, anderen dafür schaden zu müssen. Er hatte mich zu einem Engel gemacht und das nicht durch seinen Wunsch, sondern, weil er mir die Stärke gegeben hatte, mich wie ein Engel zu fühlen und so zu verhalten.
Ich glaubte nach wie vor daran, dass Chester für mich bestimmt war, doch ich glaubte auch, dass es unmöglich war, jemals wieder zu dem Punkt zu kommen, an dem wir waren, als wir uns voneinander verabschieden mussten, um unseren Pflichten nachzukommen. Ich vermisste diese Zeit, ich vermisste meinen Chester, doch zu diesem würde er leider nie mehr werden. Ich hasste Uriel dafür, dass er mir das antat und wenn ich ehrlich war, konnte ich eine Konfrontation zwischen uns kaum erwarten, auch wenn ich wusste, dass ich bei meiner momentanen Stärke keine Chance gegen ihn hatte. Er hatte sich meine Kraft angeeignet, die ich in der Hölle versteckt hatte, um sie nicht mit auf die Erde nehmen zu müssen und somit großen Schaden zu riskieren. Zwar hatte ich so viel von meiner Präsenz bei mir wie möglich, doch diese war mit der Aufgabe betraut, meinen Körper zu bilden. Selbst, wenn ich in meiner Engelsgestalt gegen Uriel kämpfen würde, wäre diese Kraft nicht genug... Es frustrierte mich. Ich fühlte mich so machtlos im Moment. Ich konnte nichts tun, als zuzusehen. Am meisten schmerzte das aber bei Chester. Ich konnte es natürlich nicht ändern, wie er jetzt mit diesen neuen Informationen umging und das wollte ich ja auch gar nicht. Ich wollte einfach nur, dass er mich in den Arm nahm und für einen kurzen Moment dafür sorgte, dass ich mich fallen lassen konnte, ohne mich vor den Aufprall fürchten zu müssen, weil er mir das Gefühl gab, ich konnte fliegen, selbst ohne Flügel. Weil nur er mir dieses Gefühl geben konnte, frei zu sein. Frei und sicher, zwei Dinge, die kontroverser nicht sein konnten.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, ehe er sich innerlich ein wenig beruhigte und seine Gedanken ordnen konnte. Schließlich atmete er tief durch. „Danke, dass du mir das erzählt hast... Das erklärt einiges für mich"
Ich schluckte, sah ihn fragend an. „Wie meinst du das?" Ich war nervös dabei, das versuchte ich gar nicht abzustreiten, doch da war wohl noch so ein kleiner, hartnäckiger Teil Hoffnung in mir, der einfach nicht bereit war, Chester aufzugeben.
„Dein Verhalten war seltsam", erklärte er und sah mich an. „Du hast die ganze Zeit so verletzt gewirkt und traurig, aber du hast dir keine Mühe gegen zu verstecken, dass ich dir verdammt wichtig bin... Ich glaube dir, dass du mich liebst, aber du musst verstehen, dass ich nicht der Mann bin, von dem du mir gerade erzählt hast."
Ich schüttelte leicht den Kopf, weigerte mich, mir die Wahrheit anzuhören, die ausgesprochen noch so viel schrecklicher klang als in meinem Unterbewusstsein.
„Der Mann, den du liebst, existiert nicht mehr... und das wird er auch nicht. Es tut mir leid, Luzifer." Ich sah ihm an, dass er wirklich Mitleid mit mir hatte, ich wusste, wie nötig es gewesen war, dass er diese Worte aussprach, doch trotzdem brach es mir das Herz akzeptieren zu müssen, dass mein Chester einfach ausgelöscht worden war, dass es für alle anderen so war als hätte er niemals existiert und dass ich jetzt einfach weitermachen sollte, als hätte ich ihn niemals gekannt, geschweigedenn geliebt. Es ging einfach nicht, denn schon von Anfang an war er alles, was mich zum Weitermachen animiert hatte. Ohne Chester war ich verloren.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?"
Erst, als Chester näher zu mir aufgerückt war und mich schuldbewusst und besorgt ansah, bemerkte ich den Tränenschleier vor meinen Augen.
Ich schüttelte den Kopf, schloss dabei die Augen und drehte mein Gesicht weg von ihm, als ich die Flüssigkeit spürte, die sich den Weg ausgehend von meinen Augen über meine Wangen bahnte. Es kostete mich unglaublich viel Kraft zu atmen, ohne dabei hysterisch zu schluchzen, es quälte mich, dass er direkt neben mir saß, aber doch nie mehr bei mir sein würde
Ich wollte, dass er einfach ging. Dass er mich alleine ließ. Dass er mich trauern ließ.
Er rutschte jedoch noch näher zu mir auf und nahm mich in den Arm. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er mich trösten wollte, doch umarmte ihn dann ebenso und krallte dabei haltsuchend meine Finger in sein Shirt.
„Schon gut", flüsterte er und strich mit der einen Hand über meinen Rücken, während er mit der anderen meine Haare kraulte. „Ich halte dich fest. Lass einfach los"
Chester war genau das, was sich die Menschen unter einem Engel vorstellten. Er gab mir gerade alles, was ich brauchte und das, obwohl ich ihm für ihn ziemlich schockierende Dinge erzählt hatte. Er rettete mich vor einem Fall, dessen Aufprall mein Ende bedeuten würde.
DU LIEST GERADE
Only We
Fantasy-Ich erkannte in seinem Blick, dass da noch so viel mehr war. So viel mehr, das er mir sagen und bewusst machen wollte, doch er stand einfach nur knapp vor mir und sah mich intensiv an, sodass es sich so anfühlte, als entfachte er ein wärmendes Lage...