Ich wusste nicht, wo Michael seine Nacht verbracht hatte, doch er stand mittags wieder bei uns auf der Matte, da er meinte, sich mit Austin und Jay um diese Zeit hier verabredet zu haben. Er weihte mich in seinen Plan ein, dafür zu sorgen, dass Jay für Engel unsichtbar war und meinte, wir sollten dasselbe bei Chad und Boris tun, da sie genauso interessant für die Engel waren wie Jay. Das mit Boris machte durchaus Sinn für mich, da die Macht, die er ausstrahlte, je mehr er sich entwickelte, beinahe blendete. Chester war jedoch ein herkömmlicher Vampir. Er hatte bisher noch nicht mal Fähigkeiten, die wir festgestellt hatten. Das einzig besondere an ihm war, dass er nicht nochmal das Bedürfnis nach meinem oder überhaupt nach Blut gehabt hatte. Wenn er aber keine Kraft anwandte, war auch dies logisch.
Nachdem Boris, Charlie und Chester anwesend waren, erklärte Michael auf meine Bitte hin, was an Chester so ungewöhnlich sein sollte, während Austin Jay holte.
„Er ist anders" Michael sah Chester an, mit Bewunderung in seinem Blick, mit Faszination. Ich sah nichts Böses, kein Verlangen, keinen Wunsch mehr, sich meinen Mann anzueignen. Trotzdem gefiel es mir nicht, wie er ihn ansah. Am liebsten wollte ich ihn davor abschirmen, ihn hinter mir verstecken und dort in Sicherheit bringen, obwohl ich wusste, dass er nicht in Gefahr war. Wenn Michael vorgehabt hätte, einen von uns zu verletzen, hätte er das längst getan.
„Du warst schon immer besonders, Chester..."
„Chad", unterbrach er Michael schneidend „Mein Name ist Chad"
Michael blickte kurz von ihm zu mir, erkannte die Genugtuung in meinem Blick, dass er bei mir nie drauf bestanden hatte, ihn Chad zu nennen, zog deshalb die Augenbrauen hoch, doch ging nicht weiter darauf ein.
„Gut, Chad... Es ist schwer, das so zu erklären, dass es für einen Menschen verständlich ist. Du musst dir die menschliche Seele wie einen Eimer vorstellen. Durch deine Taten, Gefühle, Gedanken, Triebe, Bedürfnisse etc. füllst du ihn. Sobald der Eimer voll ist, entscheidet sich, abhängig davon, womit du ihn gefüllt hast, ob deine Seele rein oder unrein ist und dein Charakter entwickelt sich nur noch in diese Richtung. Je reiner eine Seele, desto mächtiger ist sie. Deine Seele ist vollkommen verschont geblieben von jeglicher Verunreinigung, obwohl du es nie leicht hattest. Das macht sie sehr stark, aber vor allem: energiereich. Menschen und Engel unterscheiden sich darin, dass die Präsenz eines Engels quasi nur aus Energie besteht, doch bei einem Menschen macht diese Energie nur einen kleinen Teil der Existenz aus. Ihr Menschen überlebt auch ohne diese Energie, jedoch habt ihr dann auch keine Seele, sondern lasst euch vom Dunklen leiten, weil ihr dem nichts mehr entgegen zu setzen habt. Für Engel, die nach Macht streben, bist du wie eine Batterie, an der man sich einen gewaltigen Booster holen kann. Deine Seele ist wie ein verführerischer Lockruf für einen Engel. Und Luzifer ist der einzige, der ihm bisher widerstehen konnte"
Ich zog die Augenbrauen zusammen, als Michael mich wieder ansah, und schüttelte den Kopf. Was er über Seelen sagte, machte Sinn, auch, dass Chesters Seele besonders rein und unschuldig war, hatte ich registriert, doch diese Anziehung, von der er sprach, hatte ich nie gespürt. Zumindest nicht wegen seiner Seele.
„Wieso?", fragte ich Michael, da ich es nicht verstand. Ich liebte diesen Mann, doch diese Macht, die er da in sich trug, hatte ich bisher nie wahrgenommen. Das tat ich bis jetzt nicht.
„Du bist nicht wie andere Engel, das weißt du doch" Da, wo früher immer Neid von ihm ausgegangen war, wenn es darum ging, spürte ich nun Stolz. „Du bist nach wie vor der einzige vollendete Engel. Du brauchst keine extra Energie, deshalb hast du auch kein Verlangen danach"
Ich schnaubte leicht. „Uriel hat beinahe meine gesamte Kraft, ich bin alles andere als vollständig und Energie könnte ich mit Sicherheit gebrauchen."
„Du verstehst nicht, Luzifer", widersprach Michael, wirkte amüsiert dabei. „Das, was dich in Vaters Augen perfekt gemacht hat, war nie deine Macht oder deine Präsenz. Es ist etwas einzigartiges, das du nicht verlieren kannst. Dein Licht."
Ich verstand nach wie vor nicht, sah ihn fragend an.
„Du bist der Lichtbringer, der einzige, der das pure Gute in sich trägt. Auch wenn du es nie geschafft hast, dieses verborgene Licht zu finden..."
„Woher weißt du das?", unterbrach ich ihn. „Wieso weißt du mehr über mich, als ich selbst? Wieso willst du mir plötzlich helfen?" Ich verstand es einfach nicht, ich verstand gar nichts mehr. Am liebsten wollte ich mal all meine Gefühle rausbrüllen... Bevor ich in Versuchung kam, dies zu tun, spürte ich eine warme Hand auf meiner. Die Wärme ging sofort auf mich über und ich sah den einzigen an, der Verursacher dessen sein konnte. Chester sah mir in die Augen, so als wollte er sagen: Bleib ruhig, wir bekommen das hin. Also atmete ich tief durch, umschloss seine Finger mit meinen und hörte Michael weiter zu.
„Ich bin viel älter als du, Luzifer. Ich war zwar nicht an deiner Entstehung beteiligt, doch ich war dabei. Es war nicht Vaters Absicht, das aus dir zu machen. Es war Mutter, die dir diese Besonderheit gegeben hat, den letzten Schliff zur Perfektion. Vater und sie stritten, da er dich als sein Projekt gesehen hatte, jedoch gab er klein bei und überließ dich Mutter. Während Vater uns mit dem Willen zur Perfektion erschaffen hatte, tat Mutter es bei dir mit Liebe. Das unterscheidet dich von uns und das macht dich so viel mächtiger, sobald du es zulässt. Nachdem Vater und Mutter getrennte Wege gingen, sie dich aber bei ihm ließ, wollte er verhindern, dass du zu dem wirst, den sie in dir gesehen hat. Er beauftragte Gabriel und Uriel damit, während er sich um die Erschaffung der Menschen kümmerte. Für dich kam es immer so rüber, als hätte er dich vernachlässigt, weil er die Menschen mehr liebte, deshalb wurdest du so wütend auf sie und er hatte einen Grund, dich zu entehren. In Wahrheit hatte er Angst vor dir und vor der Macht, die du in dir trägst." Er schüttelte leicht den Kopf, schmunzelte dabei. „Unsere Brüder sind Engel, Luzifer, aber du könntest ein Gott sein. Das einzige, was du tun musst, ist, dein Licht zu finden."
„Woher weißt du das alles?", hauchte ich, umklammerte Chesters Finger mittlerweile so fest, dass es ihm ziemlich wehtun musste, doch er gab keinen Mucks von sich und er zog seine Hand auch nicht weg. Er war für mich da, er gab mir die Möglichkeit, mich an ihm festzuhalten.
„Ich habe es miterlebt. Manches habe ich herausgefunden, manches hat mir Vater erzählt. Ich bezweifle stark, dass Uriel es wirklich von sich aus auf dich abgesehen hat. Du weißt genau, dass Engel keine eigenen Entscheidungen treffen können, dafür sind sie einfach nicht gemacht..."
Michael verstummte, als die Haustür aufging und Austin und Jay reinkamen. Er sah mich aber weiterhin an und ich wusste genau, was er mir durch diesen Blick sagen wollte. Chesters Tod ging auf Vaters Kappe, da er verhindern wollte, dass ich durch seine Liebe mein Licht finden konnte.
Michael wollte mir noch so viel mehr erzählten. Er würde mir noch wo viel mehr erzählen. Doch obwohl ich es dringend wissen wollte, schweiften meine Gedanken zu einer Tatsache ab, die mir plötzlich viel wichtiger erschien: „Engel können keine eigenen Entscheidungen treffen" Das bedeutete entweder handelte Michael nach wie vor auf Vaters Befehl hin, was keinen Sinn machte auf Grund dessen, was er uns erzählte, oder mein Bruder war kein Engel mehr.
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Only We
Fantasy-Ich erkannte in seinem Blick, dass da noch so viel mehr war. So viel mehr, das er mir sagen und bewusst machen wollte, doch er stand einfach nur knapp vor mir und sah mich intensiv an, sodass es sich so anfühlte, als entfachte er ein wärmendes Lage...