30. Boris: Bild

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„Wie geht es jetzt weiter?"

Nachdem Luzifer Chad, Jay und mir den Zauber eingebrannt hatte und wir uns wieder von Austins Wirkung erholt hatten, fragte ich nach unseren nächsten Schritten.

„Training", antwortete Michael. „Fast jeder von euch hat noch einiges an Potenzial zu entfalten und falls ihr diesen Krieg gewinnen wollt, solltet ihr das auch tun."

„Was heißt fast jeder von euch?", wollte ich wissen.

„Naja, bei einigen ist eben noch was rauszuholen, bei anderen geht nicht mehr. Austin hat eine außergewöhnliche Kraft, aber er hat schon alles gelernt und bei ihm wird mehr nicht gehen. Charlie lebt lange genug, um herauszufinden, was in ihm steckt. Das einzige, was er verbessern könnte, wäre, die Verbindung zu dir zu stärken, damit er dir etwas von deiner Kraft abnehmen kann und es somit für dich erträglicher wird. Darauf muss er sich aber einlassen"

Ich hörte Charlie schnauben. „Wieso klingt das für mich so, als würde ich das in deinen Augen nicht hinbekommen?"

Michael ließ sich von dem deutlichen Angriff in Charlies Stimme nicht beeindrucken. Er sah ihn ruhig an. „Du hast keine Ahnung, was Boris tag täglich ertragen muss. Keiner von uns hat das. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihm seine Kraft mehr zusetzt, als er es zugibt und genauso sicher bin ich mir, dass du das genauso gut weißt wie ich. Wieso solltest du dir das also antun wollen?"

„Weil ich ihn liebe", antwortete Charlie sofort überzeugt. „Wenn es irgendetwas gibt, das ihm hilft, tue ich es."

Natürlich wusste ich, dass Charlie bereit war, alles für mich zu tun, doch trotzdem machte es mich sehr glücklich, dass er das so direkt sagte. Ich umklammerte seinen Bizeps, und kuschelte mich an seine Schulter. Er gab mir einen Kuss auf den Kopf und legte seine Hand auf meine. Charlie gab mir Sicherheit, er gab mir Kraft, doch ich beschloss, dass es bei dieser Hilfe seinerseits bleiben sollte. Ich wollte ihm das nicht antun, was ich täglich erlebte, seit ich 16 war. Vor allem nicht, da es seit dem Zusammenbrechen der Hölle um einiges schlimmer geworden war.

„Was machen wir damit?", fragte Luzifer und deute auf die Glaskugel voll mit Seelen, die seit wir sie hatten, zwischen den Weingläsern in unserem Regal herumstand wie ein Dekostück.

„Du wirst sie brauchen", meinte Michael, doch verwirrte uns dadurch ziemlich.

„Wie meinst du das?"

„Wenn du dein Licht finden willst, kannst du das nicht hier machen. Hier wirst du abgelenkt und eingeengt, doch vor allem wirst du es erst zu zügeln lernen müssen, bevor du sicher auf dieser Erde wandeln kannst..."

„Ich muss also gehen", stellte Luzifer fest.

Michael nickte. „Noch nicht jetzt. Wir brauchen dich noch. Aber sobald wir nicht mehr komplett wehrlos sind, wird es das Beste sein, du verlässt diese Welt für eine Weile"

Luzifer schluckte hart, doch er nickte verstehend, als er zu Boden sah.

„Wann?", hörte ich leise von Chad, beinahe so als fürchte er sich vor der Antwort.

„Das hängt von euch ab. Je schneller ihr euch entwickelt, desto schneller kann Luzifer gehen und wiederkommen. Dann werden wir bereit sein für einen Kampf."

Es war kurz komplett still und alle überlegten. Es fühlte sich so an als schwebte ein Damoklesschwert über uns, doch keiner wusste so richtig, was dieses war.

Erst Jay durchbrach die Stille, als er aufstand und meinte, dass er nachhause musste.

„Ich bring dich" Austin war ebenfalls sofort auf den Beinen und dackelte Jay hinterher, aber dieser blieb stehen und sah Austin kalt an. „Ich schaff das schon alleine"

„Aber..."

„Nichts Aber!" Jay wirkte aufgebracht. Es wunderte mich nicht in Anbetracht dessen, wie verarscht er sich gerade vorkommen musste.

Für mich war es lustig gewesen, was Austin abgezogen hatte und obwohl der Kuss Jay augenscheinlich gefallen hatte, fand er es wohl nicht okay, dass Austin ihn als Ausrede genommen hatte, vor unseren Augen halb mit ihm rumzumachen. Bei Chad und mir hatte ein einfacher Kuss für etwa 5 Sekunden gereicht, doch Austin und Jay hatten mindestens eine Minute lang rumgeknutscht und bei Austin war danach sogar eine leichte Beule sichtbar gewesen. Jay hatte sich nur von Austin küssen lassen, weil er es für nötig gehalten hatte. Er fühlte sich jetzt ausgenutzt. Um das rauszufinden, musste ich nicht mal gedankenlesen können, dafür reichte eine gute Menschenkenntnis vollkommen aus.

Trotzdem war ich ebenfalls der Meinung, Jay sollte nicht alleine nachhause laufen. Immerhin hatte er deutlich mehr von der Betäubung abbekommen als Chad und ich und ich befürchtete, der Junge würde es alleine nicht nachhause schaffen. Also beschloss ich, ihn zu fahren.

Austin sah aus wie ein begossener Pudel, als er Jay hinterher sah und ich versuchte ihm durch meinen Blick klarzumachen, dass er sich das selbst zuzuschreiben hatte.

Im Auto war es still, bis auf die Musik aus dem Radio.

„Du sagst mir, wo ich abbiegen muss?" Überprüfend sah ich zu Jay, der gedankenverloren verloren aus dem Fenster blickte.

„Jay?" Ich gab ihm einen leichten Klapser auf den Oberschenkel und er schreckte etwas auf, sah mich dann an.

„Sorry, hast du was gesagt?" Er wirkte durcheinander.

Ich seufzte. „Was ist los? Bist du wirklich so verletzt, weil Austin dich mehr geküsst hat als uns? Das sollte dir eher schmeicheln..."

„Ich bin nicht verletzt", unterbrach Jay und sah seufzend aus der Frontscheibe. „Ich bin verwirrt... glaube ich... Und ich..." Er schüttelte den Kopf und begann sich mit einer Hand die Haare zu raufen. „Ich kann ihn doch nicht mal ausstehen!"

„Hei, ganz ruhig", versuchte ich es. „Ich war im selben Alter wie du, als ich Charlie kennengelernt und mich in ihn verliebt habe. Auch für mich war es am Anfang echt schwer, das zu verstehen oder es mir einzugestehen, aber Austin hat mir echt dabei geholfen zu verstehen, dass es toll sein kann, einem Mann nahezukommen. Er ist sehr liebevoll..."

„Hattest du Sex mit ihm?", unterbrach Jay mich plötzlich.

„Nein" Ich schmunzelte, fuhr rechts ran und bat Jay, mir seine Hand zu geben.

Er legte seine Hand in meine, sah mich dabei misstrauisch an, aber ließ mich machen. Tief durchatmend schloss ich die Augen und versuchte, meine Gedanken komplett zu leeren. Ich wurde sehr ruhig, konnte spüren wie mein Unterbewusstsein übernahm und sah ein einziges Bild vor meinem inneren Auge aufblitzen.

Austin kniend und tränenverschmiert auf dem Boden, Jay in seinen Armen, leblos und blutend.

Ich erschrak so sehr bei diesem Anblick, dass ich nicht mehr sehen konnte, sondern geschockt die Augen aufriss.

„Was ist?" Jay wirkte besorgt. Er hatte keine Ahnung, was ich gerade getan hatte und vermutlich war es auch besser, wenn er das niemals erfuhr.

„Nichts", murmelte ich, startete den Wagen wieder und fuhr weiter.

Als ich in Jays Hof hielt, blieb er noch im Wagen sitzen. „Danke fürs Fahren...", meinte er. „Und für das Gespräch."

Ich lächelte ihn leicht an, doch traute mich nicht, ihn wieder anzufassen. „Kein Problem. Wenn du über irgendwas reden willst oder Gesellschaft brauchst oder so, melde dich ruhig. Ich werde für dich da sein"

Jay trug ein ehrliches Lächeln auf den Lippen, als er sich bedankte, verabschiedete und dann ausstieg. Ich wartete, bis er im Haus war, startete dann den Wagen und fuhr wieder nachhause. Dieses Bild ging mir aber nicht mehr aus dem Kopf.










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