Natürlich war ich überrascht, doch wirklich verwundert? Nein. Ich war bereits mit der Erwartung hierhergekommen, dass ich Dinge erfahren würde, die mein Leben umwarfen. Genau das war passiert.
Jay erzählte schon länger von Austin und seinen Freunden und davon, was er von ihnen erfuhr. Im Gegensatz zu meinem Cousin wusste ich schon länger von der Existenz von Vampiren, doch ich hatte das nie richtig ernst genommen, da er Krieg schon vorbei gewesen war, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Die Blutspende stand für mich erst in einem Jahr an und bis dahin hatte ich eigentlich vorgehabt, in dem Glauben weiterzuleben, dass Vampire mit mir nichts zu tun hatten. Das konnte ich jetzt vergessen. Einer von ihnen war immerhin mein Vater.
Jay, Boris, Chad, Dale, Michael, Luzifer, Austin und ich waren vorhin in einen großen Kellerraum gegangen. Es war kalt hier unten, die Mauern waren aus rauem Gestein und der Boden einem dunklen Parkett, was für mich absolut nicht zusammen passte. Boris hatte es einen Trainingsraum genannt, in dem wir uns jetzt öfter aufhalten würden.
Michael hatte es als ersten Schritt festgesetzt, dass wir mit unserem Körper ins Reine kommen sollten, ihn kennenlernen, ihn verstehen, mit ihm interagieren. Sonst würde das mit unserem Geist nichts werden. Während die anderen es noch fleißig versuchten, hatte ich jede Übung von Michael mit Bravour bestanden und saß deshalb ein wenig außerhalb und beobachtete die Anderen. Austin setzte sich nach kurzer Zeit zu mir und sah den anderen ebenfalls zu.
Ich fühlte mich nicht unwohl in seiner Nähe, ganz und gar nicht, es war einfach neu. Zumindest hatte ich jetzt das, was ich immer wollte: Einen Vater. Auch, wenn das bewies, dass meine Mum mich mein Leben lang angelogen hatte, damit, dass er uns alleine gelassen hatte. Ich konnte und wollte einfach nicht glauben, dass so ein dummer Unfall zu Elijahs Tod geführt hatte. Dass ich wegen sowas ohne Vater aufwachsen musste. Mir war klar, dass Austin nicht Elijah war, allein, dass er nicht mehr so hieß, bewies das doch. Aber trotzdem fühlte ich eine Verbundenheit zu ihm, die seines gleichen suchte.
„Es ist irgendwie seltsam, oder?", fragte er mich schließlich und lächelte mich unsicher an.
„Was genau? Für mich ist das alles komplett neu. Ihr seid die ersten Vampire, mit denen ich Kontakt habe. Dass es sowas wie Jäger gibt, wusste ich nicht und dass ich eine von ihnen sein soll, ist sowieso der komplette brainfuck. Und dann noch das mit deinem Tod und, dass ich deine, also nicht deine... Elijahs Tochter bin... war... ach ich weiß nicht" Ich seufzte. Es war wirklich viel.
„Ich verstehe das", meinte er und sah mich so an, dass ich ihm nur glauben konnte. „Ich will dir keinen Druck machen oder so, aber wenn du nichts dagegen hast, würde ich dich gerne kennenlernen..."
Ich kam gar nicht dazu zu antworten, da er sofort schnell weiterredete.
„...Nicht als dein Vater, eher als ein Freund. Ich glaube, das wäre angebrachter"
Ich nickte sofort. Seine Idee gefiel mir und ich fand es auch angenehmer, wenn unser Verhältnis ganz zwanglos ablief. Noch ein überfürsorgliches Elternteil konnte ich nicht gebrauchen.
Wir unterhielten uns etwas und Austin brachte mich dabei oft zum Lachen. Irgendwann kam Michael zu uns und meinte zu Austin, er solle mich nicht ablenken. Außerdem meinte er zu mir, ich sollte mal darüber nachdenken, ob mir seit meinem 16. Geburtstag irgendetwas seltsames passiert war, das eine Kraft sein könnte. Meine Seele war zwar nicht vollständig rein, doch mein Herz sei rein genug, um eine Kraftausbildung zuzulassen. Mir fiel jedoch nichts ein. Ich war ein normales Mädchen, keine besonderen Fähigkeiten, Vorkommnisse oder Begabungen.
Dale kam zu uns, nachdem er mit Michael geredet hatte. Er lächelte mich an, setze sich vor mich und meinte, Michael hatte ihm gesagt, er sollte mir erzählen, wie das mit seiner Kraft ablief. Er erzählte mir von den Schmerzen, die er hatte, wenn Leute logen und dass es manchmal eine richtige Qual war, in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein. Nicht nur wenn Leute ihn direkt belogen, spürte er es, es reichte auch, wenn die Person einfach einen unehrlichen Charakter hatte. Seine Kraft faszinierte mich, doch wie er damit umging, noch mehr. Er ließ sich davon nicht beherrschen, sondern hatte sie gut in den Griff bekommen. Seine Eltern hatten ihm da gar keine andere Wahl gelassen.
Dale erzählte von einer Meditationsübung, die ihm sehr geholfen hatte. Er bat Austin darum, mich mit ihm alleine zu lassen, setzte sich schließlich in den Schneidersitz und bat mich, es auch zu tun. Schließlich hielt er mir seine Hände hin und lächelte mich dabei an. Ebenso lächelnd legte ich meine Hände in seine.
„Chad hat das früher oft mit mir gemacht, wenn ich meditiert habe. Jäger haben einen besonders starken Geist, daher auch die mentalen Kräfte. Wenn du ihn aber nicht im Griff hast, kann er sich schnell gegen dich wenden. Ich habe es einmal beinahe nicht mehr geschafft, aus einer Meditation herauszukommen und hatte seitdem Angst, es wieder zu tun. Chad hat sich so mit mir hingesetzt und meinte, er hält mich fest, er sei mein Anker für die Realität und er würde mir helfen, es immer wieder rauszuschaffen. Ich habe ihm vertraut und somit ein passendes Gleichgewicht zwischen der Außenwelt und der Welt in mir herstellen können. Ohne das wirst du zu deinem eigenen Feind..."
„Sag mal, willst du mir helfen oder Angst machen?", hakte ich nach.
Dale lachte leicht, seine Daumen strichen beruhigend über meine Handrücken. „Ich will einfach ehrlich zu dir sein"
Ich räusperte mich, da mir der Blickkontakt hier langsam zu intensiv wurde und sah Dale fragend an. „Was genau muss ich jetzt tun, um richtig zu meditieren?"
„Wir werden noch nicht in die richtige Meditation gehen, wir fangen damit an, dein Bewusstsein einfach ein wenig abzuschalten.", erklärte er. „Du spürst, dass ich dich festhalte, also kannst du dich einfach fallen lassen. Du machst die Augen zu" Ich hörte ihm zu, tat, was er sagte. Seine Stimmte klang angenehm und ich war mir sicher, dass er wusste, was er da tat, doch dennoch war es schwerer als gedacht, einfach loszulassen. Diese gemeinsame Meditation, dieses Festhalten basierte auf einer Vertrauensgrundlage, die ich zu Dale einfach nicht hatte. Ich kannte ihn ja gerade erst seit ein paar Stunden und obwohl ich mir sicher war, dass Jay in seinen Erzählungen ein wenig übertrieben hatte und Dale gar kein so schlechter Kerl war, war er dennoch nicht derjenige, bei dem ich mich einfach fallen lassen konnte.
Er bemerkte das natürlich auch und schlug mir vor, dass ich es gemeinsam mit Jay machen sollte, sobald er soweit war, da es für ihn genauso nützlich sein würde, auch wenn es nicht sein Ziel war, eine Kraft zu finden und zu kontrollieren, sondern seinen Geist und Körper so zu verbinden und zu verschließen, dass ein Engel keine Chance hatte, seinen Geist zurückzudrängen, um seinen Körper zu besetzen. Es war klar, dass sowas nicht von heute auf morgen funktionierte.
Wenn ich ehrlich war, war ich noch nie wirklich die ambitionierteste Person gewesen, doch bei dieser Sache weigerte ich mich aufzugeben. Deshalb stand Training von heute an auf meinem Tagesplan.
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Only We
Fantasy-Ich erkannte in seinem Blick, dass da noch so viel mehr war. So viel mehr, das er mir sagen und bewusst machen wollte, doch er stand einfach nur knapp vor mir und sah mich intensiv an, sodass es sich so anfühlte, als entfachte er ein wärmendes Lage...