58. Austin: Eingesperrt

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„Was setzt das denn bitte für ein Zeichen?", Raphael sah seinen Vater fassungslos an, nachdem dieser uns seinen Beschluss mitgeteilt hatte: Alle Vampire in seinem Reich versammeln und ihnen den Kontakt zu den Menschen untersagen.

Er begründete diese Entscheidung damit, dass wir einfach nicht sicher waren unter ihnen. Bei den meisten Jägern konnten wir ihr Blut nicht riechen, solange sie keine Kräfte hatten, doch sie hatten trotzdem den Willen und die Mittel, uns zu schaden. Dass wir sie bisher maßlos unterschätzt hatte, war uns zum bitteren Verhängnis geworden. Benedikt wollte nicht, dass das jemals wieder passierte. Er wollte uns schützen, uns alle. Doch das änderte nichts daran, dass ich mich eingesperrt fühlte an dem Ort, der mein zuhause war, unter den Leuten, die meine Familie waren. Eigentlich hatte ich hier doch alles, was ich brauchte. Ich hatte Blut zum Überleben, Wasser zum Wohlfühlen und Freunde zum Spaß haben. Doch etwas Entscheidendes fehlte mir, das einzige, das ich brauchte, um nachts nicht unruhig wachzuliegen, da ich das Gefühl hatte, die Dunkelheit fraß mich auf.

Dabei war ich gar nicht gefangen, es war zu meinem besten, dass es mir nicht gestattet war, das Reich zu verlassen. Ich wusste das doch, ich hörte es jeden Tag von meinen Freunden, wenn ich sie bat, Jay sehen zu dürfen, ich verstand ihre Argumente. Doch mein Herz war nicht annähernd so rational. Es drohte mir Sekunde um Sekunde, die ohne Jay an meiner Seite verstrich, mit Selbstmord und die Qual in meinem Inneren bewies, dass es das ernst meinte. Es ging hier nicht nur um eine kleine Schwärmerei, es ging hier um mein Leben. Die Vorstellung, es ohne Jay verbringen zu müssen, brachte mich beinahe um. Aber mein Wunsch, bei ihm zu sein, hatte nicht nur etwas mit meinem Verlangen nach seiner Nähe zu tun, nein ich wollte auch für ihn da sein. Ich spürte, dass er mich vermisste, dass er mich brauchte. Doch ich war hier und ich konnte nicht weg.

„Denkst du wirklich, das ist unser größtes Problem, Raphael?"

„Die Jäger denken, wir haben Angst vor ihnen, wenn wir uns noch weiter zurückziehen!", argumentierte der Prinz lautstark und schüttelte vehement mit dem Kopf. „Ich werde ihnen diesen Sieg nicht gönnen"

„Dann ist ja gut, dass du nichts zu sagen hast, solange ich noch König bin" Benedikt sprach diesen Satz so kalt aus, wie ich seine Stimmlage nur sehr selten gewohnt war. Er zeigte Raphael dadurch, dass er bei diesem Thema nicht bereit war, auch nur die kleinste Diskussion zuzulassen. Er zeigte Autorität, wo er doch immer so sehr darauf bestanden hatte, mit Raphael auf Augenhöhe zu sein, um ihn zu einem selbstbewussten, starken König zu erziehen.

Raphael presste die Zähne so fest zusammen, dass seine Kieferknochen deutlich hervortraten. Nicht einmal Silas' Streichen über seinen Arm half ihm, ruhiger zu werden.

„Was, wenn ich gehe?" Raphael stellte diese Frage nicht laut, er sah dabei zu Boden, also war ich mir nicht sicher, ob er es wirklich gesagt hatte.

„Wie bitte?", hakte Benedikt nach.

Raphaels Gesicht schoss nach oben, er sah seinem Vater intensiv in die Augen und wiederholte seine Worte. „Was, wenn ich gehe? Wie willst du mich aufhalten? Ich bin stärker als du und deine Armee, das wissen wir alle. Du wirst mich nicht hier festhalten können, also hast du nur zwei Möglichkeiten: du lässt mich gehen oder du bringst mich um"

Silas zog die Luft scharf in die Lungen und redete leise auf Raphael ein, aber dieser beachtete ihn nicht wirklich, sondern sah seinem Vater bloß herausfordernd ins Gesicht.

„Du bist hier nicht gefangen, Raphael" Charlie trat auf den Jungen zu, tat, was er selten tat, wenn Raphael und Benedikt sprachen oder aneinandergerieten: er mischte sich direkt ein. Normalerweise ließ er die Gemüter erst beruhigen und appellierte dann heimlich an beide der Männer, sodass sie aufeinander zugingen und sich vertrugen. Diesmal war es anders. „Wenn du gehen willst, kannst du das jederzeit tun. Aber nenn mir einen Grund, dich in diese Gefahr zu begeben. Einen einzigen"

„Das Leben, Charlie", sagte Raphael ohne zu zögern und schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich will mich hier nicht verbuddeln und verstecken. Somit geben wir den Jägern nur das Gefühl, Macht über uns zu haben, wir geben ihnen die Möglichkeit, stärker zu werden. Uns jetzt zurückzuziehen ist wie aufzugeben ohne jemals einen Kampf geführt zu haben..."

„Willst du das? Einen Kampf? Einen Krieg?", fragte Benedikt ungläubig, vorwurfsvoll.

Raphael schüttelte den Kopf, seine Hand hatte sich mittlerweile mit Silas' verschränkt und er war um einiges ruhiger geworden. „Nein, ich will Frieden. Aber den bekommen wir nicht, wenn wir uns von den Menschen abschotten und den Jägern Raum geben, sich zu ordnen. Sie haben einen von uns getötet, mindestens, wir wissen nicht, wie viele sie schon entführt, gefoltert und ausbluten lassen haben. Sie sind gefährlich und es wird zu einem weiteren Krieg kommen, wenn wir nicht zeigen, dass wir nicht bereit sind aufzugeben. Wir müssen Stärke beweisen."

„Wie stellst du dir das vor? Willst du sie herausfordern? Kämpfen?", hakte Benedikt nach.

Kopfschütteln von Raphael. „Nein, eben nicht. Wir holen zum Gegenangriff aus, aber so wie sie es nicht erwarten würden..."

Raphael erzählte, was er vorhatte. Es blieb still und alle hörten ihm gebannt zu. Der Plan war riskant, das wussten wir, aber wir hatten nicht wirklich erstrebenswerte Alternativen.

Seit wir vor ein paar Wochen ins Vampirreich gezogen waren, hielten wir täglich Versammlungen ab, um zu einer Lösung des ganzen Jägerproblems zu kommen. Wie jeden Abend schleppte ich mich danach in mein Zimmer und legte mich ins Bett. Obwohl ich körperlich geheilt war, war ich dennoch nach wie vor etwas angeschlagen. Nachdem ich Victoria von meinem Problem erzählt hatte, hatte sie mir erklärt, meine psychische Verfassung wirkte sich wohl auf meinen Körper aus. Ich hätte ein Trauma, das für meine nächtlichen Angstzustände sorgte und fühlte mich so verloren, allein und energielos, da ich Jay vermisste. Sie war die einzige, der ich meine gesamte Geschichte mit ihm anvertraut hatte. Ich hatte einfach jemanden zum Reden gebraucht, doch die Jungs waren alle selbst so viel am Grübeln und ich hatte ihnen nicht zur Last fallen wollen. Victoria hatte mir zwar auch nicht wirklich weiterhelfen können, doch sie hatte mich in den Arm genommen und festgehalten und genau das war es, was ich in diesem Moment gebraucht hatte.

Seit wir entführt worden waren, hatte ich das Gefühlt, nicht mehr ich selbst zu sein. Es war, als hätten sich all die Verletzungen, die mir zugefügt worden waren, tief in meine Seele gebrannt und dort Narben hinterlassen, die dafür sorgten, dass ich nie mehr derselbe sein würde. Trotzdem hatte ich noch eine Sache, die mich antrieb, die mich dazu brachte, jeden Morgen aufzustehen, diesen verdammten Tag hinter mich zu bringen und auf den Abend hinzufiebern.

Ich wartete, bis es still geworden war, still und dunkel, ehe ich mich rausschlich. Unbemerkt aus dem Palast zu kommen, war schwerer als das Vampirreich zu verlassen und zu meinem eigentlichen Ziel zu gelangen. Mein Talent lag zwar im Schwimmen, aber ich fand, ich machte mich auch ganz gut als Spion.

Wie jeden Abend schlich ich mich vor Jays Haus und beobachtete ihn in seinem neuen Leben. Okay, okay, ich weiß, was ihr jetzt denkt, aber ich war nicht einer dieser Psychos, der nachts im Busch saß, jemanden stalkte und sich dann die Palme wedelte. Ich machte das nicht, um mich aufzugeilen. Ich machte das, um zu überleben. Und ich war mir sicher, selbst wenn Jay mich nicht sehen konnte, musste er spüren, dass ich bei ihm war, dass ich immer bei ihm bleiben würde, egal was passierte.

So saß ich dort nun also im Geheimen, sah durch das Fenster und beobachtete Familie O'Cara beim Abendessen. Jeremy versuchte sich augenscheinlich daran, Jay etwas aufzuheitern, doch es zeigte keine Wirkung, zumindest nicht die erhoffte. Es führte nur dazu, das Jay wütende Schreie loslassend das Geschirr zu Boden beförderte und dann, so schnell es ihm in seinem Rollstuhl möglich war, das Zimmer verließ. Seine Eltern sahen ihm schockiert hinterher, Alina brach in Tränen aus und Jeremy wirkte einfach nur fassungslos, während er seine Frau in den Arm nahm. Sie hatten es wirklich schwer zurzeit, ich wäre gerne eine Hilfe, doch Charlie hatte mir erklärt, dass ich, solange vor allem dieser Connor ein Auge auf mich geworfen hatte, eine Gefahr für alle darstellte, die mir wichtig waren.

Also tat ich, was ich jeden Abend tat: Ich ging wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen, die mir nachsagen konnte, dass ich jemals hier gewesen war, ich legte mich in mein Bett und kämpfte mit meinem derzeit größten Feind: Mir selbst.

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