12. Chad: "Familie"

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Zugegebenermaßen nervös stand ich vor dem Vampirkönig und seiner Frau, während mich beide eingehend musterten. Raphael war etwas abseits, nachdem er erklärt hatte, wer ich war. Außer uns waren noch zwei Wachposten im Raum, doch für die interessierte sich eigentlich keiner. Ich stand im Mittelpunkt und ich hasste es. Ich war es gewohnt, der unbedeutende Normalo zu sein. Das passte auch zu mir, ich war das gern. Doch jetzt gerade kam ich mir alles andere als normal vor.

„Er riecht nicht wie ein Vampir", stellte Benedikt nach einer Zeit der Musterung fest und sah zu Raphael, als könnte dieser ihm sagen, wieso.

Er nickte. „Ich finde, er riecht eher nach Jäger... Nicht so wie die anderen, aber es ist ähnlich"

Diesmal nickte Benedikt und sah mich wieder an. „Welches Blut trinkst du?"

Ich schluckte einmal heftig, doch schaffte es, seinem Blick Stand zu halten. Ich war nun einer von ihnen, sie würden mir nichts tun. „Engelsblut"

Benedikt und seine Frau setzten sich sofort aufrechter hin, als sie das hörten und auch von Raphael vernahm ich einen gewissen Schock.

Wir alle wussten, von welchem Engel ich sprach, da es gerade nur einen gab, der sich auf der Erde befand. Über alles, was damit zu tun hatte, hatte Raphael seine Eltern bereits detailliert aufgeklärt. Sie hatten sich weniger über die Existenz von Engeln gewundert als über die Tatsache, dass Luzifer wohl einer war. Da waren sie ja aber nicht die einzigen.

„Welche Kraft hast du?", wollte Benedikt weiterwissen. Er schien sehr gespannt zu sein und war daher sehr enttäuscht, als ich ihm erklärte, dass ich bisher noch keine festgestellt hatte.

Er beauftragte uns damit, auf jede Kleinigkeit zu achten, die eine Kraftausprägung sein könnte und hieß mich schließlich als Vampir in der „Familie" willkommen. Er versprach mir, herauszufinden, was an mir anders war und ritzte mir ein Zeichen auf das Schlüsselbein. Er nannte es das Königsmal, das mich von nun an unter seinen besonderen Schutz stellte. Hauptsächlich war es wohl dazu da, um anderen Vampiren klarzumachen, dass ich einer von ihnen war. Ich stellte fest, dass Benedikt sich um mich zu sorgen schien. Er meinte das mit „Familie" wirklich ernst. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte, es war komplett neu für mich, willkommen zu sein, gewollt zu sein, umsorgt zu werden. Es gefiel mir. Es ließ mich weniger wertlos fühlen, weniger einsam.

Nachdem auch Victoria klargestellt hatte, dass ich hier jederzeit willkommen war und das Königpaar Raphael aufgetragen hatte, ein Auge auf mich zu haben, verabschiedeten wir uns.

Es war still auf es dem Weg und Raphael schien es zu stören, dass ich nicht so schnell rennen konnte wie er. Aber da konnte ich ja auch nichts für.

„Darf ich dich was fragen?" Das lag mir schon die ganze Zeit auf der Zunge, doch nun hatten wir ja genügend Zeit, darüber zu reden, immerhin mussten wir erstmal eine Weile durch den Wald spazieren, ehe wir wieder eine Zivilisation erreichen würden.

„Ich kann dich schlecht dafür umbringen. Ob ich antworte, ist die andere Frage"

Ich wusste, Raphael hatte nichts gegen mich persönlich. Seine Abneigung mir gegenüber musste wohl daher rühren, dass ich mit Luzifer aufgetaucht war. Er traute ihm nicht, egal, was Boris sagte.

„Wieso heißt du Raphael? Ich dachte, du bist Prinz Kian..."

Er atmete tief durch. „Das dachte ich auch lange... Es ist so, dass meine Eltern nicht wirklich meine Eltern sind. Ich bin der Sohn eines Vampirs und einer Jägerin. Sie hat Tagebücher hinterlassen, in denen sie von ihrem ungeborenen Sohn als Engel spricht, als Raphael. Sie liebte ihr Kind... mich. Sie hat den Retter der Welt in mir gesehen" Raphael lachte leicht darüber. Er schüttelte den Kopf, doch wirkte so, als mache es ihn dennoch irgendwie glücklich. „Raphael verkörpert alles Gute, das meine leibliche Mutter in mir gesehen hat. Das, wofür sie gestorben ist. Das soll nicht umsonst gewesen sein" Entschlossen sah er mich an.

Zwar schockte es mich leicht, was er da erzählte, doch ich konnte nachvollziehen, wie er empfand. Nur hätte ich niemals geglaubt, dass einer der Vampire, auf die es meine Familie am meisten abgesehen hatte, auch zur Hälfte Jäger war.

„Was ist deine Kraft?", fragte ich weiter.

Er warf mir einen kurzen, abschätzigen Blick zu, doch schien zu erkennen, dass ich einfach nur versuchte zu verstehen. Ihn, unsere Welt, mich.

„Körperlich habe ich die Kräfte eines herkömmlichen Vampirs, das bedeutet: Krallen, Fangzähne, Gehör-, Geruchssinn und alles was dazugehört... Außerdem kann ich Personen dazu zwingen zu tun, was ich will. Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert. Vor allem, wenn ich wütend bin, ist dann eher unkontrolliert. Am besten funktioniert es, wenn Silas bei mir ist. Ich schätze, das ist der Jägeranteil in mir"

Ich nickte verstehend, doch überlegte zugleich weiter. „Ich bin ein Vampir, der Engelsblut trinkt und riecht wie ein Jäger... Wozu macht mich das?"

Raphael schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, Chad. Und wenn ich ehrlich bin, macht es mir ziemlich Angst. Die Welt muss ziemlich im Arsch gewesen sein, wenn ich es in der Zukunft für nötig gehalten habe, den Teufel zu beschwören und uns mit ihm zu verbünden. Luzifer sagt, jetzt wird alles nur noch schlimmer, doch ich frage mich, wie das gehen soll... Es ist alles so ruhig, friedlich..."

Mein Schnauben ließ Raphael verstummen. „Für die Jäger war der Krieg niemals vorbei, Raphael. Sie suchen nach Möglichkeiten, stärker zu werden und deine gesamte Rasse auszulöschen. Ich weiß nicht was sie genau tun und ich weiß auch nicht wie erfolgreich sie damit sind, aber ich weiß, dass man sie nicht unterschätzen sollte. Sie halten sich für Gesandte der Engel, doch sie sind kaltblütig und grausam... Sie würden vor nichts Halt machen"

Mein Begleiter wirkte etwas verwirrt. „Das ist noch so eine Sache, die mich wundert. Charlie war bisher der einzige Vampir, den ich kannte, der sich an sein Leben als Mensch erinnert hat. Wieso kannst du es auch? Wir wissen gerade rein gar nichts. Ich habe das Gefühl, wir ziehen blind, taub und hilflos in einen Krieg und ich bin mir sicher, dass wir ihn so definitiv nicht gewinnen werden."

Raphael und ich unterhielten uns den Weg über weiter, wir stellen uns Fragen und teilten miteinander, was uns verwirrte und in dieser Zeit beängstigte. Es tat gut, einfach mal alles rauszulassen und zu erfahren, dass es jemandem ähnlich ging wie mir. Raphael und ich würden sicherlich nicht die besten Freunde werden, doch seine anfängliche Abneigung mir gegenüber schien stetig zu schrumpfen und auch ich stellte fest, dass man sich in seiner Nähe wohlfühlen konnte.

Als wir in seinem Haus ankamen, verschwand er ziemlich schnell nach oben. Ich wollte ebenfalls in das Zimmer, das nun mir gehörte, doch sah Luzifer am Tisch sitzen, als ich ins Esszimmer spähte und wollte mich nach Anni erkundigen.

Er erzählte mir, dass es ihr nicht sehr gut ging, doch sie ihr Leben nach wie vor auf die Reihe bekam. Er meinte, sie eine starke Frau und er war sich sicher, sie würde es ohne mich schaffen.

„Du kannst nach vorne sehen, Chester. Sie tut es auch", sagte er zu mir, sah mich dabei eindringlich an und legte die Hand auf meine.

Ich wusste nicht, was es genau war: Der Klang seiner Stimmte, seine Art, mich anzusehen oder einfach das Gefühl in mir, doch ich wusste, dass Luzifer gerade alles andere als ehrlich zu mir war.

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