48. Luzifer: Fortschritte

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Heute nahm ich mich beim Training etwas zurück und beobachtete die anderen. Im Inneren wollte ich mich so bereits verabschieden, da ich vorhatte, heute Abend meine Reise anzutreten. Michael war der Meinung, ich sei bereit dazu und seit er mir erzählt hatte, dass er nun ein Dämon war, zweifelte ich auch nicht mehr daran, dass die anderen ohne mich klarkommen würden, solange er bei ihnen war. Ich wusste nicht sehr viel darüber, doch meiner Logik folgend war Michael als Dämon um einiges stärker als er es als Erzengel jemals sein konnte. Er konnte nun eigenständige Entscheidungen treffen, sich weiterentwickeln, hatte neue, bessere Kräfte. Er wurde nicht mehr von Vater kleingehalten, da dieser panische Angst davor hatte, ein Wesen im Universum würde seine Macht übersteigen.

Briana hatte ihre Kraft bereits sehr gut im Griff. Sie konnte, wenn sie jemandem lange genug in die Augen sah, sehen, was sich diese Person am meisten wünschte. Ich fand es auch gut, dass sie das dann nicht herumposaunte, sondern für sich behielt, ganz diskret. Jedoch war Michael davon überzeugt, dass sie noch viel mehr konnte und drängte sie deshalb dazu, immer weiter zu trainieren.

Jay konnte sich mittlerweile gut gegen Engel abschotten. Ich hatte ein paar Mal versucht, Besitz von seinem Körper zu ergreifen, auch, als er nicht damit gerechnet hatte. Er hatte es war nicht geschafft, eine Mauer zu bilden, an der ich anprallte, doch er hatte jeden Kampf um seinen Körper gewonnen, wenn ich es nicht weiter versucht hatte. Er brauchte noch viel Übung, doch er war meiner Meinung nach auf einem guten Weg und würde den Rest auch ohne mich zum Testen schaffen.

Boris arbeitete fleißig an der Aufgabe, bewusst Visionen hervorzurufen und, was er dann sah so zu verändern, wie er es wollte. Bisher hatte er es noch nicht hinbekommen, doch obwohl es ihn körperlich und geistig fertigmachte, versuchte er es immer weiter. Boris war hartnäckig, vor allem, wenn es darum ging, seine Freunde zu beschützen. Ich war mir sicher, auch er war seiner Aufgabe gewachsen.

Dale war erst frisch wieder ins Training eingestiegen. Er war oft noch nicht ganz bei der Sache, doch seitdem Michael ihm gesagt hatte, dass er sich nicht darauf konzentrieren sollte, Lügen herauszufiltern, sondern die Wahrheit zu erfahren, hatte Dale etwas, woran er arbeiten konnte und es schien ihm auch etwas zu helfen.

Chester konnte Kräfte nun kopieren und für einige Zeit in sich tragen, sie anwenden und auf andere übertragen. Das hielt nie lange an, doch es hatte bereits ein paar Mal für Chaos gesorgt. Jedoch funktionierte das nur bei Jägerkräften. Vampirattribute hatte er bisher noch nicht kopieren können, doch ich war mir sicher, auch das würde er noch erlernen. Michael war der Meinung, Chester konnte noch sehr viel mehr, doch er wollte ihn nicht überfordern und auch ich fand es besser, ihm diese Welt eher kleinschrittig näherzubringen.

Ich wusste, meine Freunde konnten auf sich aufpassen, doch trotzdem wollte ein Teil von mir sie einfach nicht zurücklassen. Wenn ich jedoch eine Hilfe sein wollte, dann musste ich gehen. Außerdem ging es nicht nur darum. Ich wollte auch gehen. Ich wollte mein Licht finden, ich wollte diesen verborgenen Teil von mir spüren, der mich angeblich so besonders machte. Ich wollte mich selbst finden, aber das konnte ich nur allein.

Doch jetzt, für den Moment, wollte ich nicht daran denken, dass ich bald weg sein würde. Ich konzentrierte mich auf das Hier und Jetzt. Darauf, dass Michael eigentlich mit Briana kämpfen sollte, doch er sie jedes Mal, statt anzugreifen, umarmte, bis sie sich beschwerte, auf seinem Rücken oder seiner Brust herumtrommelte und er sie grinsend wieder losließ. Mein Bruder war so ein verknallter Vollidiot, aber nach dem, was ich erfahren hatte, fand ich das irgendwie gut. Michael war zu einem Dämon geworden, da er sich selbst für seine Taten so verabscheute. Ihm zu verzeihen war ehrlich gesagt leichter gesagt als getan. Natürlich wusste ich, dass er nichts dafürkonnte. Ich wusste, dass er es bereute. Aber obwohl wir uns wieder gut verstanden und ich meine Flügel für ihn ins Feuer legen würde, waren da dennoch Erinnerungen in meinem Kopf, Erinnerungen an Billionen von Jahren, in denen ich ihm Rache geschworen hatte. Es war nicht leicht, das alles zu vergessen. Könnte ich einfach einen Schalter umlegen, der dies ungeschehen machte, würde ich es tun. Das hätte Michael, der Welt und mir viel erspart, doch dieser Schalter existierte leider nicht. Es würde also dauern, bis ich meinem Bruder vollständig vergeben hatte. Jedoch zweifelte ich daran, dass es meine Vergebung war, die Michael wieder zu einem Engel machen würde. Ich war der Überzeugung, in erster Linie hing es davon ab, dass er sich selbst verzeihen musste. Das war seine Aufgabe, seine Verantwortung.

„Hei, ist alles okay bei dir?"

Ich blinzelte schnell und sah etwas verwirrt zu Chester, der sich vor mich gestellt hatte und mich besorgt ansah, während seine Hand über meinen Oberarm strich.

Ich nickte leicht, lächelte dabei. „Es ist alles in Ordnung. Gerade ist alles ruhig. Ihr entwickelt euch gut, ihr seid im Moment sicher, vor allem unter Michaels Schutz. Es wird Zeit für mich zu gehen"

Chester schluckte hart, sein Blick veränderte sich. „Bist du dir sicher? Einfach so?"

„Nein, nicht einfach so" Ich schmunzelte, als ich bemerkte, dass er mich überzeugen wollte, hier zu bleiben. „Wir wussten schon länger, dass es bald soweit sein wird. Ich halte den Zeitpunkt jetzt für passend. Ich bin bereit."

Chester seufzte, doch ich sah in seinen Augen, dass er verstand. „Na gut. Aber du gehst nicht, ohne eine würdige Verabschiedung"

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