55. Silas: Kekse

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„Kekse?" Oma hielt uns lächelnd einen Teller hin, so voll beladen mit Gebäck, dass ich mir sicher war, sie hatte auf dem Weg von der Küche hierher eine Spur gelegt wie Hänsel im Wald.

Briana sah Oma ungläubig an. Ich verstand diese Reaktion. Es war absurd, dass Oma Kekse gebacken hatte, nachdem wir ihr von Boris' Entführung erzählt hatten und in den Keller verschwunden waren, um uns mit Waffen einzudecken. Während ich mich bewaffnete und wir einen Plan ausheckten, schien es Omas Art zu sein, mit dem Schock zu gehen, zu backen und uns zu bemuttern. So lieb das auch von ihr war, es störte. Ich bat sie also möglichst einfühlsam, uns alleine zu lassen. Natürlich war es nicht nett. Es musste so rüberkommen, als hielt ich sie hier für überflüssig. Das tat ich nicht, nur gerade war sie eben auch nicht wirklich hilfreich, denn Kekse würden unsere Freunde nicht befreien.

Während ich mich mit Waffen eindeckte und auch Raphael und Charlie nach etwas suchten, dass sie zusätzlich zu den Krallen gebrauchen konnten, hatte Michael Abstand zu uns genommen, um anhand der Energien unserer Freunde herauszufinden, wo genau sie sich befanden. Es war schwer, da machtvolle Seelen ihn nicht anzogen, doch er meinte, es half bereits, dass er es auf einen umliegenden Wald einschränken konnte.

Wir hatten beschlossen, dass Briana noch nicht so weit war, direkt an der Befreiungsaktion teilzunehmen. Zwar brauchten wir jede Hilfe, die wir kriegen konnten, doch sie war einfach noch zu unerfahren im Kampf. Es waren also nur Michael, Charlie, Raphael und ich gegen eine unbestimmte Anzahl von Jägern.

Ich hatte bereits versucht, Boris gedanklich zu erreichen, doch es funktionierte nicht. Ich konnte mir das nur damit erklären, dass er sehr aufgebracht sein musste und sich somit unterbewusst abschottete. Es besorgte mich, da Boris trotz seiner Alpträume und Erlebnisse immer der ausgeglichenste Mensch gewesen war, den ich kannte, wenn es um den Zugang zu seinen Gedanken ging. Natürlich war er temperamentvoll und impulsiv, doch sein Innerstes war für mich immer ein offenes Buch gewesen. Um die anderen zu erreichen, war meine Verbindung zu ihnen allgemein einfach zu gering. Michael blieb also unsere einzige Chance, herauszufinden, wo wir hinmussten. Bis dahin hieß es für uns abwarten.

Nachdem ich mich mit Waffen versorgt hatte und uns keine andere Wahl blieb als zu warten, bis Michael Ergebnisse lieferte, nahm Raphael mich zur Seite, um unter vier Augen mit mir zu sprechen. Sein Blick war besorgt, seine Stimme gesenkt.

„Bist du dir sicher, dass du dir das zutraust? Das wird wahrscheinlich sehr unschön werden..."

Ich schätzte seine Sorge um mein Wohlbefinden, doch wir mussten meiner Meinung nach nicht so tun, als wäre das die erste kack Situation, in der wir uns befanden.

„So unschön wie der Kampf gegen William, als Charlie ihm vor unseren Augen den Kopf abgerissen hat? So unschön wie, als Charlie Henry das Herz rausgerissen hat? So unschön wie mitanzusehen, wie du meinem Erzeuger das Genick brichst, ohne ihn auch nur anzufassen?"

Raphael schüttelte den Kopf. „Diesmal ist es anders, Silas. Wenn du mitkommst, kannst du nicht nur zusehen. Du wirst handeln müssen. Menschen wehtun. Eventuell Menschen umbringen. Bist du bereit dazu?"

„Ich habe dich umgebracht", erinnerte ich ihn, doch mein Verlobter schüttelte sofort den Kopf. „Das warst nicht wirklich du." Er seufzte schwer, sah mich eindringlich an, als sein Daumen über meine Wange strich. „Du bist zu gut dafür..."

Er sagte das, weil er mich liebte, natürlich war mir das bewusst. Doch es änderte nichts daran, dass ich mich davon angegriffen fühlte. Ich schob seine Hand weg und funkelte ihn aufgebracht an.

„Also soll ich mich entspannt zurücklehnen, während ihr euch die Hände schmutzig macht? Es geht hier auch um meine Freunde, Raphael. Um meinen Cousin. Egal, was du sagst, ich werde nicht hierbleiben und nichts tun"

Mein Verlobter biss die Zähne zusammen, doch er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass Diskussionen nun keinen Sinn machten. „Gut. Aber bleib in meiner Nähe... Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas passiert" Letzteres setzte er leiser hinzu.

Ich seufzte und umarmte ihn. Er flüsterte mir dabei ins Ohr, dass wir dringend darüber reden mussten, wie es weiterging, sobald wir alle in Sicherheit waren. Ohne zu wissen, was er meinte, stimmte ich zu, da es genau das war, was er gerade brauchte.

Kurz, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, trampelte Michael die Kellertreppen runter und verkündete, worauf wir alle angespannt gewartet hatten: „Ich hab sie"

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