36. Austin: Hass und Liebe

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Gut gelaunt schlenderte ich die Treppe runter, wurde aber etwas langsamer, als ich Jays Geruch wahrnahm und seine Jacke in der Garderobe hängen sah. Das Wohnzimmer war leer, das Esszimmer ebenfalls, also musste er wohl schon mit den anderen im Keller sein.

Da ich das Training nicht so nötig hatte wie die anderen und heute ohnehin eher Meditation dran war, wollte ich diesen Tag ausfallen lassen und ein bisschen entspannen, daher war ich bis mittags im Bett geblieben und hatte mir eine Menge Schönheitsschlaf gegönnt. Jetzt wollte ich mir einen schön erfrischenden Blutshake machen und dann etwas Schwimmen gehen.

Meine Entspannung löste sich aber ganz schnell in Anspannung auf, als ich Jay in der Küche stehen sah. Er schnippelte irgendwas zusammen, hatte mich noch nicht bemerkt, so vertieft, wie er in seine Arbeit war. Ich musterte ihn, das lockere Top, das er trug und mir somit einen guten Blick auf seinen trainierten Oberkörper gewährte, die engen, kurzen Hosen, die seinen Arsch perfekt zur Geltung brachten, die spielenden Muskeln an seinen Armen, jedes Mal, wenn er sich bewegte. Grinsend lehnte ich gegen den Türrahmen und sah zu. Er begann sogar leicht vor sich hinzutanzen und zu singen. Und was ich da hörte, war gar nicht mal so schlecht.

Ich schlich mich von hinten an ihn heran, sehr nah, aber so, dass ich ihn nicht berührte und schaute neugierig über seine Schulter, zuerst zur Gurke, die er da schnitt, dann zu ihm. „Hübsch machst du das"

Er zuckte zusammen, erschrak und zischte dabei schmerzerfüllt auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er seinen blutenden Finger und sah mich dann sauer an. „Scheiße, Austin! Was soll das?!"

„Ich wollte nicht..."

Sein Blick brachte mich erneut zum Verstummen, sowie so oft, wenn ich versuchte, auf ihn zuzugehen oder mit ihm zu reden. Er schob mich mit der Schulter zur Seite und hielt seinen verletzten Finger über das Spülbecken, ließ Wasser darüber laufen.

„Das war keine Absicht", versicherte ich ihm schuldbewusst.

Er schnaubte bloß und meinte: „Verpiss dich einfach"

„Ich kann dir helfen", widersprach ich und wollte nach seiner Hand greifen, aber er sah mich sofort hasserfüllt an und schrie: „Ich will deine verdammte Hilfe nicht!"

Diesmal war ich derjenige, der zusammenzuckte. Langsam zog ich die Hand wieder zurück und sah ihm dabei in die Augen. Es tat verdammt weh, dass er lieber blutete und die Schmerzen ertrug, als meine Hilfe anzunehmen. Es bewies, dass er mir nicht vertraute, dass er keine Nähe zu mir wollte, selbst, wenn er wusste, dass er es brauchte. Dass er mich brauchte. Zumindest in diesem Moment.

Er wusch fluchend die Wunde aus, ich stand still neben ihm und beobachtete ihn, während ich nach einer Erklärung für sein Verhalten suchte.

„Bist du wirklich noch sauer wegen dem Kuss?" Ich traute mich beinahe nicht, diese Frage zu stellen. Wir hatten seit es passiert war, nicht darüber gesprochen, um genauer zu sein hatten wir gar nicht mehr geredet, sondern er hatte mich die ganze Zeit nur abgewiesen und/oder beleidigt. 

Es war kindisch, so miteinander umzugehen. Vielleicht hatte ich einen Fehler gemacht, doch ich bereute ihn nicht wirklich und ich wusste, dass Jay das auch nicht tat.

„Welcher Kuss?" Jay tat auf ahnungslos, aber ich sah, dass sich allein bei dem Gedanken daran eine Gänsehaut auf seinen Armen bildete. Er wirkte sehr unruhig, das tat er immer in meiner Nähe oder unter meinen Blicken, doch das war das erste Mal, dass ich glaube, es war keine Anspannung, sondern Nervosität.

„Du weißt genau, was ich meine", stellte ich fest und musterte ihn dabei genau, ehe ich leicht lachte. „Natürlich weißt du es. Es geht dir ja kaum aus dem Kopf."

Jays Kieferknochen traten hervor, da er die Zähne kräftig zusammenbiss, er sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. „Ich hasse dich"

Ich war mir sicher, normalerweise hätte mir dieser Satz aus seinem Mund das Herz gebrochen, doch jetzt gerade konnte ich ihn einfach nicht ernst nehmen.

Ich grinste, schnitt mir in die Handfläche und griff dann schneller nach seinem Finger, als er es begreifen konnte. Seine Wunde war geheilt, ebenso wie meine.

„Gern geschehen", grinste ich bloß voller Genugtuung, ging knapp an ihm vorbei, obwohl in der Küche genügend Platz gewesen wäre und verließ den Raum wieder. Ich wusste genau, dass er mir hinterher sah, daher drehte ich mich im Flur nochmal um und zwinkerte ihm zu, ehe ich in den Garten ging, mit den Gedanken nach wie vor bei Jay.

Ich erkannte die anderen im Garten und verstand auch ganz schnell, was das alles sollte. Anscheinend hatten sie vor zu grillen. Boris und Silas waren dabei, einen Grill aufzubauen. Ich ging davon aus, er war neu, da wir bisher keinen gehabt hatten, während Briana mit Raphael den Tisch deckte und Michael mit Luzifer einfach dumm danebenstand. Die beiden Engel sahen Boris und Silas belustigt bei ihren Versuchen zu, den Grill aufzubauen und wie sie deshalb stritten und sich gegenseitig beleidigten, um dem anderen die Schuld zuzuschieben, weil es nicht funktionierte.

„Menschen waren noch nie die intelligentesten Wesen. Du hättest sie mal in der Steinzeit erleben sollen"

Sofort nach Michaels Äußerung begann Briana zu lachen.

Er warf ihn dafür einen überraschten Blick zu und fragte: „Was?"

Sie unterdrückte ihr Lachen und schüttelte dabei den Kopf. „Nichts nichts. Läster du nur weiter"

Michael kniff die Augen zusammen und trat an sie heran. „Sag, was du zu sagen hast"

Obwohl er beinahe zwei Köpfe größer war als sie, war sie davon wenig beeindruckt. „Ich finde es einfach nur witzig, dass du immer einen auf schlau machst und dabei keine Ahnung hast, wovon du redest. Die Menschen in der Steinzeit waren verhältnismäßig nachweislich intelligenter als wir heutzutage. Sie waren einfallsreicher und hatten ein besseres Gedächtnis. In Wahrheit schrumpft die Gehirnkapazität des Menschen stetig, das schon seit ungefähr 10.000 Jahren. Es gibt dazu ein sehr interessantes Buch mit detaillierten Erklärungen. Wenn du dich weiterbilden möchtest, leihe ich es dir sehr gerne. Vorausgesetzt, du kannst lesen."

Jetzt war ich es, der sein Lachen unterdrücken musste, während Michael das Mädchen sprachlos ansah und sie einfach weiter den Tisch deckte, als hätte sie nicht gerade einen Erzengel verbal auseinandergenommen. Durch die seltsamen Töne, die ich bei meinem Versuch nicht zu lachen, machte, bemerkten mich die anderen aber natürlich und Briana kam sofort lächelnd zu mir.

Sie umarmte mich zur Begrüßung, ich erwiderte es und meinte leise: „Gut gemacht" Sie grinste bloß und fragte mich, ob ich mich zum Essen zu ihnen gesellen würde. Zu ihrem süßen Lächeln konnte ich einfach nicht nein sagen, bejahte deshalb und fragte, wie lange es mit dem Essen denn noch dauern würde.

„Keine Ahnung, Boris und Silas müssen es erstmal hinbekommen, den Grill zum Laufen zu bringen... Falls nicht gibt es halt nur den Salat, den Jay gerade macht"

Ach das hatte er da getrieben.

Erst, als Briana mich etwas zur Seite zog und ernst anschaute, bemerkte ich, wie sehr ich zu grinsen begonnen hatte. „Was hast du gemacht?"

„Was? Ich? Gar nichts!"

Sie schaute mich nur vielsagend an und ich brach unter ihrem Blick ein. „Na gut, ich hab festgestellt, dass er mich vielleicht gar nicht hasst, sondern einfach auf mich steht und deshalb so scheiße zu mir ist"

„Und dafür hast du wochenlang gebraucht?" Briana wirkte ungläubig und schüttelte den Kopf. „Dann hoffe ich, du lässt dir endlich was einfallen, wie er das auch bald begreift"

Ich wollte sie gerade fragen, wie das denn gehen sollte, doch ließ es sein, als Jay ebenfalls auf die Terrasse kam und die Schüssel mit dem Salat auf den Tisch knallte, während er mich ansah. Ich hatte ihn wütend gemacht, sehr wütend. Doch andererseits bewies dieses Verhalten doch, dass ich ihm alles andere als egal war. Vielleicht hasste er mich wirklich, na schön. Aber das hieß nicht, dass er mich nicht auch lieben konnte.

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