43. Austin: Fehler

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„Ich würde dich gerne hassen"

Dieser Satz ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Was sollte das denn bedeuten?!

Jay hatte so erschöpft dabei gewirkt, als er ihn ausgesprochen hatte, aber auch so ehrlich wie nie zuvor. Er widersprach seinen Aussagen darüber, dass er mich hasste dadurch selbst, aber für mich bewies das auch, dass er sich, selbst wenn er etwas für mich empfinden sollte, dagegen wehren würde, komme was da wolle.

Ich verstand langsam einfach nicht mehr, warum er es sich selbst so schwer machte. War ich wirklich so schlimm, dass man sich mit allem, was man hatte, gegen seine Gefühle für mich wehren musste? Was hatte ich Jay getan, das ihn dazu veranlasste, sich so anzustellen? Gestern hatte sich immerhin bewiesen, dass er sich um mich sorgte. Ich hatte mich so wohl dabei gefühlt, von ihm umsorgt zu werden, dabei zu wissen, dass ich ihm nicht völlig egal war. Was sollte ich denn tun, um ihm zu beweisen, dass ich es wert war, dass er sich darauf einließ?

Die ganze Nacht über dachte ich darüber nach. Morgen würde ich Jay wiedersehen. Vielleicht bekam ich ja eine Gelegenheit, mit ihm zu kämpfen und ihm irgendwie nahe zu kommen. Natürlich waren mir Umarmungen und Küsse lieber, aber ich nahm in diesem Zustand alles, was ich kriegen konnte.

Morgens ging ich, in Gedanken nach wie vor bei Jay, runter, um mir einen Blutshake zu machen. Dabei traf ich Briana im Esszimmer an, die offensichtlich hier übernachtet haben musste, was mich etwas verwirrte. „Oh, hi Kleines"

„Hei Dad" Briana grinste mich an, aber ich verdrehte nur ebenso grinsend die Augen. Wir wussten beide, dass ich niemals ein richtiger Vater für sie sein würde, ich wusste ja nicht mal wie das funktionierte, aber statt es uns unnötig schwer zu machen, machten wir uns einen Spaß daraus.

„Sag mal, was hältst du davon, wenn ich deine Mum kennenlerne?" Ich setzte mich mit meinem Blutshake zu ihr und sah sie neugierig an.

Sie zuckte mit den Schultern und nickte. „Wenn du das willst, kann ich das gerne arrangieren. Dann können wir sie zu zweit zur Rede stellen, warum sie gelogen hat."

„Ist das nicht offensichtlich?" Chad mischte sich ein „Ihr Bruder und ihre beste Freundin haben den Vater ihrer ungeborenen Tochter umgebracht. Also ich verstehe, warum sie es verheimlicht hat. Und ob sie dir jetzt erzählt, dass er tot ist oder einfach weg und nicht wiederkommt, macht doch keinen großen Unterschied. Es wird bestimmt ohnehin sehr viel für deine Mum sein, mit Austin an einem Tisch zu sitzen. Du musst es ihr doch nicht absichtlich schwermachen."

Briana musterte Chad kurz, seufzte dann schwer und nickte. „Wahrscheinlich hast du recht"

„Außerdem hätte ich gerne Frieden mit deiner Familie", setzte ich hinzu. Briana grinste mich anzüglich an. „Meinetwegen oder wegen Jay?"

Ich fasste mir ertappt in den Nacken, schmunzelte dabei und zuckte mit den Schultern. Briana lachte bloß.

„Seid ihr dann bald fertig?" Plötzlich stand Michael im Raum und sah uns auffordernd an. „Die Apokalypse wird nicht warten, bis ihr fertig gefrühstückt habt" Sein finsterer Blick lag dabei ausschließlich auf Briana, sodass sie einen großen Bissen unzerkaut runterschluckte wegen ihrer Überraschung.

„In zehn Minuten im Kellerraum!" Nach dieser letzten Ansage ging Michael wieder und ließ uns verwirrt zurück.

„Was zur Hölle?", murmelte Briana nur, räumte ihren Teller weg und rannte die Treppen hoch, um sich fertig zu machen.

Alle anderen nahmen das „In zehn Minuten", sehr genau, sodass ich alleine mit Michael war, da ich bereits früher runtergegangen war.

„Was ist los mit dir? Gestern warst du noch total entspannt? Und was war das gerade mit Briana?"

Michael drehte sich seufzend zu mir. „Mir macht das ja auch keinen Spaß, aber es ist besser so für sie"

„Wie meinst du das?" Verwirrt sah ich ihn an.

„Ich bin gefährlich und ich will sie da nicht mit reinziehen..."

Meine Augen kniffen sich zusammen, als er mich so schuldbewusst ansah. „Wieso klingt das so für mich, als hättest du sie längst mitreingezogen?"

Er antwortete nicht, sondern wich meinem Blick aus.

„Michael!" Drohend ging ich einen Schritt auf ihn zu.

„Wir hatten was zusammen letzte Nacht, okay? Aber es war ein Fehler..." Er schüttelte den Kopf, so als wolle er seine eigene Aussage verneinen. Man sah ihm an, dass er es hasste, das zu sagen, aber auch, dass er daran glaubte.

„Wieso kannst du ihr das nicht normal sagen, statt dich so aufzuführen?"

Michael sah mich verzweifelt an. „Ich kann sie doch nicht mal ansehen ohne sie in den Arm nehmen zu wollen. Und wenn wir diskutieren, redet sie mich in Grund und Boden. Ich will nicht Gefahr laufen, ihr etwas zu verraten, das sie nicht wissen darf..."

„Wovor hast du Angst?", fragte ich ihn ruhig, stand dadurch komplett im Kontrast zu dem Gefühlstornado, der offensichtlich gerade in seinem Inneren herrschte.

„Ich will sie nicht verlieren", murmelte Michael, sah mich dabei verzweifelt an.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Und dafür gehst du so mit ihr um? Finde lieber einen anderen Weg, einen, die sie nicht verletzt"

Michael nickte stumm, aber bevor wir weiterreden konnten, kamen Raphael und Silas in den Raum geschlendert und das vertraute Gespräch zwischen Michael und mir nahm ein schnelles Ende.

Mit Boris kam ein paar Minuten später auch Jay durch die Tür. Ich lächelte ihn an, doch er drehte bloß schnaubend den Kopf weg und ließ einen Stich in meinem Herzen zurück. Jedes Mal, wenn er so abweisend zu mir war, war es, als hämmerte er einen weiteren Nagel in mein Herz, der sich einfach zu den vielen anderen vor ihm gesellte und es langsam aber sicher verbluten ließ. Vor allem, da einzelne Blicke von ihm dafür, sorgten, dass mein Herz immer weiterschlug, egal, wie weh dies auch tat. Ich wusste nicht, wie lange ich es noch aushalten würde, in Jays Nähe zu sein, immer wieder von ihm gestoßen und wieder angezogen zu werden. Aber ich weigerte mich aufzugeben. Vielleicht wehrte er sich noch, aber ich wusste ganz genau, dass er exakt das war, wonach ich die letzten Jahre gesucht hatte.

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