68. Austin: Versprechen

393 55 3
                                    

„Ich verstehe, dass du sauer bist, Jayjay, ich bin es ja auch", hauchte ich leise, trug dabei Tränen in den Augen. „Ich würde das alles rückgängig machen, wenn ich könnte."

Jay presste die Lippen zusammen und sah auf seinen Schoß, er wirkte wütend, verbittert. „Ich nicht"

Er sagte das so leise und für mich so ohne Sinn, dass ich nochmal nachfragen musste, was er gesagt hatte, um sicher zu gehen, dass ich es richtig verstanden hatte. Er wiederholte sich also deutlicher und sah mich diesmal sogar dabei an.

„Ich würde es nicht rückgängig machen. Ich würde mir diese Kugel für dich jederzeit wieder einfangen, aber es bringt mich um zu wissen, dass du nicht dasselbe für mich tun würdest"

„Das stimmt nicht", flüsterte ich fassungslos, schüttelte dabei ungläubig den Kopf. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um mich verständlich auszudrücken, aber ich schaffte es, denn dies war der Moment, auf den ich wochenlang gewartet hatte. Endlich konnten wir uns aussprechen. Endlich konnte ich ihm meine Sicht der Dinge mitteilen.
„Ich würde alles für dich tun, Jay, alles"

Sein Blick brachte mich zum Schweigen. Es war kein Hauch Wut mehr darin zu sehen, keine Abweisung, kein Hass. Nein, es war die pure Verzweiflung.

„Wieso warst du dann nicht für mich da?" Jay kniff die Augen leicht zusammen und riss seine Hand aus meiner, als er sie zu einer Faust formte. „Du hast keine Ahnung, was ich durchmachen musste, Austin. Du kannst nicht allen Ernstes behaupten, alles für mich zu tun, wenn du es nicht mal fertiggebracht hast, meine Hand zu halten, als ich dich gebraucht habe."

„Ich konnte nicht...", ich wich traurig seinem Blick aus.

Jay schnaubte. „Du wolltest nicht, das ist ein Unterschied. Hättest du wirklich bei mir sein wollen, hättest du einen Weg gefunden."

„Nein, Jay, ich konnte nicht", widersprach ich drängend, sah ich dabei an. „Es hat drei Wochen gedauert, bis ich körperlich annähernd so weit war, überhaupt aufzustehen, manche Wunden sind bis heute noch nicht richtig verheilt... Sobald ich dazu in der Lage war, habe ich mich jeden Abend rausgeschlichen, um nach dir zu sehen..."

„Wieso?"

„Raphael hat es mir verboten, Kontakt zu dir aufzunehmen. Die Jäger waren noch hinter uns her und wir wollten sie nicht direkt zu dir führen. Wir haben dir genug angetan..." Als ich ihm das erklärte, sah ich beschämt weg.

„Das meinte ich nicht"

Etwas überrascht blickte ich ihn wieder an. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, musterte mich solange, bis sein Blick an meiner Hand hängenblieb, wo ich einen kleinen Verband trug.

Jay streckte seine Hand danach aus und ich legte meine in seine. Er musterte sie, öffnete den Verband und sah sich die tiefe Wunde in meiner Handfläche teils angewidert, teils schockiert an.

„Ich habe versucht, Charlie zu heilen, aber es hat nicht geklappt und ich selbst heile auch nicht mehr so wie früher. Es blutet zwar nicht so stark wie es das bei einem Menschen täte, aber es wächst auch nicht mehr richtig zu..."

„Wieso?", wiederholte er seine Frage von vorhin und schloss den Verband wieder sorgfältig. Er war dabei sehr vorsichtig, und klang plötzlich sehr interessiert und einfühlsam, sodass es mir wirklich so vorkam, als sorgte er sich um mich. Leider konnte ich seine Frage aber nicht beantworten.

„Ich weiß es nicht." Ich seufzte. „Ich habe sehr viel Blut getrunken, aber das hat auch nichts gebracht. Ich denke, vielleicht wandelt mein Herz das Blut nicht mehr richtig in die Kraft um oder so..."

„Was sagen die anderen dazu?", wollte Jay wissen und sah mich wieder an, als er mit dem Verbinden fertig war.

Ich zuckte mit den Schultern. „Nichts. Wir haben größere Probleme..."

Jay schnaubte belustigt. „Willst du mich verarschen? Deine Kraft könnte ihnen das Leben retten, sie könnte Charlie das Leben retten und keiner interessiert sich dafür, das wieder in Ordnung zu bringen?"

Wieder nur ein Schulterzucken von mir.

Jay schüttelte ungläubig den Kopf. „Du machst mich fertig, Austin."

„Tut mir leid", seufzte ich. „Ich wollte dich damit nicht belasten, ich wollte dir nur zeigen, dass ich dir mit meiner Kraft nicht helfen kann. Es tut mir leid..."

„Hör auf, dich zu entschuldigen.", unterbrach er mich. „Das ist nicht deine Schuld. Weder das, noch das, was mir passiert ist. Ich habe das zu verantworten. Klar wusste ich nicht, dass es mich lähmen wird, ich bin eher davon ausgegangen zu sterben und ich war bereit dazu. Ich war bereit für dich zu sterben, Austin, aber so will ich nicht leben. Deshalb werde ich euch nicht helfen, Alvar wegzusperren. Ich brauche ihn."

„Wofür überhaupt? Was habt ihr vor?"

„Mit den Engeln reden.", erklärte er kurzgehalten.

Meine Augenbrauen schossen hoch. „Es mag ja sein, dass er dich dafür braucht, aber du könntest das auch ohne ihn. Michael weiß bestimmt wie wir das hinkriegen... Außerdem was erhoffst du dir davon? Denkst du, sie heilen dich einfach so?"

Jay schüttelte den Kopf und ich sah ihm an, dass er wieder Distanz aufbauen wollte. „Natürlich nicht. Mir ist klar, dass sie etwas dafür wollen werden..."

„Jay, du hast keine Ahnung, was das sein wird. Willst du dieses Risiko wirklich eingehen, nur um wieder laufen zu können? Du kannst auch so ein tolles Leben haben, vielleicht nicht das, was du dir vorgestellt hast, aber-"

Jay lachte belustigt auf, klang bitter dabei. „Es geht nicht nur ums Laufen. Vielleicht könnte ich mich ja damit abfinden, mein Leben lang ein Krüppel zu sein, aber ich will nicht an dieser verdammten Vergiftung sterben. Ich will nicht monatelang leiden und langsam dahingehen, während niemand was dagegen tun kann."

Ich schüttelte schockiert den Kopf. „Das wusste ich nicht" Meine Hand umklammerte seine und diesmal erwiderte Jay meinen Druck sogar.

„Entweder sollen die Engel mich komplett heilen oder mich sofort umbringen..."

„So wird das nicht ablaufen", hauchte ich und sah Jay intensiv an. „Sie werden vielleicht deinen Körper heilen, aber dann nur, um ihn zu besitzen..."

Ich hatte so viel, das ich Jay sagen wollte, die ganzen Lücken in seinem Plan, die ich ihm klarmachen wollte, aber ich stoppte, als er erschöpft die Augen schloss und tief durchatmete.

„Ich weiß doch, dass es ein scheiß Plan ist. Aber er ist alles, was ich habe"

„Du hast uns, mich", widersprach ich.

Jay sah mich so an, dass ich seinen Zwiespalt genau erkannte. Er wollte mir einerseits klarmachen, dass wir ihn schon mal im Stich gelassen hatten, doch andererseits wusste er, dass er mit uns viel bessere Chancen hatte als im Alleingang mit seinem Höllenkrieger-Freund. Er zweifelte an beiden Optionen und das bewies, dass dies meine Chance war, ihn zu überzeugen.

„Wir finden eine Lösung, Jay, das verspreche ich dir" Ich setzte mich hoch, auf seine Bettkante und umklammerte dabei nach wie vor deine Hand. „Und falls wir es nicht schaffen, dich zu heilen..." Ich schluckte schwer, aber hielt dem Blickkontakt weiterhin stand. „...dann werde ich zumindest dafür sorgen, dass du nicht leiden musst"

Nach diesem Versprechen biss ich die Zähne zusammen und wartete seine Reaktion ab. Zunächst passierte gar nichts, aber dann breitete sich ein leichtes, beinahe unmerkliches Lächeln auf seinem Gesicht aus und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er zog mich zu sich, legte die Arme um meinen Hals und flüsterte ein schwaches „Danke".

Ich zog ihn etwas weiter zu mir und umarmte ihn ebenfalls, hielt ihn fest und ließ ihn sich mal so richtig ausheulen. Es dauerte ein wenig, aber, als er sich dann wieder etwas beruhigt hatte, drückte er mich nur umso fester. Sein Atem fegte über meinen Hals, als er leise sprach. „Bitte verlass mich nicht wieder"

Ich vergrub meine Hand in seinen Haaren und erwiderte leise: „Ich bleibe bei dir", schloss meine Augen, hielt ihn einfach nur fest und fühlte mich zum ersten Mal seit langem nicht mehr komplett verloren.

Only WeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt