84. Chad: Kontrolle

366 44 10
                                    

Nachdem Kyle seine Nachricht abgesendet und uns verkündet hatte, dass sie angekommen war, blieb uns nichts Anderes übrig als zu warten.

Im Raum war es still, Victoria warf dem Engel bösartige Blicke zu, Dale mir besorgte, während ich versuchte, niemanden so wirklich anzusehen. Irgendetwas fühlte sich hier gewaltig falsch an und das nicht nur, weil es immer wieder sehr laut donnerte oder es solche Erschütterungen gab, dass das Gemäuer bereits bröckelte. Es war etwas Anderes, etwas in mir, etwas, das mich zu sich zu ziehen versuchte, doch mich zugleich abstieß.

Bisher war mir keine Zeit geblieben, richtig darüber nachzudenken, doch jetzt fielen mir Dinge auf, an die ich vorher keinen Gedanken verschwendet hatte. „Dale?"

Er sah mich fragend an.

„Wie sind wir von unserem Keller hierhergekommen?"

Er zog die Augenbrauen leicht zusammen und sah mich überprüfend an, atmete dabei tief ein, so als müsste er sich selbst beruhigen.

„Was ist hier überhaupt los?", fragte ich nun drängender, sah auch den Engel misstrauisch an und dann bittend zu Dale, da mich eine leichte Panik überfiel.

„Das letzte woran ich mich erinnere, ist, dass du mich umgebracht hast." Ich hatte einen leibhaftigen Engel vor mir, das spräche zwar dafür, dass ich vielleicht im Himmel untergekommen war, doch andererseits waren Dale und Victoria laut meinem Wissensstand nicht gestorben und allgemein machte das alles hier gerade verdammt wenig Sinn.

„Das ist auch so passiert", meinte Dale, trat dabei auf mich zu. Ich sah in seinem Blick, dass er mich beruhigen wollte, doch auch, dass selbst sehr aufgewühlt war. „...vor zwei Monaten"

Ich schluckte, mein Blick löste sich von ihm und fiel automatisch hinter ihm auf den Spiegel am Schrank. Im ersten Moment erkannte ich mich selbst nicht wieder, es war als sähe ich einem Fremden ins Gesicht, einem Fremden mit einer mir völlig unbekannten Geschichte.

„Was ist in der Zwischenzeit passiert?", fragte ich ohne den Blick vom Spiegel zu nehmen und ging langsam darauf zu. Ich erkannte mein blutverschmiertes Shirt, das nur noch in Fetzen an meinem Oberkörper hing, die glatten, fettigen Haare, an denen ebenfalls Blut klebte, meine Arme, komplett rot verfärbt. Je länger ich mich ansah, desto weiter klärte sich der dichte Nebel in meinem Hirn, der bis eben verhindert hatte, dass wir all das auffiel und ich wollte, nein ich musste wissen, was passiert war.

Dale antwortete nicht.

Ich konnte mich selbst nicht mehr länger so ansehen ohne zu wissen, wie ich zu all dem Blut an mir gekommen war und zu wem es gehörte, drehte mich also vom Spiegel weg, um mir dieses abscheuliche Bild nicht mehr länger geben zu müssen und schaute Dale auffordernd an.

„Sag mir, was passiert ist!" Ich brüllte ihn an, aus vollem Halse, sodass er kräftig zusammenzuckte und einen Schritt zurückwich. Ich sah Angst in seinen Augen. Angst vor mir.

Mein Blick sprang zu dem Engel, zu Victoria und wieder zurück zu Dale, ich bemerkte, dass meine Atmung verschnellert war, dass ich Krallen an den Fingern hatte, sowie Reißzähne im Mund und ich Kampfposition dastand, bereit jetzt und hier auf jemanden loszugehen. Ungläubig sah ich auf meine Hände, ging selbst ein wenig zurück und brachte somit den gebührenden Sicherheitsabstand zwischen alle anderen und mich. Ich hatte mich selbst nicht unter Kontrolle, erkannte mich selbst nicht wieder, diese pulsierende Wut in mir, aber vor allem diese Macht.

„Was ist los mit mir?", hauchte ich, klang diesmal verzweifelt, sah auf meine Krallen und spürte, wie sie langsam zurückgingen, je ruhiger ich wurde. Allerdings spürte ich auch, dass dieses Gefühl der Macht und Stärke dadurch verschwand und meine Angst überhandnahm.

Only WeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt