Ich atmete tief durch und sah mir mein Spiegelbild genau an. Meine blonden Haare waren perfekt gestylt, meine grünen Augen stachen genauso hervor wie immer, das weiße, relativ enge Shirt ließ meinen Körperbau etwas deutlicher werden. Ich sah gut aus, vor allem, wenn ich mir Mühe dazu gab, das wusste ich. Trotzdem war ich nervös. Mein Aussehen würde es nicht ändern, dass Jay sauer auf mich war, ich würde ihn mit Sicherheit nicht verführen können und das wollte ich ja auch gar nicht. Ich wollte nur, dass er mich ebenso ansah wie ich ihn.
Dieser Junge hatte mir bereits nach der kurzen Zeit gehörig den Kopf verdreht, sodass ich gar nicht mehr wusste, wohin mit mir, wenn er nicht hier war. Ich hatte versucht, ihn anzurufen, weil er sich nicht mehr gemeldet hatte, doch er hatte mich weggedrückt. Boris meinte, ich sollte ihm diesen Tag Zeit geben und es einen Tag später nochmal versuchen. Das tat ich, doch auch diesmal nahm er nicht ab. Boris hatte mir meine Verzweiflung angemerkt und gemeint, ich solle einen Gang zurückschalten, es ginge Jay zu schnell und er musste sich erst noch dessen klarwerden, was unser Kuss für ihn bedeutet hatte.
Für mich war es einfach der Wahnsinn gewesen. Dieser Kuss, dieses Gefühl, dieses Verlangen. Ich wusste, Jay hatte es auch gespürt, was Anderes war gar nicht möglich. Aber ich konnte mir auch vorstellen, dass es ihm einfach zu schnell ging. Vor ein paar Tagen erst hatte er mit seiner Freundin Schluss gemacht und am selben Tag überfiel ich ihn derart mit einem Kuss. Dabei kannten wir uns doch gar nicht richtig! Er konnte mich nicht mal leiden!
Die meiste Zeit hielt ich seine Anwesenheit auch kaum aus. Er löste so ein Brodeln in mir aus, wenn er seine unreifen Spielchen und sinnlosen Provokationen abzog, sodass ich ihn einfach nur zum Verstummen bringen wollte. Ich konnte mir durchaus vorstellen, das durch den ein oder anderen leidenschaftlichen Kuss zu tun, doch ich wollte ihn auch nicht bedrängen. Vielleicht hatte er meinen Kuss nur erwidert, weil er davon ausgegangen war, die Wirkung würde sonst nicht einsetzen. Ich hatte doch selbst keine Ahnung, was da mit mir durchgegangen war. Allein sein Blick zog mich schon gewaltig an, dann waren da noch seine Berührungen, die mich beinahe den Verstand verlieren ließen und dann diese Nähe... Ich konnte einfach nicht anders.
Nachdem ich Boris Jays Nummer gegeben hatte, hatte er mit ihm vereinbart, ihn heute von der Schule abzuholen, damit er danach zu uns kommen konnte. Auch Dale war heute wieder da. Er schaute ganz verdutzt, als ich ihm die Tür aufmachte und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Hast du noch vor, auszugehen oder so?"
„Was? Wieso?" Ich schaute ihn verwirrt an.
„Dann hast du dich wohl für mich so raugeputzt", grinste Dale.
Ich verdrehte die Augen, zog ihn ins Haus und machte die Tür zu. „Nein, tatsächlich nicht. Ich dachte mir nur, wenn die Welt untergeht, will ich dabei zumindest gut aussehen"
Diese Aussage machte absolut keinen Sinn, das hätte ich auch ohne Dales kritischen Blick bemerkt. Daher übersah ich ihn einfach gekonnt und nahm Chads Bruder mit in unseren Wohnbereich. Dort begrüßte er seinen Bruder und Michael, die sich bis dato unterhalten hatten.
„Du bist die letzten Tage total untergetaucht", meinte Chad, klang dabei vorwurfsvoll.
Dale setzte sich seufzend zu ihm. „Ich weiß, tut mir leid. Aber Mum und Dad hatten, seit ich den letzten Auftrag nicht erfüllt habe, ein besonderes Auge auf mich. Ich will ihnen keinen Grund geben, Verdacht zu schöpfen."
Chad klopfte Dale ein paar Mal leicht auf den Oberschenkel. „Pass auf dich auf, Kleiner." Dale nickte bloß.
„Hast du heute schon was gegessen?" Boris' Stimmte erklang aus dem Flur.
Wie aus einem Reflex heraus fuhr ich mir schnell durch die Haare, als ich dorthin sah. Mein bester Freund kam mit Jay im Schlepptau zu uns. Jay warf bloß ein „Hi, Leute" In die Runde, sah dabei aber mich an, distanziert.
„Mensch, Austin, was ist denn mit dir los? Bist du grade erst aufgestanden?" Boris kam zu mir und begann in meinen Haaren herumzufummeln.
„Hei! Was?! Boris, lass das!" Ich hielt seine Hände von meinem Kopf weg und sah ihn mit einem Blick an, der ihm klarmachen sollte, dass diese Aktion grade mehr als peinlich gewesen war.
Er versuchte ein Lachen zu unterdrücken. „Sorry, aber du siehst aus als hätte dich jemand die ganze Nacht durchgefickt"
„Ich hasse dich", brummte ich schlicht, ging an ihm vorbei aus dem Raum und ins Bad. Toll, als ich noch vor einer halben Stunde vor diesem Spiegel gestanden hatte, hatte ich gut ausgesehen. Doch nun traf Boris' Beschreibung schon ziemlich gut zu. Ich hatte sogar eine leichte Röte auf den Wangen und ich verfluchte mich dafür.
Gestresst versuchte ich, meine Haare wieder in den Griff zu bekommen, doch ich hatte das so viel Gel reingeschmiert, dass es absolut unmöglich war. Schließlich gab ich frustriert auf, wuschelte sie durch, sowie sonst auch immer und ging wieder zurück zu den anderen. Mittlerweile hatten wir Gesellschaft bekommen. Eine junge Frau saß zwischen Boris und Jay auf dem Sofa. Sie hatte blonde lange Haare, sein unbeschreiblich schönes Lächeln und ein grünes, sowie ein blaues Auge, was ich erkannte, als sie mich ansah.
„Hei, ich bin Austin", meinte ich lächelnd. Wenn ich Jays Anwesenheit einfach ausblendete, konnte ich mich vielleicht halbwegs normal verhalten und nicht wie der größte Vollidiot.
„Briana", stellte sie sich vor. „Jay hat mir schon einiges von dir erzählt"
Und das war's mit dem Ausblenden. Mein Blick huschte zu ihm, aber er sah sofort weg und zischte Briana zu, dass er sie umbringen würde, sobald sie alleine waren.
Mich brachte das zum Schmunzeln. Ich setzte mich ebenfalls, den beiden gegenüber, sodass ich sie immer schon im Blick hätte und sie nahmen ihre Gespräche wieder auf.
„Und wie genau kommst du jetzt auf die Idee, dass ich Jägerblut haben könnte?" Briana stellte die Frage ruhig, neugierig und klang nicht mal so, als würde sie das Ganze für absurd halten.
Michael antwortete. „Du könntest es nicht haben, du hast es. Dein leiblicher Vater war jägerblütig, auch, wenn er es selbst nicht wusste. Er war ein besonderer Mann"
„Du kennst ihn?" Briana machte ganz große Augen. Ihr schien viel an diesem Thema zu liegen.
„Ich kannte ihn nicht, nein. Er ist gestorben, bevor es dazu kommen konnte. Jedoch kenne ich ihn jetzt" Michael sah mich an und ich schaute nur ahnungslos zurück.
Plötzlich schauten mich alle an, nur Boris wirkte davon weniger überrascht. „Dein früheres Ich hieß Elijah Cooper. Er hat ein Kind gezeugt mit Helen O'Cara", erklärte er und deutete auf Briana.
Ich lachte unsicher. „Echt jetzt?"
Boris nickte, Michael nickte, auch Luzifer stimmte zu.
„Äh wow das ist... Cool?" Ich war sehr unsicher, wie ich reagieren sollte. Nicht nur, dass ich früher Jäger gewesen war, ich hatte auch noch ein Kind gezeugt und dieses saß mir gerade gegenüber und war gerade mal drei Jahre jünger als ich. Das war komisch. Andererseits war sie echt verdammt hübsch und obwohl ich nicht wusste, wie ihre Mutter aussah, konnte ich mir schon vorstellen, dass meine Gene maßgeblich dazu beigetragen hatten...
„Ja", stimmte Briana leicht verwirrt zu. „Cool"
Michael packte die halbe Story aus meinem früheren Leben aus, wobei wir auch erfuhren, dass Elijah wohl mit Jays Eltern zusammen gewesen war, was zumindest erklärte, weshalb seine Mutter so komisch auf mich reagiert hatte. Wir erfuhren ebenso, dass sie für seinen Tod verantwortlich waren und dass mein Körper die Hülle hätte sein sollen, jedoch verunreinigt worden war durch die Versuche meiner Familie, als ich im Koma gelegen hatte.
Nicht nur ich war von alle dem überrascht und schockiert, Jay und Briana ging es genauso. Nachdem wir alles, was damit zu tun hatte, ausdiskutiert hatten, schlug Boris vor, dass wir uns stärken sollten und dann mit dem Training anfangen. So konnten wir den Kopf wieder frei bekommen, was meiner Meinung war bitter nötig war. Auch wenn Michael gesagt hatte, ich war am Ende meiner Entwicklung, gab es bestimmt noch einiges, das ich in puncto Kampf verbessern konnte und darauf wollte ich mich heute für den Rest des Tages konzentrieren.
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Only We
Fantasy-Ich erkannte in seinem Blick, dass da noch so viel mehr war. So viel mehr, das er mir sagen und bewusst machen wollte, doch er stand einfach nur knapp vor mir und sah mich intensiv an, sodass es sich so anfühlte, als entfachte er ein wärmendes Lage...