59. Raphael: Plan

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„Die Medien berichten von einem Akt des Terrors was unsere Entführung angeht", teilte Boris mit und sah aus großen Augen von seinem Handy auf.

Ich nickte zufrieden: „Gut"

Vor ein paar Tagen hatten wir meinen Plan ausgeführt, seitdem lief nichts mehr wie es vorher war. Genau das war mein Ziel gewesen. Um dem Krieg ein Ende zu setzen, hatten sich Menschen und Vampire darauf geeinigt, dass sie friedlich untereinander leben wollten, im gegenseitigen Schutz des anderen. Es war also auch Aufgabe der menschlichen Institution Polizei dafür zu sorgen, dass Vampire sicher waren, daher hatten wir Anzeige erstattet und die Geschehnisse in den Medien verbreitet. Natürlich hatte das für Aufruhr gesorgt. Durch diese Aktion polarisierten wir, doch wir zeigten auch deutlich, dass wir uns nicht über die Menschen stellten, sondern uns auf gleicher Ebene sahen. Wir brauchten ihren Schutz genauso wie sie unseren, vielleicht nicht um zu überleben, aber um den Frieden beizubehalten. Durch diese Aktion wollte ich zeigen, dass es nicht unsere Absicht war zu kämpfen, sondern, dass wir normal unter den Menschen leben wollten und dass wir das auch wert waren.

Die Menschen standen dem gespalten gegenüber. Die einen hielten es für lächerlich, dass wir Anzeige erstatten, machten sich darüber lustig, beschwerten sich darüber. Sie verglichen es mit einem erwachsenen Mann, der ein Kind anzeigte, das ihm auf den Fuß getreten war. Diese Leute verstanden rein gar nichts. Die Jäger waren uns nicht bloß auf den Fuß getreten, sie hatten uns gejagt, entführt, gefoltert und sogar umgebracht. Zudem waren sie keine kleinen, ahnungslosen Kinder. Die meisten von ihnen waren erwachsene, mündige Menschen, die genau wussten, was sie da taten. Das hieß, sie konnten für ihre Verbrechen belangt werden.

Es gab auch Leute, die nichts von dem glaubten, was wir berichtet hatten. Für sie gab es keine Jäger und ihre Straftaten hatten auch niemals stattgefunden. Die waren der Meinung, wir behaupteten das nur, um eine Rechtfertigung für einen erneuten Krieg zu haben. Wies man sie aber darauf hin, dass wir die Menschen wegen ihres Blutes zum Überleben brauchten und ein Krieg daher aus unserem Blickwinkel wenig Sinn machte, hielten viele von ihnen die Klappe. Es gab auch einzelne, die dann ausführten, wir sahen eine Zukunft vor, in der die Menschen unsere Blutsklaven waren und all solche Fantasyroman-Geschichten, doch diese nahm glücklicherweise keiner wirklich ernst.

Die Gruppierung, der die meisten Menschen angehörten, war allerdings anders gestrickt. Nachdem die Geschehnisse mittags über die Medien verbreitet worden waren, hatten sich bereits am Abend tausende von Leuten zusammengefunden, um gegen Gewalt gegenüber Vampiren zu demonstrieren. Es wurden Reden gehalten von Männern und Frauen, die im Kampf von Vampiren verschont worden waren, Menschen berichteten von ihrem Umgang mit Vampiren, eine alte Frau erzählte, dass sie sich, seit ein Vampir neben ihr wohnte, sicher fühlte, da er bereits einen Einbruch in ihrem Haus verhindert und ihr mehrmals geholfen hatte. Diese Geschichten berührten, sie halfen das Bild, das diejenigen, die bisher noch keinen Kontakt zu Vampiren gehabt hatten (oder es nicht gewusst hatten, da man es uns ja nicht ansehen konnte), zur Wahrheit zu verändern.

Seitdem gingen Menschen und Vampire täglich zusammen auf die Straße, um ihren Zusammenhalt zu zeigen und machten der Polizei somit genug Druck, um in unserem Fall zu ermitteln. Das Ganze geschah so schnell, dass Dales Familie nicht in der Lage gewesen war, alle Beweismittel beiseite zu räumen. Alle, die im Haus anwesend gewesen waren, als die Polizei es durchsucht hatte, und von uns als Täter genannt worden waren, waren festgenommen worden und befanden sich seitdem in Untersuchungshaft.

Es waren Waffen und Jägerschriften sichergestellt worden. Silas und ich gingen täglich zur Polizei, um sie für sie zu übersetzen. Dabei musste ich mich aber sehr zurückhalten, da nach wie vor keiner erfahren sollte, dass ich auch zum Teil Jäger war. Gerade war so ziemlich alles in unserer Welt schwarz und weiß und die Menschen waren schon davon überfordert. Ich konnte jetzt nicht noch tonnenweise grau darüberkippen, indem ich mitteilte, was ich war. Sowohl die Menschen als auch die Vampire waren alles andere als bereit dazu.

Ich war mehr als zufrieden mit dem Verlauf der letzten Tage. Es sah gerade alles so aus, als würde es sich ins Positive entwickeln, als würde Chad für seinen Tod und alles, was ihm seine Familie sonst angetan hatte, Vergeltung erhalten. Allerdings machten wir uns alle Sorgen um Dale. Er war einfach spurlos verschwunden. Vielleicht war das ganz gut so, nachdem seine Familie behauptet hatte, Dale hätte Chad ohne ihr Wissen umgebracht etc. Sie versuchten, ihre Taten einfach auf ihn abzuwälzen, ihn als Sündenbock zu benutzen. Ich war mir allerdings sicher, dass Dale sich nicht vor der Polizei versteckte oder auf der Flucht vor seiner Familie war, da er sich ausgeklinkt hatte. Die einzige Erklärung für sein Untertauchen war für mich, dass er vermutlich Angst vor einer möglichen Rache der Vampire hatte. Aber auch das hielten wir alle für unwahrscheinlich, da ihm bewusst sein musste, dass er nach allem trotzdem noch unter unserem Schutz stand. Unsere Suchaktionen nach ihm hatten aber bisher noch keine Ergebnisse gebracht. Dale schien wirklich nicht gefunden werden zu wollen und das schaffte er.

Wie jeden Tag erzählte ich meinem Vater nach dem Abendessen von den Entwicklungen. Er wirkte sehr erschöpft die letzten Tage, so als schlief er extrem wenig und sorgte sich die ganze Zeit nur. Ich machte mir Sorgen.

„Vertrau mir, Vater. Ich bekomme das hin" Zuversichtlich sah ich ihn an. Zu meiner Sorge um ihn gesellte sich mein schlechtes Gewissen dazu. Es ging ihm erst so, seit ich mit meinem Plan angekommen war. Doch er redete kaum mit mir, was es mir unfassbar schwer machte, ihn zu verstehen.

„Ich vertraue dir, Kian. Ich bezweifle nur, dass das alles wirklich so einfach geht..."

Unsicher lachend zog ich die Augenbrauen zusammen. „Was daran geht denn einfach für dich? Wir sind noch lange nicht am Ende des ganzen..."

„Genau das befürchte ich", stimmte er leise zu, sah dabei auch seine Hand, an der er einen Ring überzogen mit Weißgold hatte. Er trug ihn, seit ich mich erinnern konnte, doch nie hatte ihn mich gefragt, was er zu bedeuten hatte, denn mein Vater war vielleicht vieles, aber mit Sicherheit nicht der Typ für unnötigen Schmuck. Der Ring schien ihm viel zu bedeuten. Darüber hatte ich schon oft gerätselt, doch nie hatte ich gefragt. Auch heute würde ich das nicht tun.

Ich redete meinem Vater stattdessen gut zu, zählte ihm auf, sie stark wir waren und wie gut unsere Chancen standen. Er wirkte nicht so als würde er sich überzeugen lassen, er hörte nicht mal richtig zu. Aber ich wusste irgendwie, dass ich in diesem Punkt nachsichtig mit ihm sein musste. Also verabschiedete ich mich schließlich von ihm und ging in mein Gemach.

Silas wartete bereits im Bett auf mich. Er lag in Jogginghose, auf den Bauch gedreht und auf den Ellenbogen abgestützt da und las eines meiner Bücher. Er wirkte so vertieft darin, dass er weder bemerkte, wie ein reinkam, noch wie ich mich dabei auszog, bis ich mich möglichst unauffällig ins Bett legte und ihn dann musterte. Silas begann zu lächeln, doch er versuchte so zu tun, als hätte er mich nicht bemerkt und las weiter.

Ich rutschte daher näher an ihn heran und strich ihm die Haarsträhne zurück, die in seiner Stirn hing. Dabei gab ich ihm einen Kuss auf die frisch freigelegte Stelle und fing seinen grünen Blick mit meinem ein, als er mich schließlich doch ansah. Für einen Moment taten wir nichts. Wir lagen so da, nah beieinander, meine Hand auf seinem Kopf, unsere Blicke innig ineinander verschlungen, jeweils mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Dann sah Silas kurz auf meine Lippen, als er mit dem Kopf näherkam und gab mir einen sanften Kuss. Bei seinem Versuch, ihn wieder zu lösen, folgte ich ihm. Das Buch fiel in seiner Unwichtigkeit aus dem Bett, ohne, dass wir es beachteten, ich legte mich auf meinen Verlobten, er umschlang mich und unsere Küsse wurden immer leidenschaftlicher. Ich hatte keine Ahnung, wann wir an den Punkt gekommen waren, an dem jede Form von verbaler Kommunikation zwischen uns überflüssig geworden war, ich wusste nur, dass Silas mein Ein und Alles war. Für ihn würde ich alles tun, selbst wenn es meinen Tod bedeuten würde.

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