11. Luzifer: Betrug

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Nachdem ich gesehen hatte, wie die Welt zusammengebrochen war, hatte ich irgendwie einfach auf funktionieren umgestellt. Jetzt, als ich einen Moment Ruhe hatte und für mich allein war, legte sich dieser Schalter wieder auf fühlen und ich fand es schrecklich.

Ich spürte, was ich verloren hatte, so intensiv, dass ich das Gefühl hatte, in mir würde alles zerbrechen. Meine Liebe war bedeutungslos geworden, da sie niemals existieren würde, zumindest nicht für alle anderen außer mir. Es tat so weh, mehr als jede Abweisung, die ich schon von Chester erfahren hatte, mehr als jede Strafe in der Hölle, mehr als mein Höllensturz. Es gab nichts Schlimmeres als diese Emotionen, die ich gerade empfand. Vermutlich verschlimmerte die Tatsache, dass ich Billionen von Jahren quasi nichts gefühlt hatte außer dem Bedürfnis nach Rache, meine jetzige Situation enorm. Ich litt, doch ich wusste, wenn ich mich dem hingab, wenn ich aufgab, dann hatte die Welt keine Chance. Die Menschen brauchten mich, Chester brauchte mich, selbst, wenn sie das nicht wussten. Ich riss mich also zusammen und versuchte, mich auf das Wichtige zu konzentrieren. Diese Gefühle taten doch nichts anderes als mein Urteilsvermögen zu trüben und mir die Konzentration zu nehmen. Beides brauchte ich jedoch.

Am nächsten Morgen machte ich mich bereits früh auf den Weg, um nach Anni zu sehen, damit wir den Tag danach mit etwas Sinnvollem verbringen konnten. Ich verstand Chesters Intention, immerhin hatte ich, als ich im Himmel gewesen war, auch ständig nach ihm gesehen, doch diese paradoxe Situation tat einfach nur weh.

Chester liebte diese Frau. In der Zukunft hatte er mich für sie verlassen. Dass er dies getan hatte, weil ich ohnehin ins Nichts gekommen wäre, da er nicht daran geglaubt hatte, dass seine Gefühle für mich stark genug waren, um diese eine wahre Liebe zu sein, die meinen Fluch brechen konnte, tat nichts zur Sache.

Ich hoffte einfach, dass Chester sich auf das Wichtige besinnen würde, sobald er wusste, dass Anni seinen Tod überwinden konnte. Ich hätte niemals geglaubt, dass das absolut nicht der Fall war.

Ich wusste, dass sie in einem Café arbeitete, da sie ihren Durchbruch im Schauspielern und Modeln erst Jahre später haben würde, daher wollte ich mich dort einfach als Kunde ausgeben und mal sehen, wie es ihr so erging. Zur Not konnte ich immer noch behaupten, ich sei ein Kollege von Chester gewesen und wollte mit ihr über ihn quatschen.

Ich betrat das Café und setzte mich an einen Tisch nicht weit weg von der Theke. Es waren viele Leute da, die sich wohl ihren morgendlichen coffee to go holten und eilig wieder verschwanden. Nach einer Weile nahm die Anzahl dieser Menschen ein wenig ab und die Kellner kümmerten sich richtig um die Kunden an den Tischen. Ich hatte schon zwei Kellner weggeschickt mit den Worten, ich wüsste noch nicht, was ich wollte. In Wahrheit hoffte ich darauf, dass Anni den Job übernehmen würde.

Das tat sie nicht, denn sie war mit etwas Anderem beschäftigt, als ein junger Mann das Café betrat und sie bat, mit ihr sprechen zu können. Sie zog ihn etwas abseits, doch ich erkannte an ihren Lippen, was sie sagten.

„Hör zu, ich denke, du solltest erstmal richtig über deinen Freund hinwegkommen, bevor das mit uns anfangen kann", begann der Mann.

Anni schüttelte den Kopf und stellte sich näher an ihn heran. „Das mit uns lief doch schon vor Chads Tod..."

„Ja, aber jetzt weiß ich nicht, ob du mich wirklich willst, weil du mich liebst oder nur, um über ihn hinweg zu kommen... Ich kann gerne als Freund für dich da sein, Anni, aber ich will nicht schon mit Zweifel in eine Beziehung mit dir starten..."

„Aber für eine Affäre hat es gereicht?" Anni nahm wieder etwas Abstand zu ihm, sie wirkte verletzt.

„Es hätte keine Affäre sein müssen, hättest du ihn verlassen"

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