82. Boris: Geheimgang

365 42 6
                                    

Obwohl Charlie mich provisorisch darüber aufgeklärt hatte, was es mit Eric auf sich hatte, war er nicht nur mir dennoch eine fette Erklärung schuldig. Ich hielt es für absurd, dass Charlie jetzt hier alles stehen und liegen lassen und sich in Gefahr bringen wollte, nur, weil dieser Typ hier aufgetaucht war und ihn vollgeheult hatte. Es ging hier immerhin um Charlies Gesundheit, um sein verdammtes Leben. Ich würde nicht zulassen, dass er das für jemanden riskierte, der das demzufolge, was ich bereits über ihn erfahren hatte, nicht ebenso tun würde.

„Meinetwegen gehe ich mit ihm, aber du bleibt gefälligst hier und ruhst dich aus, so wie dein Arzt das gesagt hat! Ich will nicht wieder um dein Leben bangen müssen, Charlie!"

„Boris, ich-"

„Keine Diskussion!" Ich verschränkte die Arme und sah ihn vielsagend an. Statt weiter zu versuchen, mich irgendwie zu überzeugen, hielt mein Mann nun endlich die Klappe und ließ den Kopf hängen. „Na gut. Aber haltet mich auf dem Laufenden"

Ich gab Eric ein Zeichen, dass er sich bewegen sollte, damit wir das schnell hinter uns bringen konnten und er kam auf mich zu, um an mir vorbei durch die Tür zu gehen. Gerade, als wir dabei waren, das Zimmer zu verlassen, hörten wir eine Stimme, die nicht zu Charlie gehörte und hielten inne.

„Hallo, Charlie, vielleicht erkennst du mich so nicht... Aber ich bins, Kyle. Ich bin gerade mit ein paar deiner Freunde im Vampirreich, das jetzt gerade von einigen Engeln angegriffen wird, weshalb der Schutzwall am Brechen ist. Victoria hat gesagt, du wüsstest, wie wir ihn erneuern können, also komm bitte schnell her. Wir brauchen deine Hilfe."

Wir alle sahen auf das blasse Abbild eines jungen Mannes mitten im Raum, der ohne Punkt und Komma redete, beinahe so als hätte er es aufgenommen und zu uns abgeschickt. Nachdem er fertig war, verblasste das Bild einfach wieder, als sei es niemals hier gewesen und Charlie sah mich aus großen Augen an.

„Ich habe gewusst, dass er dort ist!", freute Eric sich, ging zu Charlie und half ihm auf die Beine. Er wollte ihn stützen und so mitnehmen, aber ich war nach wie vor nicht überzeugt.

„Du bist schon zu schwach, um so zu laufen, wir können dich nicht mit in einen Kampf nehmen, verdammt!" Dabei sah ich vor allem Eric sauer an, da dieser sich kein Stück um Charlies Gesundheit scherte.

„Sag uns einfach, was wir tun sollen und bleib hier", damit wandte ich mich sanfter an Charlie.

Dieser schüttelte jedoch den Kopf und sah mich verzweifelt an. „Ich weiß doch, dass du Angst hast, Boris, mir geht es ja genauso, aber ich kann und will helfen und das nicht nur von der Ersatzbank aus"

Ich konnte ihn nicht überzeugen hier zu bleiben, das wurde mir klar. Am Ende stahl er sich noch raus, wenn ich mit Eric weg war und brachte sich so nur noch mehr in Gefahr. Ich seufzte also überanstrengt durch und beschloss, dass er mitdurfte, unter der Auflage, immer in meiner Nähe zu bleiben und sich nicht direkt in einen Kampf verwickeln zu lassen.

„Bevor wir ins Vampirreich gehen, machen wir einen Abstecher nachhause, um Waffen zu holen", beschloss ich, ließ dabei keinen Widerspruch zu.

Auf der Fahrt zu Oma, rief Charlie sie an und bereitete sie darauf vor, was wir geplant hatten. Sie war sofort Feuer und Flamme für die Aktion und versprach uns, die Waffen einsatzbereit zu machen, die wir bei ihr liegen hatten.

Dank Erics Hilfe, der sich so schnell bewegen konnte, dass man sogar Schwierigkeiten hatte, ihn wahrzunehmen, dauerte das Einräumen nicht lange. Ich nahm Oma das Versprechen ab, zuhause zu bleiben und auf Silas' Kinder aufzupassen und bat sie, sich nach Jay und Austin zu erkundigen. Sie solle Austin allerdings klarmachen, dass er lieber auf Jay aufpassen sollte als zu uns ins Vampirreich zu kommen. Wenn Engel auf die Erde wollten, war es immerhin nur eine Frage der Zeit, bis sie von Jay Besitz ergreifen wollten und das wäre mit Sicherheit das Ende für uns.

„Kannst du denn nicht schneller fahren?", maulte Eric mich von der Rückbank an.

„Hei, du kannst gerne aussteigen, wenn es dir nicht passt, Freundchen!", zickte ich zurück und tippte die Bremse kurz an, sodass er vor und wieder zurück geschleudert wurde. „Und schnall dich gefälligst an"

Erst, als ich das Klicken seines Gurtes hörte, trieb ich mein Auto zu Höchstleistungen an, hörte dabei noch, wie Charlie uns bat, uns nicht zu streiten. Klar plötzlich war er Pazifist.

Je näher wir dem Vampirreich kamen, desto dunkler wurde der Himmel seltsamerweise, beinahe so, als herrschte hier bereits tiefste Nacht. Durch den Wald fuhr ich langsamer, ließ das Auto ein Wenig von der Grenze entfernt stehen und Charlie und Eric verstanden auch wieso. Wir sahen immer wieder blaue Lichter durch die Luft schießen und an einer unsichtbaren Mauer abprallen. Das mussten die Engel sein, die versuchten, den Wall zu durchbrechen.

„Kommt mit", zischte Eric und winkte Charlie und mich mit sich. Wir liefen mit ihm ein ganzes Stück zurück, beinahe wieder zur Hauptstraße, doch stoppten dann bei einer kleinen Hütte, die Eric aufbrach und betrat. Schnell ging er auf den Tisch in der Mitte zu, schob ihn zur Seite, ebenso wie den Teppich darunter. Eine Luke offenbarte sich uns, die Eric öffnete. Eine Treppe führte nach unten, doch wirklich viel konnte ich nicht erkennen.

„Ich habe diesen Geheimgang immer benutzt, wenn ich mich von Kyle nachhause geschlichen habe, so müssen wir den Wall nicht durchqueren... Mir nach" Eric ging voran, ich schickte Charlie vor und folgte ihm dann, damit ich ihn im Auge behalten konnte.

Das alles war enorm anstrengend für ihn, aber ich wusste, dass er nicht zugeben würde, wenn er eine Pause brauchte, daher wollte ich das für ihn bestimmen, wenn nötig.

Hier unten war es kalt, feucht und dunkel. Ich nahm nur unseren Atem war, der durch den ganzen Flur zu hallen schien und versuchte, ganz ruhig zu bleiben und mir einzubilden, ich hätte die Augen geschlossen und sah deshalb nichts. Dabei kam es mir aber irgendwie so vor, als kämen die Wände, an denen ich mich seitlich abstützte, seitlich immer weiter auf uns zu. Meine Angst, ausgelöst durch die Enge und das Gefühl zu ersticken, wurde zu Panik und meine Panik nahm mir die Kraft, meine Emotionen zu kontrollieren.

Mit einem Keuchen stürzte ich plötzlich auf die Knie, als ein Bild vor meinem inneren Auge auftauchte. Silas, der an bestimmten Körperstellen grau zu sein schien, beinahe so als verwandle er sich zu Stein, kämpfte gegen Raphael; Michael brach Austin das Genick und erstach Briana; Jay ging – zu Fuß – auf Michael los; Dale...

Bevor ich mehr sehen konnte, fand ich geführt von Charlies Stimme und dem sanften Streichen seiner Daumen über meine Wangen in die Realität zurück, meine Atmung wurde regelmäßiger, mein Blick wieder tiefschwarz.

„Was ist los, Kleiner? Was hast du gesehen?" Charlie klang alamiert, besorgt.

Ich spürte die Flüssigkeit meine Wange hinablaufen, sah geradeaus einfach ins Leere und hauchte schockiert von den Bildern, im Versuch, sie zu verarbeiten: „Das Ende"

Only WeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt